Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Okuli, Vorstellungsgottesdienst in Kenzingen, 19.3.1995
Jer. 20, 7 - 11a

Begrüßung

Liebe Gemeinde!

Mit diesem Gottesdienst möchte ich mich Ihnen vorstellen, obgleich einige von Ihnen sich ja vielleicht noch an die Ordination Ihres früheren Vikars Klaus Halberstadt erinnern, den ich in dieser inzwischen so schön renovierten Kirche ordinieren durfte. Es war ein eindrucksvoller Gottesdienst, an den ich mich gern erinnere.

So begrüße ich Sie alle recht herzlich und freue mich darauf, nun auch diesen Gottesdienst mit Ihnen zusammen feiern zu dürfen. Ganz besonders herzlich begrüße ich die Tauffamilien in unserer Mitte - und wünsche Ihnen einen recht gesegneten und schönen Tag.

Gott lässt uns heute teilhaben an dem bedrängenden Schicksal des Propheten Jeremia, der daran verzweifelt, das Wort seines Gottes verkündigen zu müssen. Mit ihm sind auch wir danach gefragt, wie wir heute dieses Wort hören und leben? Über allem, was uns alltäglich bedrängt, wird uns immer wieder neu zugesagt: "Ich habe dich je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte."

Gebet

Guter Gott!

Wir unterbrechen die Unruhe unseres Alltags, die Selbstverständlichkeit, mit der wir leben, die Gleichgültigkeit unserer Herzen und unseren Glauben daran, dass wir auch ohne dich und dein Wort ganz gut zurechtkommen könnten - um hier nun miteinander diesen Gottesdienst mit den Taufen zu feiern.

Wir bitten dich: Mach Leidende zuversichtlich und Gleichgültige betroffen. Erinnere Mutlose an ihre Träume und Zufriedene an das Unglück anderer. Abgestumpfte mache empfindlich und Empfindliche stark. Dem Zweifler, wie dem Glaubenden schenke dein Wort so, dass es immer wieder neu zur Nachfolge bewegt. Wir allein schaffen es nicht, darum bitten wir Dich in unser Leben hinein.

So segne und behüte uns alle: Die Traurigen und die Fröhlichen, all die jungen und die altgewordenen Menschen in unserer Mitte, - alle die es im Leben schwer haben, weil sie anderen gleichgültig geworden sind. Gott! Vor dich bringen wir alle Menschen, denen du fremd geworden bist und uns, die wir versuchen, auf dein Wort zu hören und es mit Leben zu erfüllen. Stärke uns mit deinem guten Geist für das Leben in einer Welt, die dich, wie uns, braucht durch Jesus Christus. Amen.

Predigttext

Liebe Gemeinde!

Das biblische Wort, das wir heute miteinander bedenken wollen, stellt uns hinein in die tiefe Verzweiflung eines gescheiterten Menschen. Jeremia wollte kein Prophet werden, aber schließlich kann er sich dem Auftrag Gottes nicht mehr entziehen. Untergang, aber auch Versöhnung hat er zu verkündigen, so dass Verfolgung, Folter, Todesbedrohung und schließlich die Flucht nach Ägypten die Folge sind. Was wir in unserem Predigtwort hören, ist das erschütternde Zeugnis einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit Gott und seinem Auftrag, sein Wort zu verkündigen. Jeremia betet, bedrängend dicht, voller Glaube, voller Resignation:

Du hast mich betört, o Herr, und ich ließ mich betören; du hast mich gepackt und überwältigt; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich und jedermann verlacht mich. Denn seit ich geredet, gerufen und gepredigt habe von der Plage und der Versöhnung, ist mir des Herrn Wort zum Hohn und Spott geworden täglich. Da dachte ich; Ab jetzt will ich nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es wurde in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer. Ich nehme meine ganze Kraft zusammen, es zurückzuhalten - aber ich schaffe es nicht. Viele höre ich tuscheln. Sie fordern: "Verklagt ihn!" "Ja, wir wollen ihn anzeigen!" sagen die anderen. Sogar meine besten Freunde warten darauf, dass ich mir eine Blöße gebe. "Vielleicht bringen wir ihn dazu, dass er etwas Unvorsichtiges sagt", flüstern sie, "dann können wir uns an ihm rächen."

Doch du, Herr, stehst mir bei, du bist mein Beschützer!

Jeremia 20, 7 - 11a


Liebe Gemeinde!

Wer kennt sie nicht, diese Verzweiflung am Leben, die erschütternde Todessehnsucht? Auch wir sind ja in unser Leben mit all seinen Höhen und Tiefen hineingestellt, auch wir müssen uns auseinandersetzen, oftmals kämpfen, um bestehen und überleben zu können. Wir haben das Paradies längst verloren, diesen Ort des Friedens mit Gott und unseren Mitmenschen, der bedrängten Kreatur und der bedrohten Natur. Doch soll das wirklich das letzte Wort sein. Jeremia hatte eben nicht nur Plage, sondern ja gerade auch die Versöhnung zu verkündigen.

Die bekannte Schriftstellerin Marie Luise Kaschnitz schrieb die kleine Geschichte `Adam und Eva’. Dort heißt es:

Wir bleiben zusammen, sagte Eva. Wir gehen zurück in den Garten. Und sie legte ihre Arme um Adams Hals und sah ihn liebevoll an. Ist er denn noch da, fragte Adam erstaunt. Gewiss, sagte Eva. Wie willst du das wissen? fragte Adam mürrisch. Woher, meinst du, fragte Eva, dass ich die Reben hatte, die ich dir gebracht habe, und woher meinst du, dass ich die Zwiebel der Feuerlilie hatte, und woher, meinst du, hatte ich den schönen, funkelnden Stein?

Woher hattest du das alles? fragte Adam - Die Engel, sagte Eva, haben es mir über die Mauer geworfen. Wenn wir kommen, rufe ich die Engel, und dann öffnen sie mir das Tor. Adam schüttelte langsam den Kopf, weil eine ferne und dunkle Erinnerung ihn überkam. Gerade dir, sagte er. Aber dann fing er an zu lachen, laut und herzlich, zum ersten Mal seit ach wie langer Zeit.

Ja, wir haben es zu akzeptieren, dass wir - wie der Prophet der das Gotteswort zu verkündigen hat - jenseits des Paradieses zu leben haben, aber diese kleine Geschichte erzählt uns etwas zutiefst Biblisches. Das Paradies - uns scheinbar verschlossen - ist noch da, es ist uns nicht verloren. Eva bemerkt die Geschenke des Paradieses: Die Reben, Stein und Lilie, die Früchte des Gartens. Spuren des Paradieses in der Wüste des Lebens. Adam spürt nichts, er ist taub und blind dafür. Eva entdeckt die Engel, die Mauer schreckt nicht mehr, Geschenke werden als solche empfunden.

Doch nun kann auch Adam wieder anfangen: Er kann aus Trauben Wein machen, seine Trauer über das verlorene Paradies darf der Freude weichen, und er kann wieder fröhlich lachen.

Woran der Prophet scheitert, ist die Spannung zwischen seinem Amt und seiner Person, seinem Auftrag von Gott und seinem Leben. Was er zu sagen hat, ist ja nicht sein Wort, sondern es ist das Wort Gottes. Aber er steht dafür öffentlich ein, er wird verfolgt und muss existentiell leiden. Er hat ein Recht darauf, um sein Leben zu trauern, denn er spürt sich verloren - an Gott verloren.

Als ich dieses Predigtwort las, erschrak ich, denn ich muss mich Ihnen ja mit diesem Wort vorstellen. Sie werden denken, vielleicht sogar sagen: Das hat er gut gemacht, lebendig, überzeugend; - oder: Diese Predigt hat mich nun gar nicht überzeugt, und wie deckt der Prediger das, was er zu sagen hat, mit seinem Leben, seinem privaten oder öffentlichen Tun ab?

Eben das frage ich mich auch. Ich bin ja kein Prophet, der unter der Verkündigung des Gotteswortes zu leiden hat. Natürlich erlebe ich es, kritisch hinterfragt zu werden, aber ich erlebe hier und da ja auch die unendliche Dankbarkeit. Nie aber bin ich in meinem Leben um des Wortes Willen bedroht gewesen.

Doch dieses Wort, diese Anfrage an unsere Glaubwürdigkeit betrifft ja nicht nur uns Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter, sondern alle, die getauft in die Kirche hineingehören. Uns aber begegnet mehr die gesellschaftliche Gleichgültigkeit als Hohn und Spott oder Bedrängung und Verfolgung, wie sie Jeremia zu durchleiden hatte. Wir haben eben die Taufe dieser Kinder erlebt und das JA der Eltern und Paten zur Taufe gehört. Hier geben Menschen am Anfang eines neuen Lebens - ihrer Kinder - eine Antwort auf die Frage nach ihrem Glauben. Sie sagen Ja zu einer Erziehung zur Hoffnung.

Eva bemerkt die Geschenke des Paradieses in der Wüste des Lebens, was bemerken wir? Was sind wir einander schuldig? Das JA zur Taufe hat es wieder deutlich gemacht: Wir schulden der Welt, unserer Welt, die hier in unserer Mitte beginnt: Gott! Die Krise, die wir spüren, ist letztendlich - wie es Bischof Lehmann vor kurzem ausdrückte, eine `Gotteskrise.

Und damit stehen wir neben Jeremia, wenngleich unser Auftrag anders aussieht als seiner und unser Leben sicher ganz anders verläuft als das seine.

Unsere Kirche steht am Ende dieses Jahrtausends vor einer unendlichen Herausforderung. Nur selten gab es Umbrüche, wie wir sie zur Zeit erleben und auf die wir eine Antwort finden müssen. Die wieder eingeführte Ergänzungsabgabe für den Aufbau Ost lässt viele Menschen aus ihren Kirchen austreten. Schnell könnte man sich nun damit beruhigen, weil man ja einen Grund für die Kirchenaustritte gefunden hätte, für den wir in der Kirche kaum verantwortlich sind. Doch täuschen wir uns nicht.

Es muss uns in unseren Kirchen doch nachdenklich machen, dass wir es momentan nicht mehr so gut schaffen, die Fragen in unserer Gesellschaft zu begleiten, - Antworten zu wagen, die tragen, - Überzeugungen zuzumuten, die auch einmal ärgerlich sind. Ich spüre in unseren Kirchen und Gemeinden so unendlich viel Resignation, die oft ganz unbegründet - immer aber lähmend - ist.

Jeremia hat zu leiden, weil er das Wort Gottes weiterzusagen hat, ein Wort, das störte, ärgerte, herausforderte und das schließlich niemand mehr hören wollte, weil man den Boten Gottes leid war. Und mit der Vertreibung des Propheten vertrieb man auch Gott aus der Mitte des Volkes. Geht es uns scheinbar modernen Menschen nicht doch ähnlich? Wollen wir denn das Wort Gottes wirklich noch hören, und was trauen wir ihm heute noch zu?

Schon Luther sagte einmal: "Ich kann nicht weiter kommen, denn zu den Ohren ..." Fehlt es uns selbst als Christen unserer Zeit nicht am Mut, dem Wort Gottes mehr zu vertrauen als den scheinbaren Heilsbringern auf dem weiten Markt der Möglichkeiten? Und was wird da nicht alles angeboten, was Sinn und Heil verspricht, uns aber letztendlich davon abhält, um das Wort - als Evangelium - für die Welt zu ringen?

Im letzten Jahr starb ein Junge im Internat, das ich leite, den ich zu beerdigen hatte. Es war auch für mich eine verzweifelte Situation, weil ich spürte, wie wenig Worte hier helfen würden. Nach einiger Zeit schrieb mir die Mutter noch einmal einen langen Brief, in dem sie ihr Gefühl zum Ausdruck brachte. Sie schrieb:

"... Sie ahnten wohl, dass ... nicht all zuviel im Gedächtnis bleiben würde - von dem Gesprochenen. In der Erinnerung bleibt mir sehr bewusst der beruhigende Tonfall Ihrer Stimme, Ihr besorgter Gesichtsausdruck, Ihr unbedingter Wille zu trösten. Und genau das wollte ich überhaupt nicht; ich wollte keinen Trost und dachte, dass nichts und niemand mir jemals dieses entsetzliche Leid würde lindern können. Eigentlich ist man im Unglück schrecklich allein, oder glaubt es zumindest.

Und dann,.., las ich Ihre Worte, oft, und mitten in der Arbeit fielen sie mir wieder ein, oft nur Ausschnitte, Wortfetzen - unbewusst auftauchend, und plötzlich spürte ich, dass ich ruhiger wurde und fähig zu dem Versuch, weiterzuleben ..." Ich hatte der Kraft des Wortes zu wenig zugetraut.

Ein großer Absatz in dem Visitationsbericht ihrer Gemeinde vom vergangenen Jahr befasst sich gerade mit der "seelsorgerlichen Gemeinde" aus der Erkenntnis heraus, dass Gott selbst ein "seelorgerlicher Gott" ist, ein Gott, der dem Menschen nachgeht, so wie es Jesus getan hat.

Wo wir selbst uns von Gott zu einem solchen Dienst in unserer Kirche und Gemeinde, in Schule, Beruf und Familie, im Verein oder den politischen Parteien ermutigen lassen, dort wird unserer Welt Hoffnung geschenkt. Dort erleben wir die kleinen Geschenke des Paradieses.

Denn was wir Christen auf den Spuren der Propheten, in der Nachfolge Jesu unserer Welt schulden, ist das tröstende, ermutigende Wort des Gottes, dem wir uns mit unserem Leben verdanken. Oder, um es noch einmal im Bild zu sagen: Das Aufzeigen des Paradieses mitten in den oftmals grauen Alltag hinein. Es sind ja nicht die großen Worte und Handlungen allein, sondern vielfach nur die ganz kleinen, die schon ausreichen, das Leben lebens- und liebenswerter zu machen. So sind wir es, die den Glauben an Gott mit Glaubwürdigkeit füllen dürfen: Befreiend und fröhlich, ermutigend und voller Hoffnung, phantasievoll und in der Gemeinschaft aller, die mit uns Kirche und Gemeinde sind.

Ja, wir alle leben damit, dass wir das Paradies verloren haben, und viele mussten - wie Jeremia - darunter leiden, dass Gott ihnen fremd wurde. Die Trauer und der Zweifel gehören zu unserem Leben, aber sie haben eben nicht das letzte Wort. Das letzte Wort wird Gott sprechen, und der lässt Israel und uns durch Jeremia sagen:

Ich habe dich je und je geliebt ..., ich gebe dir einen neuen Anfang.
Nun liegt es an uns, dass wir mitten aus unserem alten Leben heraus vom Paradies nicht mehr nur träumen, sondern alle miteinander mit dem Anfang anfangen. So wird sich durch unseren Glauben, die Hoffnung und die Liebe die Welt verändern, - die Welt, die hier bei uns beginnt. Amen.

 

Letzte Änderung: 19.03.2001
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider