Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Francesco Bernadone, genannt Franz von Assisi -
ein Leben predigt die Freude der Schöpfung

Eine Predigtreihe, 1998

In Dankbarkeit für unsere schöne alte Kirche, die 1659-62 als eine Klosterkirche des Franziskanerordens erbaut wurde - und für alle Gemeindeglieder, die in ihr Gottesdienst feiern.


Misericordias Domini, 26.4.1998

Klara und Franz von Assisi (3) -
Eine Liebe für das Leben

Sie gehen aufeinander zu und bleiben einander zugewandt: Klara und Franz. Beide wollen das Eine: Die völlige Armut leben aus Liebe zu dem "armen Jesus". Von Gott ist ihnen gegeben, was jeder in seiner Rechten trägt: Das Wort des Herrn und das Sakrament seines Leibes - beides Zeichen seiner Liebe. Die Heilige Schrift ist für Franz verlässliche Weisung für sein Leben. Er hält sie nicht nur in der Hand, er hält sich daran und handelt danach. Wie Franz können auch wir Gottes Wort in uns aufnehmen, damit es uns verwandelt, und wir seine Zeugen werden.

Klara will in die Mitte rücken, was für sie die Mitte ihres Lebens ist. Im Zeichen des Brotes empfängt sie den, der sich aus Liebe für uns hingibt, Jesus Christus. Der Fingerzeig Klaras ist ein Zeichen für unsere Zeit, lebensweisend und lebenswichtig. Franz weist uns durch seine erhobene Linke auf das Zeichen der Wundmale hin; sie macht offenbar, was der Gekreuzigte aus Liebe zu uns gelitten hat.

Großartig ist dieses Gegenüber der Zeichen: Opfermahl und Opferhandlung. Es ist derselbe Herr, der mich in beiden Zeichen anspricht. Was die Hände zum Ausdruck bringen ist zutiefst Zeichensprache des Herzens, des ganzen Menschen. Nicht nur die Hand, die ganze Haltung des Franz zeugt von seiner Ehrfurcht vor dem Geheimnis des Glaubens. Ebenso ist Klaras Fingerzeig nicht nur hinweisende Gebärde, er ist vielmehr Ausdruck ihrer eindeutigen Lebensausrichtung auf den, der für sie die menschgewordene Liebe Gottes ist.

So zeigen Klara und Franz in ihrer je eigenen Art auf Jesus Christus hin und werden dabei selber Lebenszeichen auf unserem Weg zum Herrn. Zwar müssen beide getrennte Wege gehen, aber der mindere Bruder und die arme Schwester bleiben verbunden und eins in ihrem Herrn. Diese Verbundenheit reicht tiefer und weiter als jede rein zwischenmenschliche Beziehung, denn sie ist in Gottes Liebe selbst beschlossen und bewahrt.


Das innere Zwiegespräch

Pace e bene! - Friede und Heil!

Mit diesem alten franziskanischen Gruß wende ich mich heute euch zu, meinen fernen Geschwistern und geliebten Nächsten im Herrn.

Ich, Chiara di Favarone, die Dienerin Jesu Christi und erste kleine Pflanze des Franz, lebe zumeist in seinem Schatten. Wenn ihr jedoch dem Geheimnis des heiligen Franz näherkommen wollt, so müsst ihr auch von mir erfahren. Denn wie Sonne und Mond einander rufen, so ruft der Bruder die Schwester, die Schwester den Bruder. Franz und mir ist das gottgeschenkte Glück zuteil geworden, dass wir einander finden durften. Damit ihr jeden von uns verstehen lernt, versucht Franz in mir und mich in ihm zu sehen. Was gibt es Erfüllenderes als sich im anderen zu entdecken?

Seine Schwester bin ich gewesen von meiner Berufung bis zu seinem frühen Tod, der mir meinen geliebten Vater und Bruder entriss, der mir Stütze und Trost war. Mit dem Abschied von ihm war ich auf mein Gewissen gestellt. Ich wurde für einige Zeit Ratgeberin der ersten Brüder und war Gesprächspartnerin von Kardinälen und Päpsten. 27 Jahre überlebte ich Franz. Dann durfte auch ich meinem Schöpfer mein Leben mit dem Bekenntnis zurückgeben: "Herr, ich danke dir, dass du mich erschaffen hast."

Ich möchte euch, liebe Brüder und Schwestern, nun teilhaben lassen an dem inneren Zwiegespräch, das ich mit Franz führen möchte. Es musste in unserem Leben so vieles ungesagt bleiben, denn unsere Begegnungen waren selten - mit Ausnahme unserer ersten Gespräche. An sie erinnere ich mich gut. Ich war damals ein adeliges Fräulein im heiratsfähigen Alter von 16 Jahren, aber ich hatte mich bereits gegen eine Heirat entschieden, obschon meine Eltern mich dazu drängten. Mein Wunsch war ein gottgeweihtes, zurückgezogenes Leben im Gebet und im Dienst der Armen.

Meine Mutter Hortulana hatte mich auf diesen Weg des Glaubens gewiesen, sie, die mir auf Grund einer besonderen Gebetsgewissheit den Namen Klara gab: Die Helle, die Reine, die Klare. Ich liebte diesen lichten Namen. Von der Bekehrung des Franz waren wir alle unterrichtet, und ich nahm seine Predigten im Dom fasziniert auf. Franz hatte ebenfalls von mir gehört. Er suchte das Gespräch mit mir. Als Brautwerber Christi verstand er sich; ihm wollte er auch mich zuführen. Mit seinen begeis- ternden Worten entfachte er den Wunsch in mir, in derselben Weise wie er, Chris-tus nachzufolgen.

Franziskus, wer hätte deinen glühenden, geisterfüllten Gesprächen widerstehen können! Durch dich hat mich Christus auf seinen Weg gerufen, und ich bin ihm gefolgt, ganz Feuer und Flamme. Du arrangiertest alles mit dem dir eigenen Sinn für die reiche Sprache der Symbole. Am Palmsonntag 1212 besuchte ich festlich gekleidet den Gottesdienst im Dom San Rufino. Wie bewegten mich die Worte des Evangeliums: "Saget der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir ..." Wie stark empfand ich den hochzeitlichen Charakter dieses Tages. Ja, Christus meinem König und Bräutigam wollte ich entgegengehen!

In der folgenden Nacht verließ ich heimlich das Elternhaus und mit ihm alles, was mein bisheriges Leben ausgemacht hatte, um nach Portiuncula zu gehen, der kleinen Marienkirche, wo du mit deinen Brüdern mich erwartet hast. Dort nahmst du mein Versprechen entgegen, das Leben in Armut, Gehorsam und Keuschheit zu führen. Du hattest nach kirchlichem Recht keine Befugnis zu dieser Jungfrauenweihe. Aber du wusstest so gut wie ich, dass Gott mich dir als Schwester an die Seite gestellt hatte, und du hast diese neue Verantwortung angenommen und in göttlichem Auftrag gehandelt. Portiuncula war das Kirchlein deiner evangelischen Sendung, und hier beginnt auch meine Sendung in den Fußspuren des armen Jesus.

Erst über Umwege fand ich meine Heimat in San Damiano. An diesem Ort hattest du bereits von uns geweissagt. Beim Aufbau der Kirche bist du auf die Mauer gestiegen und hast gerufen: "Kommt und helft mir beim Bau San Damianos, denn es werden dort einmal Frauen wohnen, durch deren heiliger Wandel unser himmlischer Vater in seiner ganzen Kirche verherrlicht werden wird!" Am Ort deiner Berufung sollte ich mein ganzes Leben bleiben, um unter dem Kreuz zu beten, vor dem dir dein Auftrag zuteil wurde, die Kirche des Herrn wieder aufzubauen. Deine Bestimmung habe ich auch als Bestimmung für mich und meine Schwestern verstanden. So wollten auch wir Gehilfinnen Gottes werden und die schwankenden Glieder der Kirche stützen.

Ja, Schwestern hatte mir Gott geschickt. Unserer kleinen Gemeinschaft gabst du, Franziskus, als ihr Gründer eine einfache Lebensform und versprachst, stets für unser Ergehen Sorge zu tragen. Wie hätten wir auch sonst unser zurückgezogenes Leben in Armut führen können? Dir habe ich es zu verdanken, dass du mich von meiner übermäßigen, lebensgefährlichen Askese abbrachtest; zu viel wollte ich mir abfordern an Fasten, Wachen und Bußübungen und vermutlich wurde mein geschwächter Körper deshalb so früh auf Dauer krank.

Deine Aufgaben zogen dich von uns Schwestern ab. Du warst auf Missionsreisen, dann wieder unterwegs als Wanderprediger. Manchmal überkam mich die Sehnsucht wie du zu leben und das Evangelium in die Welt zu tragen. Aber das hättest du abgelehnt. Gehorsam wollte gelernt und gelebt sein! Das Loslassen des äußeren Besitzes war leicht gegen den Verzicht auf einen solchen Herzenswunsch. Die Armut hat viele Gestalten, und es galt, immer wieder arm zu werden, auch innerlich arm und vor allem arm vor Gott im Loslassen des eigenen Willens. Armut und Demut sind untrennbare Geschwister, und sie wollten täglich neu im Zeichen der Berufung eingeübt werden. Aber gerade so durften wir auch erleben, welche innere Freiheit, welcher Glanz der Freude uns von Gott zuflossen, dem wir uns anvertraut hatten.

Nach dem Beschluss des Konzils (1215), der die neu entstehenden Gemeinschaften zwang, eine der alten Ordensregeln anzunehmen, erwartetest du Schweres von mir. Die Benediktregel sollten wir übernehmen, und ich sollte das Amt der Äbtissin führen. Formell habe ich zugestimmt, in meinem Herzen und Handeln jedoch nicht. Wir wollten eine Schwesternschaft bleiben, ohne Unterschied des Standes und des Ranges. Ich verstand mich als Schwester unter Schwestern. Jede Form von Herrschaft lehnte ich für unser Zusammenleben ab. Es war keineswegs leicht, dem Geist des Evangeliums treu zu bleiben, und du hast wie ich oft darum gerungen. In den Stunden des Gebetes haben wir uns immer wieder neu dazu stärken lassen.

Wie wichtig war es für mich, Zeichen deines Vertrauens zu empfangen. Im Ungewissen darüber, ob du weiterhin deine Wanderpredigt fortsetzen oder dich besser in die Einsamkeit zurückziehen solltest, ließest du Bruder Silvester und mich fragen, damit du durch unsere Antwort Gottes Willen erfahren würdest. Deine Demut war nicht zu überbieten. Du hattest erfahren, dass Gott oft durch den Bruder und die Schwester spricht, und wir konnten dir einhellig die Antwort geben, dass es Gott wohlgefällig ist, wenn du auch in Zukunft als "Herold zum Predigen" ausziehst.

Unsere Gemeinschaft war weit über San Damiano hinaus gewachsen; eine Verpflichtung für alle Schwestern wolltest du nicht übernehmen. Du zogst dich zurück. Ich empfand aber auch, dass du dich als Bruder entzogst. Unser Verhältnis hatte die Unbefangenheit des Anfangs verloren. Du befandest dich in einer Krise. War dir die Schwester als Frau zur Gefahr geworden? Du vermiedest meinen Namen und sprachst von mir als "der Christin". Keiner von uns ist frei von Anfechtungen. Nie werde ich deine Zeichenpredigt vergessen. Wir hatten uns auf dein Kommen gefreut. Du aber zogst einen Kreis aus Asche um dich und schwiegst, streutest Asche auf dein Haupt und betetest den Bußpsalm "Herr, erbarme dich meiner."

Voller Erschütterung ließest du uns allein. Einzig das Gebet hat uns Frieden finden lassen; in ihm warst du samt deinen Brüdern mit eingeschlossen. Stellvertretend haben wir unseren Dienst verstanden; fürbittend wollten wir da sein für alle Schwestern, für euch Brüder, für unsere Kirche, für Gottes ganze Welt. Stellvertretend wollten wir mittragen und mitleiden im Geist Jesu Christi, der unser aller Stellvertreter ist und bleibt. In die Liebe Christi haben wir uns gestellt im Schweigen und Hören, im Betrachten und Bedenken des Wortes Gottes. Von seiner Liebe haben wir uns durchdringen lassen und weitergegeben. Beispielhaft wollten wir allen als Vorbild und Spiegel dienen, damit die Liebe Christi auch durch uns in der Welt aufleuchtete.

In deiner schweren Krankheit ließest du dich für einige Zeit in San Damiano nieder. Du kanntest die Gabe der Heilung im Zeichen des Kreuzes, die mir geschenkt worden war. Vermutlich erhofftest du dir Linderung in meiner Nähe. Damals konnte ich dir jedoch nicht beistehen, wie ich es gern getan hätte, denn meine Krankheit hatte sich derart verschlimmert, dass ich befürchtete, ohne deinen Segen empfangen zu haben, vor dir sterben zu müssen. Du erfuhrst von meinem Kummer und dem meiner Schwestern, darum schenktest du Sänger des Herrn uns trotz deines Leidens zum Abschied ein Lied, das uns getröstet und erfreut hat: "Hört kleine Arme, vom Herrn berufen, ...: Lebt immer so in der Wahrheit, dass ihr im Gehorsam sterbt. Schaut nicht nach dem Leben draußen! Denn jenes nach dem Geiste ist besser."

Auch deinen letzten Willen hast du uns wenige Tage vor deinem Tod niedergeschrieben und uns noch einmal dringend ermahnt: "Ich bitte euch, meine Herrinnen, und gebe euch den Rat, ihr möchtet doch alle Zeit in diesem heiligsten Leben bleiben und in der Armut leben." Um dein Vermächtnis zu bewahren, habe ich beharrlich gekämpft. So wurde uns das "Privileg der Armut" schließlich vom Papst gewährt. Mehrfach trugen mir die Päpste Besitz an; ja, Papst Gregor IX wollte mich sogar von meinem Gelöbnis entbinden. Aber ich stellte eindeutig klar: "Heiliger Vater, ich wünsche keineswegs, und dies ein für allemal, von der Nachfolge Christi dispensiert zu werden." So ist es mir trotz aller Angebote gelungen, in der Armut zu leben und sie schließlich in meiner Ordensregel fest zu verankern, der ersten, die von einer Frau verfasst wurde.

Es ging mir um die Armut wie du sie so hoch geschätzt und uns ans Herz gelegt hast, Franziskus. Für dich wie für mich ist sie das Kennzeichen unseres Herrn, der aus Liebe zu uns arm in der Krippe lag, sein Leben in Armut führte und in letzter Armut am Kreuz für uns starb. Darum haben wir sie geliebt und in ihr gelebt.

In San Damiano dichtetest du deinen gewaltigen Gesang, den Sonnengesang, und ich höre es an seiner herrlichen Harmonie: Du hast wieder deinen inneren Frieden gefunden, bist ausgesöhnt mit allen Gegensätzen, sprichst von Bruder Sonne und Schwester Mond und siehst auch dich und mich in ihrem Bild. Der Himmel über uns ist wieder klar. Gottes strahlende Liebe hat uns neu und für immer verbunden.


Klara und Franz von Assisi - Eine Liebe im Licht der Legende

Umbrisches Lied

Eines Tages sagte Franziskus weinend zu Jesus:
Ich liebe die Sonne und die Sterne,
ich liebe Klara und die Schwestern,
ich liebe das Herz der Menschen und alle schönen Dinge,
mein Herr,
du sollst mir verzeihen,
denn nur dich sollte ich lieben!

Lächelnd antwortete ihm der Herr:
Ich liebe die Sonne und die Sterne,
ich liebe Klara und die Schwestern,
ich liebe das Herz der Menschen und alle schönen Dinge,
mein Franziskus,
du sollst nicht mehr weinen,
denn ich liebe dasselbe wie du!

Singend entgegnete ihm Franziskus:
Ich liebe die Sonne und die Sterne,
ich liebe Klara und die Schwestern,
ich liebe das Herz der Menschen und alle schönen Dinge,
mein Herr,
ich danke dir für die ganze Schöpfung,
die ich lieben darf!

Stark und selbstbewusst trittst du uns entgegen, dabei demütig und dienstbereit. Inspiriert von Gottes Geist lebst du als "Frau des Evangeliums" den neuen Weg. Unerschütterlich bleibst du ihm treu und bist doch zartfühlend und sensibel. Du stehst zu deinen Gefühlen und gibst ihnen Ausdruck in Freundschaft und Liebe. Glänzend ist dein Urteil - das Wesentliche scheidest du vom Wenig-Wichtigen.

Trotz aller klösterlichen Enge hast du eine echte Größe und Weite des Herzens. Du bist jung geblieben auch im Alter, erfüllt von der ersten Liebe zu deinem Herrn. In allen Krisen und Enttäuschungen bewahrst du Gelassenheit und Geduld. Du kämpfst für deine Berufung voller Weisheit und Friedfertigkeit. Dem Angriff der Gewalt widerstehst du mit der Macht des Gebetes. Trotz der Fesseln deiner Krankheit lebst du im Geist der Freiheit. Als Äbtissin liegt dir die ungeteilte Schwesterlichkeit mit den Deinen am Herzen. Bei aller Strenge gegen dich bleibst du heiter und gütig gegen deine Schwestern. Bis heute werden dir, der Kinderlosen, geistliche Töchter geschenkt. Bei dir verbinden sich Standfestigkeit mit Beweglichkeit, Weisheit mit Charme, Willensstärke mit Einfühlsamkeit, Strenge mit Güte, Treue mit Wandlungsfähigkeit. Männliches und weibliches Wesen stehen bei dir in Einklang. Du findest zu reifer Ausgeglichenheit, zu wahrer Menschlichkeit und spiegelst die lichte, reine Menschenfreundlichkeit Jesu Christi, unseres Herrn.

Zum Verständnis der Legende

Hell leuchtet die Legende in das Dasein der Menschen. Bewusst überschreitet sie die Grenze des Natürlichen und gehört einer höheren Welt an. In eine Urform der Erzählung eingekleidet, vom Glauben getragen, ist sie auf das Heil des Menschen ausgerichtet. Bereits das Alte Testament enthält herrliche Legenden. Das Christentum hat von ihm auch das Erbe der Legenden übernommen; so war das Urchristentum ein fruchtbarer Boden für ihre Entstehung. Es wusste die zeitlosen Wahrheiten in Bildern von intensiver Leuchtkraft erstehen zu lassen.

Schon in den altchristlichen Jahrhunderten wuchsen sich die Legenden zur Wiedergabe eines geheiligten Menschenlebens aus. Im Mittelalter erreichte die Legende ihren Höhepunkt. Wer die Münster, die Troubadourlieder und die Tafelbilder als Zeugnisse abendländischer Geistigkeit bewundert, der wird auch die Legenden lieben, denn in ihnen verdichtet sich die mittelalterliche Seele. "Die Blümlein des heiligen Franz" erzählen sein Leben mit einer Beschwingtheit, deren Wahrheit sich kein religiöser Mensch entziehen kann. In der damaligen Legendenliebe mit ihrer Ewigkeitspoesie dokumentiert sich eine erstaunliche Kraft der Vergegenwärtigung heiliger Gestalten.

Die Legenden sind die lebendigste Form der Überlieferung, die die Vergangenheit mit dem Heute verbindet. Sie gehören einem ewigen Sein an und wissen von einem tieferen Sinn des Lebens. Ihre Glaubwürdigkeit und Wahrheit will von uns entdeckt und verstanden werden.

(Aus W. Nigg, Die Stille Kraft der Legende, Freiburg 1982)

Einen Eindruck von der unvergänglichen Ausstrahlungskraft der Legende, in diesem Fall der Volkslegende, wollen nun auch die drei Beispiele vermitteln, welche die besondere Beziehung zwischen Klara und Franz bleibend eingefangen haben.

Zum "Umbrischen Lied"

Von Franz wissen wir, dass er oft geweint hat. Er ist ebenso sehr der Weinende wie der Fröhliche. Zumindest zwei Gründe fallen uns dafür auf. Franz konnte niemanden leiden sehen, ohne von Mitleid ergriffen zu werden. Der zweite Grund weist in die Richtung unseres Liedes. Es wird erzählt, dass Franz weinend umherzog und in tiefer Erschütterung immer nur ausrief: "Die Liebe wird nicht geliebt!" Welches Leiden ist es für ihn, erleben zu müssen, dass Gott, die Liebe, nicht wiedergeliebt wird. In diesem Lied bezieht sich die Liebe jedoch auf "alle schönen Dinge"; das lässt aufhorchen. Für Franz sind sie Grund des Staunens, der Lust an der Schöpfung. Und doch ist da eine quälende Angst in ihm aufgebrochen: Geht seine Liebe zu allen Dingen nicht in die falsche Richtung? Müsste sie nicht auf das eine Ziel, Gott selbst, ausgerichtet sein? Zutiefst beglückt kann Franz aufatmen, als er die Antwort Gottes erfährt. Wie könnte Gott auch in Konkurrenz treten zu seinen Geschöpfen! Er ist nicht ein Glied in ihrer Kette, vielmehr in jedem verborgen gegenwärtig. Gott ist das Geheimnis seiner Schöpfung und will in ihr gelobt werden. So ist auch Klara seine geliebte Schwester, weil ihm in ihr Gott begegnet. Gerade auf diese Weise will Gott vom Menschen geliebt werden, ist er doch selbst den Weg der Menschwerdung gegangen, damit wir ihn wiederfinden in seinem Ebenbild und der ganzen Schöpfung.

Rosen mitten im Winter

Eines Tages kamen Franz und Klara von Spello gen Assisi und wurden dabei nicht wenig beunruhigt. Sie waren nämlich für eine Weile in ein Haus getreten, wo man ihnen auf ihre Bitte etwas Brot und Wasser gab. Aber dabei hatten sie böse Blicke auf sich gezogen, und sie mussten peinliches Geflüster mit versteckten Anspielungen und Witzen hinnehmen. Schweigend gingen sie weiter. Es war die kalte Jahreszeit und das Land ringsum mit Schnee bedeckt. Schon begann es am Horizont zu dunkeln ... Plötzlich sagte Franz: "Schwester, hast du verstanden, was die Leute von uns gesagt haben!?" Klara gab keine Antwort. Ihr Herz war wie von Zangen gepeinigt, und sie spürte, wenn sie etwas sagen würde, hätte sie die Tränen nicht unterdrücken können. "Es ist Zeit, uns zu trennen", sagte schließlich der heilige Franz. "Du wirst noch vor dem Einbrechen der Nacht im Kloster sein Ich werde allein gehen und von weitem folgen, wie Gott mich führt." Da warf sich Klara mitten auf dem Wege in die Knie. Nach einer Weile hatte sie sich gefasst, stand auf und ging gesenkten Hauptes weiter, ohne rückwärts nach ihm zu schauen. Der Weg führte durch einen Wald. Auf einmal hatte sie nicht mehr die Kraft, so ohne Trost und Hoffen, ohne ein Abschiedswort von ihm zu gehen. Sie wartete. "Vater", sagte sie, "wann werden wir uns wiedersehen?"-"Wenn der Sommer wiederkommt, wenn die Rosen blühen!" Da geschah etwas Wunderbares. Auf einmal war ihnen, als blühten ringsum auf den Dolden der Wacholdersträucher und auf den von Tau bedeckten Hecken eine Unzahl von Rosen ... Nach dem ersten Staunen eilte Klara hin und pflückte einen Strauß von Rosen und legte ihn Franz in die Hände. Von diesem Tag an waren Franz und Klara nie mehr getrennt.

In dieser Legende kommt zum Vorschein, was die Liebe zwischen Franz und Klara ausmacht. Beide sind miteinander unterwegs - Gefährten auf demselben Weg, der geprägt ist von völliger Armut. Von Anfang an wird ihr gemeinsames Bestreben unterlaufen von neidischem, bösem Geflüster, von frecher Dummheit. Immer wieder wird so wahre, herzliche Verbundenheit zwischen Mann und Frau herabgesetzt. Feinfühlige Menschen wie Klara und Franz stehen solcher Entwürdigung hilflos gegenüber. Die schneidende Kälte draußen will sich auch ihrer Seele bemächtigen, die hereinbrechende Dunkelheit auf ihr Inneres übergreifen. Der beherrschende Charakter der Umwelt diktiert auch die Notlösung, die Franz schließlich vorschlägt: "Es ist Zeit, uns zu trennen." Dies ist der bedauerliche Vorschlag des Mannes, und viele werden sich wie er dem äußeren Zwang beugen. Klara versagt zuerst die Kraft, in die Trennung einzuwilligen, doch dann gehorcht sie. Die Endgültigkeit des Scheidens ist für sie als Frau noch unerträglicher als für den Mann. Sie braucht den Ausblick der Hoffnung, die Perspektive des Wiedersehens. Wie so oft ergreift Klara die Initiative und fasst den Mut, ihre Schwäche einzugestehen. Sie fragt nach der Möglichkeit, sich wiederzusehen. Franz will sich keine Blöße geben und schiebt die Wiederbegegnung weit in die Zukunft: "Wenn die Rosen blühen ..." Doch plötzlich ereignet sich das Wunderbare: Gott greift ein und stellt sich auf die Seite der Liebenden. Er will die Einheit, den Gleichklang der Geschlechter, die Zusammengehörigkeit von Mann und Frau. So geschieht das Rosenwunder als Zeichen der bleibenden Liebe zwischen Klara und Franz. Mit ihren wunderbaren Zügen manifestiert die Legende das Eingreifen Gottes im Dasein des Menschen und bringt damit die Macht des Ewigen zum Aufleuchten. So sind Legenden Loblieder auf Gott. Durch sie gewinnt der Mensch in seinem grauen Alltag voller Zwänge den nötigen Aufblick und Aufschwung. Über der Legendenwelt erscheint ein geöffneter Himmel.

Das Gesicht im Brunnen

Eines Tages hatten sich Bruder Franz und Bruder Leo zusammen nach Siena begeben, aber sie wurden dort von den Leuten ziemlich unfreundlich aufgenommen, und der Heilige war deshalb nicht wenig betrübt. Den Weg entlang, während es dunkelte, dachte er an das süße Assisi, wo er seine geistlichen Söhne und Klara, die Tochter seines Herzens, zurückgelassen hatte. Er wusste, dass die fromme Jungfrau um ihrer Liebe zur Armut willen großen Widrigkeiten ausgesetzt war, und er war zur Zeit nicht ohne Sorge, seine geliebte Tochter möchte an Leib und Seele krank werden und könnte sich, in San Damiano auf sich selber angewiesen, von ihren heiligen Vorsätzen abdrängen lassen. Dieser Zweifel bedrückte ihn in einem Maße, dass er an der Stelle, wo die Straße in das Hügelland einbiegt, das Gefühl hatte, seine Füße würden ihm jeden Augenblick in die Erde versinken. Er schleppte sich zu einem Brunnen, an dem das frische Wasser sprudelte und im Trog eine klare Fläche bildete, auf die der Strahl vom Brunnenrohr niederfiel. Lange stand der Mann Gottes über den Brunnen geneigt. Dann hob er auf einmal den Kopf und sagte freudig zu Bruder Leo: "Bruder Leo, Lämmlein Gottes, was glaubst du, habe ich im Brunnenwasser gesehen?"-"Den Mond, Vater, der sich darin spiegelt", erwiderte der Bruder. "Nein, Bruder Leo, nicht unsere Schwester Mond habe ich im Brunnenwasser gesehen, sondern durch die anbetungswürdige Gnade des Herrn sah ich darin das wirkliche Antlitz unserer Schwester Klara, und es war so rein und strahlend von heiliger Freude, dass mir alle meine Zweifel auf einmal verflogen sind, und ich habe die Gewissheit erhalten, dass unsere Schwester in dieser Stunde jene tiefe Freude genießt, die Gott seinen Lieblingen gewährt, indem er sie mit den Schätzen der Armut überhäuft.

Der Brunnen ist seit jeher ein lebensspendendes Symbol. Das Wasser in der Tiefe der Erde, das vom Menschen mit Mühe gesucht und gefasst sein will, schenkt ihm schließlich Belebung. Diese Urerfahrung des Brunnens verbindet sich hier mit Klara. Die äußere Situation der Brüder in den Zeiten des Anfangs ist beschwerlich. Man verhält sich ihnen gegenüber abweisend. Franz ist dadurch niedergeschlagen. Um der Gefahr der seelischen Verdunkelung zu entrinnen, sucht er Zuflucht in tröstlichen Erinnerungen. Damit weist er auch uns auf eine positive Möglichkeit, in einer unerfreulichen Situation standzuhalten. Franz denkt an Assisi, seine Brüder und vor allem an Klara. Aber bei dem Gedanken an sie stellen sich sogleich auch Sorgen mit ein. Wird Klara nicht an Leib und Seele krank werden unter den äußerst strengen Lebensbedingungen? Wird sie auf ihrem Weg der Armut ausharren können? Die Sorgen, die Zweifel werden so bedrückend und nehmen ein derartiges Gewicht an, dass Franz glaubt, seine Füße würden ihn nicht weitertragen. Mit eindrücklichen Bildern lässt uns die Legende seine kummervolle innere Situation miterleben. Doch dann geschieht das Befreiende: Das Wasser im Brunnentrog verschmilzt mit der Gestalt Klaras, der Widerschein des Mondes mit dem hellen Gesicht der Gefährtin. Ja, Klara ist für Franz reines Wasser, strahlendes Licht jetzt und oft in seinem Leben. In diesem Augenblick verdichtet sich die Erfahrung. Sie wird zu einem Schlüsselerlebnis, das ihm die innere Gewissheit neu schenkt: Du wirst deinen Weg gehen können, und Klara wird den ihren voller Festigkeit und Freude finden. Von dieser ermutigenden Erfahrung her kann man erst richtig verstehen, warum Schwester Mond und Schwester Wasser im Sonnengesang all jene Eigenschaften besitzen, die Klara in sich vereint: Klar geformt, kostbar und schön, hilfreich, demütig, keusch


Literaturverzeichnis:

Klara von Assisi:

Kleinschriften:

Franz von Assisi:

Letzte Änderung: 29.06.2001
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider