Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Ewigkeitssonntag, 23.11.2003
Matthäus 25, 1-13

Begrüßung:

Liebe Gemeinde!
Am Ewigkeitssonntag, dem Totensonntag denken wir in unseren Gottesdiensten an die Verstorbenen des vergangenen Jahres. Dieser Tag am Ende des Kirchenjahres lässt Erinnerungen wach werden an Menschen, mit denen wir unser Leben geteilt haben, die uns wichtig waren. Wir spüren, dass die Trauer uns vielleicht länger begleitet, als wir es dachten, doch gerade in ihr bleiben wir den Verstorbenen in ganz intensiver Weise verbunden, sie sind uns schmerzhaft nah. Die Botschaft dieses Tages geht uns alle an, sind wir doch daran erinnert, wie begrenzt unser Leben - und wie unverfügbar die Zeit, die uns geschenkt ist. Uns allen und all jenen an die wir heute ganz besonders denken gilt die Zusage:
Von uns allen lebt keiner aus sich selbst heraus und kein Mensch stirbt für sich selbst. Leben wir, so leben wir aus Gott, dem Herrn. Sterben wir, so sterben wir in Gott, den Herrn, hinein. Darum: ob wir leben oder sterben, wir gehören dem Herrn.

Gedenken an die Verstorbenen:

Beim Abschied einiger unserer Verstorbener im vergangenen Jahr erinnerte ich an Worte von Elisabeth Lukas: "In der Trauer lebt die Liebe weiter."

"Reichtum beinhaltet nicht die Fülle dessen, was wir sowieso hinter uns zurücklassen müssen. Wahrer Reichtum ist erfülltes Leben - in Hingabe und in vielen wunderbaren Wertebezügen. In Wertbezügen, die, wenn sie enden, betrauert werden müssen. In der Trauer spiegelt sich unser Reichtum wider. Arm ist derjenige, der nichts und niemals etwas zu betrauern hat. Er kann nichts verlieren, weil nichts da ist, wofür sein Herz schlägt. Er ist der Ärmste von uns allen."

In diesem Sinne denken wir an alle, die im vergangenen Jahr aus unserer Mitte verstarben und an alle, die einen Angehörigen verloren haben. Bestärken wir uns in dem Vertrauen, dass in unserer Trauer auch unsere Liebe weiterlebt. In Psalm 31 heißt es:

Ich aber, Herr, hoffe auf dich und spreche: Du bist mein Gott! Meine Zeit steht in deinen Händen.

Herr, Du für uns so unverständlicher, unbegreiflicher Gott! Hab Dank für einen jeden Menschen, der uns auf unserem Lebensweg ein stückweit begleitet hat, mit dem wir einen Teil unseres Lebensweges gemeinsam gehen durften. In deine Hände befehlen wir uns mit unseren vielen verschiedenen Erinnerungen und dem Abschied, der traurig machte und verletzte. In deine Gegenwart befehlen wir alle, die uns lieb waren und die uns nun im Leben fehlen, in deine Gegenwart befehlen wir sie und uns selbst. Sei und bleibe bei uns und deiner ganzen Schöpfung mit deinem guten Geist, durch Jesus Christus unseren Bruder und Herrn.
Amen.

Predigttext:

"Wenn Gott sein Werk vollendet, wird es zugehen wie in der folgenden Geschichte:

Zehn Bräute gingen mit ihren Lampen hinaus, dem Bräutigam entgegen, um ihn zu empfangen. Fünf von ihnen handelten klug, die anderen fünf gedankenlos. Die Gedankenlosen nahmen nur ihre gefüllten Lampen mit, während die Klugen auch noch Öl zum Nachfüllen mitnahmen. Weil der Bräutigam sich verspätete, wurden sie alle müde und schliefen ein. Mitten in der Nacht ertönte der Ruf: `Der Bräutigam kommt, geht ihm entgegen!´ Die zehn Bräute standen auf und brachten ihre Lampen in Ordnung. Da baten die Gedankenlosen die anderen: `Gebt uns von eurem Öl etwas ab, denn unsere Lampen gehen aus.´ Aber die Klugen sagten: `Ausgeschlossen, dann reicht es weder für uns noch für euch. Geht doch zum Kaufmann und holt euch welches!´ So machten sich die fünf auf den Weg, um Öl zu kaufen. Inzwischen kam der Bräutigam. Die fünf Klugen, die darauf vorbereitet waren, gingen mit ihm hinein zum Hochzeitsfest, und die Türen wurden geschlossen. Schließlich kamen die anderen nach und riefen: `Herr, Herr, mach uns auf!´ Aber der Bräutigam wies sie ab und sagte: `Ich versichere euch, ich kenne euch nicht!´ Darum seid wachsam, denn ihr wisst weder Tag noch Stunde im voraus!"


Liebe Gemeinde!

Eine Hochzeit! Ein solches Fest braucht feiernde, fröhliche Menschen, verlangt nach Beziehung und Nähe. Es fordert Zeit und Engagement für die vielen Vorbereitungen: Die Gäste sind einzuladen, Essen und Trinken müssen organisiert, die richtige Kleidung muss gefunden und ausprobiert werden, der Festsaal ist zu schmücken, da gehen viele Stunden und schlaflose Nächte drauf, stundenlange Beratungen und Diskussionen sind nötig. So schön es ist, wenn wir ein Fest feiern dürfen, so sehr sind wir vorher in Anspruch genommen, soll nichts Wichtiges verschlafen und vergessen werden.

Nach orientalischer Sitte treffen sich vor der Hochzeit die Frauen bei der Braut, die Männer beim Bräutigam. Hier werden Liebeslieder gesungen und noch schnell einige Geheimnisse ausgetauscht und gute Ratschläge gegeben. Dort werden vielleicht Witze erzählt und der junge Mann auf die Nacht vorbereitet. Spät macht man sich auf den Weg, um die Braut in das Haus des Bräutigams zu holen. Man hat gegessen und getrunken, ist fröhlich und in ausgelassener Stimmung. Schnell kann es da passieren, dass man später, als erwartet, ankommt. Schließlich hat man Zeit, und die Braut wartet.

Heute, am Ewigkeits- oder Totensonntag, wie dieser Tag im Kirchenjahr heißt, sind wir sicher mit ganz anderen Gefühlen und Gedanken in diesen Gottesdienst gekommen, als uns mit einer Hochzeit zu befassen. Einige von uns haben im vergangenen Jahr einen Menschen verloren, der Ihnen vertraut oder lieb war. Es musste Abschied genommen und gelernt werden, den Tod in das eigene Leben zu integrieren. Da waren diffuse Gefühle zu ordnen, und das Leben des Verstorbenen gedanklich immer wieder aufzuarbeiten. Hier wurde etwas gefunden, was einen miteinander verband, dort etwas, was schöne, aber auch schmerzhafte Erinnerungen wachgerufen hat.

Nein, manchen von uns klingt diese kleine biblische Hochzeitsgeschichte, die so schön beginnt und so tiefernst endet, ungewöhnlich und bedrohlich. Natürlich geht es Jesus nicht um den Gegensatz von "Wachsamkeit" und "Müdigkeit", sondern um die Klugheit des Menschen, bzw. seine Dummheit. Müde sind wir ja alle einmal und schlafen müssen wir auch, es geht also um etwas ganz anderes in diesem Bild, das Jesus verwendet. Seine Frage ist, wie lebt ein Mensch klug und besonnen, und ob er sich Gedanken darüber macht, was ein richtig oder falsch gelebtes Leben ist?

Was mir in meinen vielen Gesprächen auffällt, ist, wie sehr wir heute in den Tag hinein leben, ohne überhaupt noch danach zu fragen, was dieses eine und einmalige Leben sinnvoll macht, wozu wir leben und wie wir mit der Tatsache umgehen, dass unser Leben begrenzt ist. Trotz dessen, dass uns der Tod tausendfach begegnet, bleibt er uns fern und fremd. Er ist immer der Tod eines anderen Menschen. So ist der einzige Zeitraum über den wir tatsächlich verfügen können, ohne uns Illusionen hinzugeben, der "Augenblick" (Kierkegaard) jetzt, nur dieser Augenblick gehört uns, nur in diesem Augenblick können wir Entscheidungen treffen, alles andere ist unverfügbar, ein geliehenes Leben mit einer offenen Zukunft. Jesus will uns also gar nicht in Angst und Schrecken versetzen, wenn er so ein düsteres Bild von den unvorbereiteten Bräuten malt, aber er will unseren Blick darauf richten, dass es eben ein zu spät gibt und dass wir daher unsere Möglichkeiten jetzt nutzen müssen.
In der kleinen Geschichte `vom guten Menschen am Höllentor´ wird uns berichtet, dass die Hölle schließlich einmal so überfüllt war, dass der Teufel selbst vor die Tür gehen musste, um die Bewerber fortzuschicken. "Bei mir ist alles so überfüllt, dass nur noch ein einziger Platz frei ist", sagte er. "Den muss der ärgste Sünder bekommen. Sind vielleicht ein paar Mörder da?" Und nun forschte er unter den Anstehenden und hörte sich deren Verfehlungen an. Was auch immer sie ihm erzählten, nichts schien ihm schrecklich genug, als dass er dafür den letzten Platz in der Hölle hergeben mochte. Immer wieder blickte er in die lange Schlange der Wartenden.

Schließlich sah er einen, den er noch gar nicht befragt hatte. "Was ist eigentlich mit Ihnen, was haben Sie denn getan, dass Sie hier warten?" "Nichts", sagte der Mann. "Ich bin ein guter Mensch und nur aus Versehen hier. Ich habe geglaubt, die Leute ständen hier zum Einkauf an."

"Aber Sie müssen doch etwas getan haben", sagte der Teufel. "Jeder Mensch stellt etwas an." "Ich sah es wohl", sagte der gute Mensch, "aber ich hielt mich davon fern. Ich sah, wie Menschen ihre Mitmenschen beklauten oder belogen, doch ich beteiligte mich nie daran. Sie haben Kinder unterdrückt, auf den Schwachen herumgetrampelt und die Armen missachtet. Überall um mich herum haben Menschen von ihren üblen Taten profitiert. Ich allein widerstand der Versuchung und tat nichts." "Absolut nichts?" fragte der Teufel ungläubig. "Nein!" "Dann komm herein, der Platz gehört dir!"

Und als er den guten Menschen einließ, drückte sich der Teufel zur Seite, um mit ihm nicht in Berührung zu kommen. [1]

Solche "guten" Menschen ohne jeden Fehl und Tadel begegnen mir oft im Leben. Da ist es keine Entschuldigung, dass man in unserer Gesellschaft keine Fehler machen darf, immer groß, stark und perfekt sein sollte. Doch nach Jesu Meinung reicht dieser Maßstab offensichtlich nicht. Es geht doch gar nicht darum, dass wir meinen, ein "guter" Mensch zu sein, und ja auch ohne Glaube, Gott und Kirche ganz gut über die Runden kommen können. Diese Rechtfertigungen, mit denen wir unserem Leben seinen Maßstab setzen, sind die große Lüge, der Selbstbetrug in den Augen Jesu. Darum sagt er seinen Zuhörern: "Seid wachsam, denn ihr wisst weder Tag noch Stunde voraus..."

Wir alle, die wir über den Verlust eines Mitmenschen trauern, wir alle, die wir immer wieder einmal mit dem Wort Gottes konfrontiert sind, wir alle, denen der Glaube so fern und fremd geworden ist, wir alle, denen so vieles andere im Leben wichtiger ist, als die Frage nach Gott, sollten uns eingeladen fühlen, uns gerade angesichts des Todes dem Leben zu stellen und den Augenblick, das "Jetzt" zu nutzen, um im Entscheidenden "klug" zu leben. Die Fun-Gesellschaft vergnügt sich am Leben vorbei, zumindest aber am unausweichlichen Ernst des Lebens, sie spielt ihre Lieder auf der untergehenden Titanik ohne es zu merken und ist entsetzt, entwurzelt, verzweifelt, wenn das Leben einmal anders verläuft, als man selbst es sich dachte.

Nichts gegen Lebensfreude und Lust am Leben, denn nicht umsonst benutzt Jesus gerade das Bild einer Hochzeit, aber das darf nicht dazu führen, dass wir einseitig und verblendet leben.
Wir haben es uns - wie kleine Kinder - angewöhnt, uns einen "lieben" Gott zurechtzulegen, einen Gott, der uns nicht in die Quere kommt und eben das ist töricht, denn wer so denkt, verpasst Gott und lebt an ihm vorbei, weil er im Grunde ja nur sich selbst lebt und dem, was ihm gefällt. Zum Evangelium gehört ganz offensichtlich auch der tiefe Ernst, weil niemand von uns sich seinen Gott so zurechtlegen kann, wie er ihn gerade braucht. Das ist der Selbstbetrug von dem die Welt voll ist.

Die Frage, die Gott uns einmal vorlegen wird, lautet sicher nicht, ob wir viel Spaß im Leben gehabt, unser Häuschen bezahlt und die Erben noch etwas abgekommen haben? Wir werden danach gefragt, wie wir mit dem, was uns mit unserer Menschlichkeit geschenkt war, gelebt haben, ein jeder nach seinen persönlichen Mitteln und Möglichkeiten.

Nein, zu unserer heutigen Nachdenklichkeit und Betroffenheit, zu den Gedanken an den Tod und das Abschiednehmen will uns das Wort Jesu nicht noch mehr bedrücken, deshalb vielleicht das Bild von dem großen, schönen Fest einer Hochzeit. Aber er möchte uns einladen, den "Augenblick" zu nutzen, damit wir uns heute fragen, wozu wir gelebt haben und welche Rolle Gott selbst in unserem Leben einnehmen konnte? Gerade heute am Ewigkeitssonntag sind wir doch - wie so oft auf unserem Friedhof und angesichts der vielen Gräber - danach gefragt, welche Hoffnung wir für die haben, die uns den Weg zu Gott vorangegangen sind, und ob wir selbst mit unserem Glauben die Kraft haben, über Tod und Gräber hinweg zu vertrauen und damit Gott mehr zuzutrauen, als wir verstehen können?

Sagen wir Gott Dank für einen jeden geliebten Menschen, für die Lebenden und die Verstorbenen, und lassen wir sie alle in unserer Liebe leben. Wenn Paulus uns in seinem großartigen Wort von der Liebe sagt: "Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, doch die Liebe ist die größte unter ihnen...", dann sind wir eingeladen jetzt mit dem Glauben anzufangen, damit wir die Hoffnungen geschenkt bekommen, die wir alle zum Leben brauchen, gerade auch angesichts des Todes. Die Liebe aber sprengt alle Grenzen, auch die des Todes. In dieser Liebe begegnet uns Gott, diese Liebe verbindet uns, die Lebenden und die Toten. Das ist der Grund dafür, warum es so wichtig ist, klug zu leben, und eben nicht einfach nur in den Tag hinein.

Danken wir für dieses wegweisende biblische Wort, und vertrauen wir mit den Worten Dietrich Bonhoeffers auf einen Lebensweg, der von Gott selbst begleitet ist:

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Amen.

Literatur:

  1. Quelle unbekannt
Letzte Änderung: 1.09.2003
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider