Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

4. Sonntag nach Trinitatis
Johannes 8, 3-11

Begrüßung:

Liebe Gemeinde! Schnell empören wir uns über die Fehler und das Unrecht anderer, klagen an, urteilen und verurteilen, doch wie schwer fällt es uns, das eigene Unrecht und unsere Schwächen zu erkennen. Das verhärtet Beziehungen, wo es oft gar nicht nötig wäre. Lassen wir uns mit dem biblischen Wort heute einmal dazu einladen, Menschen eine Chance zu geben, offener füreinander zu werden, weil wir alle mit unseren Schatten zu leben haben. Helft einander, eure Lasten zu tragen. So erfüllt ihr die Ordnungen, die Christus uns gibt (Gal. 6,2).

Gebet:

Herr, guter Gott! Wir bekennen ungern, dass keiner von uns ohne Schuld lebt, zu gern machen wir uns selbst und anderen da etwas vor. So hilf uns, bedachter zu leben, damit wir uns nicht unnötig schuldig machen und andere nicht unter unserem Vor-Urteil und Urteil zu leiden haben, dass wir niemanden durch abfällige Bemerkungen anklagen oder entwürdigen. Herr, wie oft werden wir aneinander schuldig, vielfach, ohne es überhaupt noch zu bemerken.

Herr, Gott! Wir danken dir für dein Wort, das uns herausfordert, den Blick ändert, uns zu anderen Verhaltensweisen im Umgang miteinander ermutigt. Wir wissen, wie schwer es ist, einen ersten Schritt aufeinander zu zugehen, damit wir Vorurteile abbauen und einander menschenfreundlich begegnen.

Lehre uns, soziale und gesellschaftliche Ordnungen zu akzeptieren, wo sie Sinn machen und uns im Zusammenleben helfen: in unseren Ehen und Beziehungen, zwischen Männern und Frauen, in der Auseinandersetzung der Generationen, dem Beruf oder im Straßenverkehr. Herr, lass uns selbst daran Teil haben, dass sich unsere kleine Welt hier um uns herum verändern kann, weil wir gelernt haben, anders mit menschlicher Schuld, Schwächen und Fehlern umzugehen.

Herr! Jesus war mit seinem Denken und Fühlen seiner Zeit weit voraus, schenke es auch uns, dass wir heute durch unseren Glauben und mit unserer Menschlichkeit Maßstäbe setzen, durch ihn: Jesus Christus, Amen.

Predigttext:

Da führten die Gesetzeslehrer und Pharisäer eine Frau herbei, die beim Ehebruch ertappt worden war. Sie stellten sie in die Mitte und sagten zu Jesus: »Lehrer, diese Frau wurde ertappt, als sie gerade Ehebruch beging. Im Gesetz schreibt Mose uns vor, dass eine solche Frau gesteinigt werden muss. Was sagst du dazu?« Mit dieser Frage wollten sie ihm eine Falle stellen, um ihn anklagen zu können. Aber Jesus bückte sich nur und schrieb mit dem Finger auf die Erde.

Als sie nicht aufhörten zu fragen, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: »Wer von euch noch nie eine Sünde begangen hat, soll den ersten Stein auf sie werfen!« Dann bückte er sich wieder und schrieb auf die Erde. Als sie das hörten, zog sich einer nach dem andern zurück; die Älteren gingen zuerst. Zuletzt war Jesus allein mit der Frau, die immer noch dort stand. Er richtete sich wieder auf und fragte sie: »Frau, wo sind sie geblieben? Ist keiner mehr da, um dich zu verurteilen?« »Keiner, Herr«, antwortete sie. Da sagte Jesus: »Ich verurteile dich auch nicht. Du kannst gehen; aber sündige zukünftig nicht mehr (und achte die Ordnungen, die wir alle zum Leben brauchen)!«

Johannes 8, 3-11


Liebe Gemeinde!

Wie schön ist es doch, wenn wir an einem Sonntag in der Kirche sitzen, an dem ein Text ausgelegt wird, mit dem wir Gott sei Dank (!) nichts zu tun haben, denn wer von uns geht schon fremd, wie es im Volksmund heißt? Fremdgehen, das tun immer nur die Anderen. Wie gut für uns, wie übel für jene, denen das passiert, aus welchem Grund und Anlass? Wir können also hier sitzen und unsere Hände in Unschuld waschen, oder?

Ehebruch ist heute ja nicht einmal mehr strafbar, die Ehe ist zur Privatsache geworden, die keinen anderen etwas angeht. Delikat wird die Sache nur, wenn ein solches Delikt in die Öffentlichkeit getragen oder von den Medien laut- und auflagenstark publiziert wird, weil es sich um eine bekannte Person handelt. Darf man der öffentlichen Meinung folgen, so gehört ein kleiner Seitensprung zu jeder besseren Weihnachtsfeier, dem Betriebsfest, einer größeren Geburtstagsfete. Anlässe gibt es genug und tiefere Gründe scheinbar auch. Die Scheidungszahlen sprechen für sich, vor allem aber werfen sie ein dunkles Bild auf Deutschlands Ehen.

Aus meiner seelsorgerlichen Praxis weiß ich, dass die Liebe heute gerade dadurch belastet ist und unsere Beziehungen so vielfältig in Frage stellt, weil wir uns nie von einer rosaroten Vorstellung der Liebe verabschiedet haben. Aber, ist es denn nicht viel schöner, wenn man in seiner Ehe auch die Probleme, Konflikte, die Tiefen und das Dunkle gemeinsam tragen und meistern lernt, ohne wegzulaufen? Hier bewährt sich doch, was wir auf dem Standesamt mit unserer Unterschrift bezeugt haben und in der kirchlichen Trauung vor Gott und in die Öffentlichkeit brachten. Aus meiner Erfahrung als Seelsorger weiß ich, dass unsere Ehen gerade durch diese romantische Sicht der Liebe bedroht sind, Liebe und Verliebtheit dadurch aber verwechselt werden. Daran scheitern so viele Beziehungen und Ehen, sie ertragen den grauen Alltag nicht und dazu wäre einmal mehr zu sagen.

Was uns in unseren Beziehungen zu aller erst fehlt, ist die Bereitschaft, sich gerade in Konfliktsituationen auseinander zu setzen, ohne gleich wegzulaufen, oft macht man es sich heute wirklich zu leicht und vergisst darüber, dass der Mensch, mit dem ich jetzt ein Problem habe, derjenige ist, den ich einmal liebte. Uns fehlt vielfach das Bewusstsein dafür, was der dänische Theologe Sören Kierkegaard einmal in einer Trauansprache so zum Ausdruck brachte und was sicher - recht verstanden - auch zu einer wirklich guten Beziehung dazu gehört:

"... die Trauung (ist) keine festliche Beglückwünschung, sondern eine gottesfürchtige Aufforderung, die Liebenden nicht als Siegende (zu sehen), sondern lädt sie ein zum Streit, steckt ihnen den Gott wohlgefälligen Kampfplatz des Ehestandes ab, mahnt sie einen guten Kampf zu kämpfen, stärkt die Streiter durch den Bund, gelobt ihnen den Sieg, ..., gibt ihnen den Segen mit auf die lange Reise, unterrichtet sie aber zugleich auch davon, dass der Streit da ist: Streit, der durchkämpft werden soll, Mühe, die ausgehalten werden soll, Gefahr, die versucht werden soll, Fluch, wo dies nicht einträchtig getragen wird als ein Segen ..." [1]
Die erzählte Geschichte greift aber tiefer, der Ehebruch der Frau steht hier für vieles, womit wir uns aneinander schuldig machen. Daher fordert sie uns alle heraus, geht es hier ja um einen Einbruch in die sozialen Ordnungen einer jeweiligen Zeit.

Es wäre eine billige Vereinfachung des Problems, wenn wir für uns und andere schlicht festhalten würden: "wir sind alle kleine Sünderlein ...", so einfach und billig können wir uns nicht herausreden. Denn wären wir nicht die Ersten, die Schuld und Versagen anderer anprangern würden, wenn unsere eigene Freiheit, unser Recht, unser Besitz berührt wären? Von daher wird das Problem sehr bald zu unserem eigenen, denn tatsächlich lebt keiner von uns so, dass er den ersten Stein in die Hand nehmen und ihn werfen dürfte. Dennoch sind wir heute schnell dabei, mit Steinen, wie immer sie aussehen mögen, auf andere zu werfen, das geschieht durchaus nicht nur handgreiflich bei Straßenkrawallen.

Hören wir noch einmal auf den Text: Es geht um eine Frau, die beim Ehebruch ertappt wird. Frauen gehören ihren Männern, sie sind ein Teil seines Besitzes. Der Mann dieser vorgeführten Frau ist also durch ihr Vergehen in seinen Eigentumsverhältnissen berührt. Doch das ist ja nur eine Seite, denn zu schnell wird vergessen, dass zu einem Ehebruch immer zwei gehören.

Da stehen die selbstgerechten, selbstgefälligen Ankläger dieser Frau, die mit ihrer Frage aber sehr viel mehr Jesus selbst treffen wollen. Wie wird er sich bei dieser ganz offensichtlichen Schuld verhalten? Er schweigt, beugt sich nur auf die Erde herunter und schreibt etwas mit den Fingern in den Sand. Als das Fragen und Anklagen kein Ende nimmt, richtet er sich auf und sagt diesen sprichwörtlichen Satz: "Wer von euch noch nie eine Sünde begangen hat, soll den ersten Stein auf sie werfen!" Damit fordert Jesus den Ersten heraus, der sich aus der Masse lösen müsste, um einen Stein aufzunehmen und zu werfen. Wirft einer, wir kennen das, dann auch die vielen anderen. Bleibt aber der erste Stein bereits liegen, so folgen die weiteren oft ebenfalls nicht. Der erste, das soll derjenige sein, der ohne Schuld ist, und wer könnte das schon von sich von sich behaupten?

Was Jesus uns hier vorexerziert, ist ein anderer Umgang mit menschlichem Vergehen und Schuld, dem Durchbrechen vereinbarter und damit auch verbindlicher Ordnungen. Schweigend wendet sich die Menge ab. Jesus selbst wirft keinen Stein, sie folgen seinem Beispiel. Dabei bleibt das, was die Frau und ein anderer Mann getan haben, Unrecht, ihr Vergehen, ein Vergehen, da wird nichts beschönigt oder gerechtfertigt. Aber Jesus wendet ihr, seinen Jüngern und Gegnern, er wendet uns den Blick, weil wir alle sind, wie sie und der Mann, mit dem sie Ehebruch getrieben hat, nämlich eingebunden in menschliches Versagen und Schuld.

Das Schuldigwerden des Menschen durch das Übertreten und Durchbrechen fixierter Ordnungen, gehört zu seiner Freiheit, zum Ja und zum Nein, zum Tun oder zum Verweigern, zur Aktivität oder Passivität. Daher gilt, dass gerade auch in einer liberaleren Rechtsordnung vereinbarte Ordnungen einzuhalten sind. Sie regeln das Miteinander in komplizierten gesellschaftlichen Beziehungsfeldern.

Schauen wir in die Geschichte des Menschen, so sehen wir, wie notwendig es ist, dass Ordnungen sich wandeln und nicht zu einem starren Recht werden, denn "nur die korrigierbare Ordnung ist eine barmherzige Ordnung ..." [2] So lässt Jesus dieser vorverurteilten Frau die Chance zu einem änderbaren Verhalten und Leben, gerade das ist es, was ihre Ankläger ihr nicht einräumen und was von Jesus stillschweigend kritisiert wird. In unserer kleinen Geschichte geht es also beispielhaft um den Umgang mit Versagen und Schuld.

Auch in der jungen Christenheit wusste man darum, niemand war plötzlich ein besserer Mensch geworden, nur weil man sich hatte taufen lassen und Christ geworden war. So musste eine Antwort auf die Frage gefunden werden, wie man in der christlichen Gemeinde damit umgehen sollte, wenn jemand sich schuldig machte? Und Jesus gab die Antwort auf seine Weise, - befreiend und Zukunft ermöglichend.

Wie schnell rechtfertigen und entschuldigen wir uns heute mit der Aussage: "was soll ich in der Kirche, ich bin doch ein anständiger Mensch ..." Hier wird gar nicht erkannt, dass es gar nicht darum geht, dass wir anständige Menschen sind, das wird ohnehin von allen Menschen erwartet. Es geht darum, wie wir unseren Glauben leben, ihn zu einem persönlichen Anliegen und doch auch öffentlich machen, denn Rechtsfragen sind keine Privatangelegenheiten, weil das Zusammenleben Vieler organisiert werden muss. So bleibt auch unser Glaube immer eine private, wie öffentliche Aufgabe.

In zahlreichen Geschichten der Bibel wird uns gezeigt, wie Jesus mal die Kinder, mal die Kranken, mal die Schuldiggewordenen und die Menschen in den Blick aller rückt, die ausgegrenzt und an den gesellschaftlichen Rand geschoben werden. In all diesen Texten geht es in immer neuen Varianten um die Frage, wie Jesus selbst sich dazu verhält, wie er Ausgrenzung, Leid, Unrecht, Krankheit und Not begegnet, begrenzt und vielfach sogar aufhebt, um damit deutlich zu machen, wie anders die Wirklichkeit Gottes aussieht, als unsere Wirklichkeit. Es ist banal, aber wir bleiben nun einmal eingebunden in alle erdenkliche Schuld und Versagen, in Krankheit und Not, soziale Ungerechtigkeit, in Abhängigkeit von Glück und Erfolg oder Unglück und Misserfolg, von erfahrenen Chancen und vertanen Gelegenheiten.

In der Begegnung mit diesem Menschen Jesus von Nazareth begegnet uns der menschenfreundliche Gott, und mit diesem begegnen wir "einem neuen Himmel und einer neuen Erde ..." (Off. 21,1). Da wird unser Gespür dafür geweckt, wie vorsichtig wir mit unseren Urteilen sein müssen, weil wir alle vielfach bedroht leben, und es sich sehr viel einfacher leben lässt, wenn wir einander auf unserem Weg zur Seite stehen, wo immer es geht. Holen wir denn nicht gerade so ein kleinwenig Himmel auf die Erde und machen Mut dazu, auch in den Tiefen die Hoffnung nie zu verlieren?

Wir alle wissen, wie sehr wir uns oft aneinander in unseren Lebensbezügen und Beziehungen schuldig machen: kompromisslos leben, hart und verurteilend sind, unversöhnlich, anstatt versöhnt leben. Vergessen wir denn nicht zu oft, wie sehr wir selbst auf Vergebung angewiesen sind? So gehört, wird unser kleiner Text plötzlich zur Geschichte einer Heilung, einer Befreiung. Einem schuldigen Menschen wird die Möglichkeit zu einer veränderbaren Zukunft geschenkt, Perspektiven öffnen sich, Hoffnung ist wieder möglich, so wie die Luft zum Atmen, zu einem befreiten Weiterleben und neuen Anfängen, weit über belastete Beziehungen hinaus, ja selbst in ihnen.

Die Richter, wie die Vorverurteiler ziehen sich zurück, sie schweigen und leben selbst verurteilt weiter. Natürlich, wir kennen das aus unserer Welt, behalten sie die Steine griffbereit. Wir wissen nicht, wie die Frau damals mit der ihr geschenkten Freiheit weiterlebte, das Geschenk der Freiheit ist ja immer risikobehaftet. Doch Jesus geht es ein. Damit können auch wir leben! Wir machen uns schuldig, wir dürfen versagen, wir müssen weder vor Gott noch vor anderen Menschen immer perfekt sein, wir dürfen daher selbst Vergebung annehmen und gewähren. Wo das geschieht, wird für viele Menschen neues Leben möglich - mitten im alten.
Amen.


Literatur:

  1. Kierkegaard, S., Auswahl aus dem Gesamtwerk, Köln 1961, S. 195
  2. Schmidt-Rost, R., Göttinger Predigten im Internet, 4. Sonntag nach Trinitatis,
    Johannes 8, 3-11, 2001, S. 3
Letzte Änderung: 09.07.2001
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider