Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Ostern, 15.4.2001

Christus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!
Eingangsspruch: Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang sei gelobet der Name des Herrn.

Gebet:

Herr - Ostern! Aufstand des Lebens und der Protest Gottes gegen den Tod. Sich Wundern öffnen, die um uns herum geschehen und in Bewegung kommen, auf einen Weg, der Leben schenkt, der Hoffnung ermöglicht und Liebe, auch wenn es einmal schwer fällt. Ihm, dem Gekreuzigten zutrauen, dass er in unserem Glauben - gegen allen Verstand und besseres Wissen - lebendig und in unserer Mitte gegenwärtig ist, das ist ja wirklich kaum zu glauben. Darum: Herr erbarme dich.

Wir bekennen unseren Glauben in Worten und im Geist unserer Zeit:

Ich glaube an den lebendigen Gott, den Schöpfer Geist,
der den Kosmos und die Welt erschaffen hat,
all das, was wir sehen und wahrnehmen und alles,
was uns unsichtbar und unverständlich ist.

Ich glaube - mit allen Christen weltweit - an Jesus Christus:
den Sohn Gottes und des Menschen Bruder.
Er lebte, um von Gott aus Wege zu gehen, die kein Mensch gehen wollte.
Er lebte, um nach Menschen zu sehen, die niemand sah.
Er lebte, um mit Menschen zu sprechen, von denen keiner etwas wissen wollte.
Er lebte, um die Hand zu reichen, wo andere aufeinander einschlugen.

Weil ich an Ihn glaube, teilt er auch mein Leben:
Als seine Füße darf ich neue Wege gehen.
Als seine Augen nach den Menschen sehen.
Als sein Mund Worte des Vertrauens sagen.
Als seine Hände den Frieden wagen.

Von ihm weiß ich - mit allen - die an ihn glauben:
Warum wir leben, was wir zu tun oder zu lassen haben,
worauf wir unsere Hoffnung setzen.

Ich glaube an den Heiligen Geist, der uns dazu fähig macht.
So ehre ich Gott den Vater, Gott den Sohn und Gott den Heiligen Geist in und mit meinem Leben und dem Leben aller Christen dieser Welt. Amen.

Predigttext:

Maria stand noch draußen vor dem Grab und weinte. Dabei beugte sie sich vor und schaute hinein. Da sah sie zwei weißgekleidete Engel. Sie saßen an der Stelle, wo Jesus gelegen hatte, einer am Kopfende und einer am Fußende. »Frau, warum weinst du?« fragten die Engel. Maria antwortete: »Sie haben meinen Herrn fortgetragen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben!« Als sie sich umdrehte, sah sie Jesus dastehen. Aber sie wusste nicht, dass es Jesus war. Er fragte sie: »Frau, warum weinst du? Wen suchst du?« Sie dachte, er sei der Gärtner, und sagte zu ihm: »Herr, wenn du ihn fortgenommen hast, dann sag mir, wo du ihn hingelegt hast. Ich will hingehen und ihn holen.« »Maria!« sagte Jesus zu ihr. Sie wandte sich ihm zu und sagte: »Rabbuni!« Das ist hebräisch und heißt: Mein Lehrer! Jesus sagte zu ihr: »Halte mich nicht fest! Ich bin noch nicht zum Vater zurückgekehrt. Aber geh zu meinen Brüdern und sag ihnen von mir: 'Ich kehre zurück zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.'« Maria aus Magdala ging zu den Jüngern und verkündete: »Ich habe den Herrn gesehen!« Und sie richtete ihnen aus, was er ihr aufgetragen hatte:

Joh. 20, 11 - 18


Christus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!
Liebe Gemeinde,

wie schnell ist das gesagt und heute gehört, doch wie schwer ist es nachvollziehbar, was uns da von der Auferstehung Jesu berichtet wird. Das Osterzeugnis, immer und immer wieder mit schallendem Jubel durch die Geschichte der Menschheit hindurch verkündigt, stößt heute auf zunehmend taube Augen und Ohren. Einer Welt, die immer stärker um Hoffnung ringt, weil sie ihr abhanden zu kommen scheint, wird nun erst recht die Botschaft von der Auferstehung Jesu zugemutet. Das schier Unglaubliche wird heute weltweit vernommen und unsere Welt- und Wirklichkeitserfahrung damit hinterfragt.

Stellen wir uns das einmal vor, so wie es uns berichtet wird: Da ist ein gekreuzigter Toter, der von seinen Freunden schnell und möglichst unauffällig bestattet wird. Denn wer hat schon den Mut, sich zu stark mit diesem Mann aus Nazareth zu beschäftigen, nachdem Juden und Römer froh sind, diese leidige Affäre aus der Welt geschafft zu haben. Und doch ist da diese Maria, die ihrem Jesus so viel verdankt. Sie kommt zum Grab, um zu trauern und in Ruhe Abschied zu nehmen, von dem Menschen, den sie lieb hatte.

Diese Maria, sehen wir in drei biblischen Szenen: unter dem Kreuz, am Ostermorgen und als Predigerin [1]. Doch in der Tradition bekommt sie schließlich die Züge jener unbekannten Sünderin aus dem Lukasevangelium, dargestellt "im langen Haar-Gewand, wird Prostituierte, Büßerin und Heilige. Bis hin zu den "Magdalenenstiften" Johann Hinrich Wicherns galt sie als Symbolfigur für gefallene Mädchen [2]

In ihren Gedanken, auf den Tod fixiert, stößt sie auf ein leeres Grab. Wohl nie wäre sie auf den undenkbaren Gedanken gekommen, an eine Auferstehung Jesu von den Toten zu glauben. Nein, sie glaubt ganz schlicht, dass er vielleicht in ein anderes Grab gelegt wurde, vielleicht aber aus politischen Gründen versteckt worden ist, um seinen Anhängern den Wallfahrtsort zu nehmen. Doch was ist das für ein Grab, dem der Tote genommen ist? Sie steht da und schaut hinein, sprachlos, denn was sollte sie in einer solchen Situation schon sagen können oder gar tun? Hier hat ihr Suchen ein Ende. Wie ihr der Lebende genommen wurde, so nun auch noch der Tote.

Was sie tut, ist menschlich ganz verständlich. Wer von uns hat denn noch kein Grab besucht, um dort an einen Menschen zu denken und erinnert zu werden, der einem nahe stand oder dem man in ganz besonderer Weise verbunden war? Aber dieses Grab ist leer. Ihr Jesus ist ein Toter unter vielen namenlosen Toten dieser Welt geworden.

"Es geht um die Erfahrung, die es erlaubt, die Gräber leer zu sehen. In der Logik des Todes, die Jesus tötete, bleiben Menschen Gefangene der Erde ..." [3]

Ist das nicht oft unsere eigene Erfahrung? Wir versuchen ja zu glauben, auch angesichts der Gräber dieser Welt, doch was wollen wir dort erfahren, finden, begreifen, an unser Leben anbinden? So stehen wir dort und sind merkwürdig leer, leer - wie ein ausgeplündertes Grab.

Wie unsinnig erscheint uns da die Frage der Boten Gottes nach dem Weinen dieser Frau. Fast verständnislos klingt uns die Frage: Was weinst du? Und Maria sagt nicht mehr und nicht weniger, als dass ihr der Mensch weggenommen wurde, der ihr lieb und wichtig war. Da ist kein Verwundern über merkwürdige Gestalten, da ist nichts mehr, was sie fesselt - daher wendet sie sich ab vom leeren Grab. Sie schaut weg von dem Ort, der sie so sehr angezogen hat, dass sie alle Angst vergisst - und dabei sieht sie ihn plötzlich, den Unerwarteten, doch ohne ihn zu erkennen.

Sie ist am Ziel ihrer Wünsche, doch sie erkennt ihn nicht. Menschliche Trauer hält sie gefangen. Sie steht vor einer neuen Welterfahrung, ohne diese Realität jedoch wahrnehmen zu können. Maria hält den Mann für einen der Gärtner, sie fragt ihn, ob er ihr helfen kann, den Toten zu finden? Doch der Unerkannte spricht nur ein einziges Wort. Er nennt sie bei ihrem Namen: Maria! Und wieder schaut sich Maria um - und diesmal erkennt sie ihn. Sie erlebt in diesem Moment, was auch wir gelegentlich erleben können, wenn ganz unerwartet ein Mensch in der Tür steht, mit dem wir nie gerechnet hätten und den wir nun, ganz begeistert, mit dem erstaunten Ausruf begrüßen: bist du es wirklich, das ist ja kaum zu glauben? Dabei steht der Besucher ja fassbar vor uns.

Was uns hier so plastisch erzählt wird, sind die befreienden Schritte einer Erkenntnis. Maria muss sich umschauen, umtun, wegsehen lernen, sich bewegen, um erkennen zu können. Denn das befreiende Wort kommt von außen. Sie kann es sich nicht selber sagen. Sie hat sich auf den Weg gemacht, einen Toten zu suchen, wird nun aber von ihrem Herrn persönlich angesprochen. Nicht sie erkennt Jesus, sondern er findet sie, er spricht sie an, er ermöglicht der Suchenden das Sehen, Hören und Erkennen.

Es ist schwer zu begreifen, was dort zwischen den Gräbern geschieht. Aber es ist nur allzu verständlich, dass sie ihn sofort anfassen und umarmen möchte, ihn nun nicht mehr hergeben oder noch einmal verlieren will. Aber der Auferstandene wehrt diesen Versuch ab, ihn besitzen zu wollen. Er ist nicht mehr fassbar, er gehört nicht mehr den wenigen, sondern der Welt. Maria, die Frau, wird beauftragt, zu einer Apostelin für die Apostel zu werden. Sie, die Frau, wird den Männern in der Gefolgschaft Jesu die Osterbotschaft verkündigen, bevor es die ganze Welt zu hören bekommt. Und sie tut dies in der Gewissheit - wie wir es verschiedentlich besungen hören - "Ich weiß, dass mein Erlöser lebt ..."

Tenorsolo (Bernhard Seiffert, Ph. Telemann): "Ich weiß, dass mein Erlöser lebt ..."

Sicher, es gibt keinen Beweis der Auferstehung. Was Maria damals an dem Grab Jesu in Jerusalem wahrnimmt, können wir heute nicht mehr so ohne weiteres nachvollziehen, aber ihren Glauben, ihr Vertauen dürfen wir teilen, dass Gott Erfahrungen möglich macht, bei denen wir mit unserem Verstand am Ende sind. Die Osterbotschaft, die wir heute zu hören versuchen, macht uns also Mut zu einem fundierten Glauben und ein gelingendes, menschenfreundliches Leben. Auch wir sind eingeladen, uns umzuschauen, uns neu zu orientieren, zu fragen und zu suchen, uns auf den Weg zu machen. Erst, wo wir uns auf diese Weise aus unseren althergebrachten Bindungen und Denkstrukturen lösen, werden wir die uns fesselnden Todesstrukturen erkennen und hier und da sogar angehen können. War das Kreuz das Zeichen der Solidarität Gottes mit unserem vielfach bedrängten Leben, so steht die Auferweckung Jesu von den Toten für einen Akt der Neuschöpfung.

Gott sagt sein Nein gegen die verbrauchten Verhältnisse und Verhaltensweisen, mit denen wir leben und das Leben erleben. Aber er sagt sein Ja zu einem neuen Anfang, der mitten aus diesem alten Leben heraus geschehen kann und möglich ist. Die Auferweckung Jesu vom Tod ist nur als ein revolutionärer Akt von Gott aus für uns zu glauben. Doch wenn wir diesen Einen nicht mehr bei den Toten vermuten, dann muss das Konsequenzen haben für unseren Glauben, für unser Leben, für das Leben aller in dieser Welt.

Karl Barth
sagte 1947 in seinem Vortrag "Christus und wir Christen" in herausfordernder Weise einmal:

Wir sind Christen, indem es geschieht, dass Christus uns dazu beruft, Christen zu sein. Wir sind nicht also etwa Christen, indem wir Menschen des sogenannten christlichen Abendlandes sind. Wir sind auch nicht Christen, indem wir Glieder eines sog. christlichen Volkes sind. Wir sind es auch nicht, weil wir in einer sog. christlichen Familie und Umgebung aufgewachsen sind. Wir sind es aber auch nicht, weil wir eine sog. christliche Veranlagung haben. Eine solche christliche Veranlagung könnte uns auch ganz anderswohin führen ... Wir sind auch nicht Christen, weil wir eine sog. christliche Weltanschauung haben, weil wir uns einer christlichen Moral befleißigen oder vielleicht gar für Staat und Kirche ein christliches Programm im Kopfe haben! Man kann nicht Christ sein, wie man Mitglied einer Partei oder eines Vereins ist, und man ist auch nicht Christ, wie man katholisch oder lutherisch oder reformiert ist. Das alles ... hat mit dem Ruf Christi noch nichts zu tun ...

Aller christliche Glaube kann nur ein Anfang sein. Es ist ein Anfang, dass wir inmitten aller Menschen, die noch nicht glauben oder nicht mehr glauben, diesen Glauben haben, dass wir diese Position der Vorhut einnehmen dürfen. Und der Glaube ist auch in uns selber ein Anfang ... So sind wir Christen anders als die Anderen. Wir sind es, indem wir als Sünder unter Sündern, als Verlorene unter Verlorenen diesen Anfang machen und besser als sie wissen dürfen, dass wir nicht besser sind ..." [4]

Wie ermutigend mögen diese Sätze auf dem Hintergrund des gerade verlorenen 2. Weltkrieges geklungen haben, in einer Zeit voller Zerstörung, Flucht, Not, Vertreibung, Schuld und Tod, dem Hunger, nach Brot, Frieden und Leben? Sätze, die dennoch nach vorne weisen und auf eine hoffnungsvollere Zukunft aufmerksam machen, die möglich ist, jenseits der Kreuze, die wir uns aufrichten.

Natürlich bleiben wir Christen, wie alle anderen Menschen, Schuld und Versagen verbunden, wir machen uns da gar nichts vor. Doch ebenso wissen wir mit dem Fest der Auferstehung, dass wir aus jeder Situation unseres Lebens heraus diesen Neuanfang wagen dürfen. Nichts kann uns daran hindern. Das ein für allemal gesprochene Ja Gottes zu dieser Welt und ihrem oft beklagenswerten Zustand, kann jetzt uns selbst einmal bewegen und lässt uns neu für diese Welt und ihre Zukunft hoffen.

Feiern wir daher das Fest der Auferstehung als ein Fest der Bewegung, eines Neuanfangs. Denn uns ist ein Glaube geschenkt, der in sich die Hoffnung für die Zukunft unseres Lebens trägt. Das verändert die alten Realitäten zu einer neuen Lebenserfahrung. Hören, sehen und begreifen wir das in der Begegnung mit dem Auferstandenen neu, dann werden wir einstimmen können in den unglaublichen Jubel, der das Osterfest seit dem ersten Ostertag an begleitet, wo immer sich Menschen getroffen und als Christen erkannt haben. Darum gilt es auch für uns, unsere Welt und Zeit: Christus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!
Amen.


Literatur

  1. Kurz, E., in: Calwer Predigthilfen, 2000/2001, 1. Bd., Reihe V/1, Stuttgart 2000, S.195
  2. Kurz, E., a.a.O., S. 195f
  3. Drewermann, E., Das Markusevangelium, 2. Teil, Olten/Freiburg 19914, S. 709
  4. Barth, K., Christus und wir Christen, ein Vortrag, Zürich, Sommer 1947, S. 3f und 7

Letzte Änderung: 17.04.2001
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider