Pfingstrose

Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Pfingsten, Johannes 16, 5-7, 12-14
Der Geist der Wahrheit

Begrüßung:

Liebe Gemeinde! Gedanklich fordert uns Pfingsten unter den Festen des Kirchenjahres am meisten heraus. Gern nehmen wir freie Tage, Ferien und Urlaub in Anspruch, aber was fangen wir mit den Inhalten dieses Festes an? Es geht um die Kirche, es geht um den Geist, aber liegt uns heute nicht doch Anderes sehr viel mehr am Herzen? Fragen wir mit diesem Gottesdienst einmal nach der Begründung des Pfingstfestes, um es für unser Leben sinnvoll werden zu lassen. So spricht der Herr: "Ich will euch meinen Geist geben ...!"

Gebet:

Herr unser Gott, dir sagen wir Dank für dein Wort und deinen guten Geist. Dir danken wir für die Gemeinschaft, die immer wieder in unserer Mitte spürbar und sichtbar wird.

Schenke uns das Vertrauen, dass dein guter Geist unser Leben, unser Denken und Tun begleitet. Lass uns geistvoller leben und miteinander umgehen in unseren Ehen, Beziehungen und Familien, in unseren Berufen, dort, wo wir uns in Vereinen, Organisationen oder Parteien engagieren. Wir rechnen mit deinem Geist hier in unserer Mitte, in unseren Kirchen, anderen Konfessionen und Religionen und gib, dass gerade der Glaube aller Menschen zu einem umfassenden Frieden in der Welt beiträgt.

Lass uns all jenen in rechter Weise begegnen, die uns brauchen, den Kindern, den alten Menschen, den Kranken und Behinderten, alle Menschen, die an den Rand geschoben werden und unbeachtet bleiben. Sei bei allen in unserer Mitte, die traurig und einsam sind, lass auch sie in den dunklen Stunden ihres Lebens deinen guten Geist verspüren. Herr bleibe bei uns und bei deiner Kirche in der weiten Welt.
Amen.

Predigttext:

Jetzt gehe ich zu dem, der mich gesandt hat. Doch niemand von euch fragt mich, wohin ich gehe. Ihr seid nur traurig, weil ich euch dies alles gesagt habe. Aber glaubt mir, es ist gut für euch, dass ich fortgehe; denn sonst wird der Helfer nicht zu euch kommen. Wenn ich aber fortgehe, dann werde ich ihn zu euch senden, und er wird meine Stelle einnehmen.

Ich hätte euch noch vieles zu sagen, doch das würde euch jetzt überfordern. Aber wenn der Helfer kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch anleiten, in der vollen Wahrheit zu leben. Was er euch sagen wird, hat er nicht von sich selbst, sondern er wird euch nur sagen, was er hört. Er wird euch jeweils vorbereiten auf das, was auf euch zukommt. Er wird meine Herrlichkeit sichtbar machen; denn was er an euch weitergibt, hat er von mir.


Liebe Gemeinde!

Pfingsten! Was für ein Tag, vor allem, wenn die Sonne scheint, Ferien und Urlaubstage dazu verlocken, eine erholsame Pause in den Ablauf des Lebens einzuschieben, sich ein wenig Ruhe zu gönnen und Abstand zu den alltäglichen Dingen, die einen beschäftigen, zu bekommen. Pfingsten, freie Tage, Urlaubstage, Gott sei Dank! Doch war da nicht noch etwas? Wie ja überhaupt die meisten freien, Ferien- und Urlaubstage sich um die großen Feste der Kirche herumlegen. Doch wer erinnert sich heute noch daran?

Fragen Sie einmal einen Jugendlichen, was er mit dem Pfingstfest anfängt, fragen Sie, wen Sie wollen, nach einer sinnvollen Begründung dieses Festes, was freie, Ferien-, und Urlaubstage rechtfertigen könnte, Sie würden erstaunen, wie wenig man da zu hören bekäme. Dabei gäbe es ja die Kirche gar nicht, die kirchlichen Feste und Feiertage, ohne den Grund dieses Festes - und der hat mit dem Geist zu tun.

Doch da tut sich ein weiteres Problem für uns moderne Menschen auf. Denn was bedeutet dieser Geist, der Geist der Wahrheit, oder einfacher, was ist "Wahrheit" angesichts einer Welterfahrung, die das Lauwarme, das Graue, die Halbwahrheit, das Diplomatische liebt, in der es in allen Bereichen des täglichen Lebens mehr um die Sicherung des eigenen Lebens, des eigenen Fortkommens, des eigenen Erfolges, der eigenen Bequemlichkeit geht, als darum, sich ernstlich auseinander zu setzen, Stellung zu beziehen, sich angreifbar zu machen. Unzählige Beispiele ließen sich dafür finden von der großen Politik über Werbung, die Medien, die bis hinein in das kleine persönlich gestaltete Leben. Wie oft wird anderen etwas vorgegaukelt, was so nicht stimmt oder nur einen geringen Wahrheitsgehalt hat? Doch auch die halbe Wahrheit, sehr kalkuliert an den Mann und die Frau gebracht, ist sehr schnell eine richtige, faustdicke Lüge.

Jesus nimmt in einer großangelegten, tiefgründigen Rede von seinen Jüngern Abschied. Er sieht, was für Wege vor ihnen liegen, weil er sich nichts über seinen eigenen Lebensweg vormacht. Die Jünger sind ahnungslos, sie sind ganz auf ihn fixiert, sie hören auf das, was er ihnen sagt, sie erleben ihn in dem, was er tut, sie essen und trinken mit ihm, wandern über die staubigen Straßen. Aber sie sind taub für das, was auf sie alle zukommen wird. Und keiner fragt danach, sie leben in den Tag hinein und freuen sich an der Gegenwart dieses merkwürdig berühmten, vollmächtigen Lehrers. Ihnen ganz und gar nicht bewusst, bereitet Jesus sie auf die Zeit nach seinem Tode vor, er führt sie auf diese traurige, harte Wahrheit hin - keine Halbwahrheit, keine kleine Lüge.

Er spürt ihre Traurigkeit, die jedoch ohne Konsequenzen bleibt und verspricht ihnen den Geist der Wahrheit. Einen Geist, der nicht aus sich selbst herauslebt, sondern aus Gott dem Vater und dem Sohn. Dieser Geist ist der Brückenschlag von Gott zum Menschen und vom Menschen zurück zu Gott. Es ist der Geist, der bei allen Fehlern und Schwächen der Kirche, auch in ihrer langen Geschichte, in ihr lebendig gehalten, von Generation zu Generation weitergegeben wird.

Ich erinnere noch einmal an den großen Schriftsteller Heinrich Böll, einem kritischen Katholiken, der vor Jahren auf eine Rückfrage in Bezug auf die Kirche antwortete:

Doch die andere Vorstellung ist weit gespenstischer: wie diese Welt aussähe, hätte sich die nackte Walze einer Geschichte ohne Christus über sie hinweggeschoben; Baal und Mammon, die aztekischen Götter. Ich überlasse es jedem einzelnen, sich den Alptraum einer heidnischen Welt vorzustellen oder einer Welt, in der Gottlosigkeit konsequent praktiziert würde: den Menschen in die Hände des Menschen fallen zu lassen. Nirgendwo im Evangelium finde ich eine Rechtfertigung für Unterdrückung, Mord, Gewalt; ein Christ, der sich ihrer schuldig macht, ist schuldig ... (Aber) unter Christen ist Barmherzigkeit wenigstens möglich ...

Ich weiß: die Geschichte der Kirchen ist voller Greuel; Mord, Unterdrückung, Terror wurden ausgeübt und vollzogen, aber es gab auch Franziskus, Vincent, Katharina - ... Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab, für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache, und mehr noch als Raum gab es für sie Liebe, für die, die der heidnischen wie der gottlosen Welt nutzlos erschienen und erscheinen ... [1]

Hier wird etwas angedeutet von diesem Geist der Wahrheit, der trotz allem immer wieder in der Kirche spürbar ist, uns aber gerade als der Geist der Wahrheit zur Bescheidenheit mahnt. 2000 Jahre Kirche, das ist kein Grund zum Triumph, aber es ist ein Grund, uns unserer Wurzeln zu besinnen, uns unseres Grundes bewusst zu werden, auf dem der Glaube beruht. Dieser Geist wird uns jederzeit neu auf den Glauben verweisen, das Vertrauen und die Treue Gott gegenüber, weil er weiß, wie gefährdet der Glaube in einer Welt ist, die nur an sich selbst glaubt, ihre Möglichkeiten, ihr Können, ihre Leistung, ihre Kraft. Auf die Besinnung dieses Geistes kommt es also an, jeden Tag neu und durch alle Etappen unseres Lebens hindurch.

Pfingsten, als Fest der Kirche, lebt davon, dass wir uns einerseits daran erinnern lassen, wie sehr wir Christen verwurzelt leben. Wir wissen um das gute Wort, diesen guten Geist Gottes, der unser Leben begleitet, uns geistvoll leben lässt, trotz dessen, dass ja auch wir Christen schuldverflochten leben. Andererseits lebt die Kirche davon, dass sie aufbricht, dass sie allein an das Wort und den Geist gebunden ihre Antworten sucht, auf Fragen, die sich durch die gesellschaftlichen Veränderungen ergeben. Erst wo diese Statik zwischen Verwurzelung und Aufbruch gesichert ist, wird sich die Kirche als Kirche Jesu Christi erweisen.

Pfingsten, das ist das Fest der Kirche, wo wir gefragt sind, aus welchem Geist heraus wir leben und das eigene, wie gesellschaftliche Leben mit gestalten helfen und prägen. Was sollen Kruzifixe in Klassenzimmern, wenn der Geist darunter nicht stimmt? Was soll das Beschwören christlicher Werte in Sonntagsreden, wenn sie am nächsten Tag bereits vergessen sind? Was soll eine Eidesformel, die mit "so wahr mir Gott helfe" endet, wenn ich im Grunde ja gar nicht auf Gott angewiesen sein möchte, sondern aus dem Bewusstsein lebe, dass ich mein eigener Herr bin? Beispiele solcher Halbwahrheiten und faustdicker Lügen finden wir viele um uns herum. Ändern werden wir sie nur dann können, wenn wir Christen uns - wo immer dies möglich ist - einmischen, unser eigenes Wort sagen und nicht verschweigen.

Machen wir uns das an einem ganz aktuellen Beispiel deutlich. Der SPIEGEL dieser Woche schreibt unter der Überschrift: Süßer Horror Pubertät:

Es ist schwer in einer auf Jugendlichkeit fixierten Gesellschaft erwachsen zu werden ...
Gerade weil die Gesellschaft sich ein so jugendliches Profil gibt, will man schnell in ihr Fuß fassen und sehe sich gleichzeitig ängstlich beim Älterwerden zu. Jung sein, schön sein: Die permanente Ästhetisierung des Daseins ist heute ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, man hat nicht alt, nicht dick, nicht hässlich, nicht arm zu sein ..." [2]
Doch zu welcher Antwort sind Eltern heute in der Lage, wie glaubwürdig und zuverlässig sind sie beim Spagat vom erwünschten Glück für das Leben ihrer Kinder und den notwendigen Erwartungen an sie? Wie sollen Werte vermittelt werden, wenn wir selbst gar keine mehr definieren können? Auf den Geist kommt es also an, den wir selbst uns zumuten, wie dann auch all jenen, mit denen wir unser Leben teilen.

Pfingsten, als Fest der Kirche, fragt nach unseren Überzeugungen, woraus und wofür wir leben, welche Bedeutung für uns der christliche Glaube und das Bekenntnis des Glaubens haben? Daher geht es um den Geist der Wahrheit. Der unfassliche Gott, den wir als Vater, Sohn und Geist glauben und bekennen, bleibt uns ja unbegreiflich. Wer könnte als Mensch Gott begreifen, so weit es sich nicht um unsere selbstgemachten Götter handelt? Und darum verheißt der von seinen Jüngern scheidende Jesus ihnen diesen Geist. Das ist es, was kommen und bleiben wird über alle Zeit hinweg. Denn nur durch den Geist und allein durch den Geist werden wir als Christen christlich glauben und leben können. Wenn wir meinen, wir könnten ungebunden und frei vom biblischen Wort und Geist glauben, so ist das eine Verwechselung des "christlichen" Glaubens mit meinem eigenen und das wäre ja eine Ideologie, ein selbstgemachtes menschliches Gedankengebäude. Es gehört zur Wahrheit, sich dies einmal einzugestehen und ehrlich danach zu fragen, wie es um meinen Glauben als dem "christlichen" Glauben bestellt ist?

Pfingsten, das ist also kein Fest zum Anfassen wie Weihnachten oder Ostern. Da ist kein himmlisches Kind mit freundlichen Weisen zu besingen, kein Tannenbaum schmückt das Wohnzimmer; keine im Garten versteckten Ostereier ziehen uns in die Natur hinaus und für den wirtschaftlichen Umsatz gibt es - außer bei schönem Wetter in Besenwirtschaften - auch keine besonderen Anreize. Pfingsten ist so eher ein anstrengendes, sperriges, eckiges und kantiges Fest. Es fordert uns in unserem Nachdenken heraus, ohne dass eine schöne Gefühlswelt uns den Blick verstellt.

Ich möchte uns heute einladen, diesem Geist in unserer Mitte wieder einmal Raum zu geben. Wir alle sehnen uns doch danach, in einer Welt leben zu dürfen, in der es geistvoller, ehrlicher, wahrhaftiger, friedlicher zugeht und wer von uns leidet denn nicht darunter, dass es so viel Ratlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Spannungen, Streit und Stress gibt?

Pfingsten verweist uns also auf einen Geist, der erstarrte Verhältnisse und Beziehungen aufbrechen hilft, neue Wege begehbar macht, wo alte sich verbraucht haben. Daher ist und bleibt dieses Fest der Kirche eine Herausforderung an uns in allen Konfessionen und Kirchen über die Gegenwart hinaus in die Zukunft. Sehr bald werden wir dann über aller Anerkenntnis von Schuld und Versagen der Kirche in ihrer Geschichte aber auch zu einer begründeten Dankbarkeit kommen. Es gibt kein distanziertes Reden über die Kirche für einen Christen, denn die Kirche, das sind wir. Gott sei Dank dafür und für seinen guten Geist, der in ihr jederzeit neu zur Sprache kommt und im Bewusstsein gehalten wird. Darum bekenne ich mich gern auch heute noch zu meiner Kirche und ihrem Geist.
Amen.


Literatur:
  1. Was halten Sie vom Christentum, List Bücher, Nr. 105, München 1961, S.22
  2. DER SPIEGEL, Süßer Horror Pubertät, Die Entmachtung der Eltern,
    Nr. 22 / 28.05.2001, S. 114ff

Letzte Änderung: 17.06.2001
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider