Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

1. Advent 2001, Hebräer 10,23-25, Einführung des Kirchengemeinderates

Begrüßung:

Liebe Gemeinde! Mit dem 1. Advent beginnt eine kurze, doch ganz besondere Zeit im Ablauf des Kirchenjahres, eine Zeit voller Hektik und Trubel, aber auch voller Geheimnisse, alter Lieder, die aus allen Lautsprechern klingen und Geschichten, die hier und da wieder erzählt werden. Das Jahr geht seinem Ende zu, ein neues Kirchenjahr beginnt schon heute. Da ist ein wenig Besinnung erlaubt, auch Dank und ein fröhliches Bekenntnis unserer Hoffnungen, das ja viel mit dem bevorstehenden Weihnachtsfest zu tun hat.

Mit diesem Gottesdienst führen wir den neuen Kirchengemeinderat in sein Amt ein. Wir danken allen, die dieses Amt bis heute ausgeübt haben und allen, die sich nun noch einmal oder erstmals hierfür zur Verfügung stellen. Sehr herzlich begrüße ich Sie daher mit allen Gästen, die aus dem Anlass Ihrer Einführung oder Verabschiedung in diesen Gottesdienst gekommen sind. Herzlich Willkommen.

In Psalm 24 heißt es: Nun öffnet euch weit, ihr Türen! Ihr alten Tore geht auf! Der große König zieht

Gebet:

Herr, guter Gott! In deinem Namen beginnen wir nun ein neues Kirchenjahr in der Geschichte unserer Kirchengemeinde, unserer Kirchen. Gerade anlässlich der Verabschiedung und Einführung von Kirchengemeinderäten machen wir uns bewusst, dass wir alle Zeit von dir geschenkt bekommen. Du begleitest unsere Tage, unser Leben, das Leben unserer Kirchengemeinde.

Daher bitten wir dich, angesichts der Grenzen unserer Möglichkeiten, angesichts aller Unfertigkeit und unserem Mangel am Bekenntnis unseres Glaubens um deine Gegenwart. Halte du selbst uns in deiner Nähe, wo wir Gefahr laufen sie zu verlieren. Segne, was wir in den letzten Jahren miteinander leisten konnten und vergib, wo wir uns und anderen etwas schuldig blieben.

Segne und behüte über diese Adventszeit hinaus unsere Kirchengemeinde und alle katholischen Mitchristen, alle Kreise und Gruppen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Gemeinde. Segne alle Bürger unserer Stadt mit ihren Ortsteilen und alle, die darin politische Verantwortung tragen. Segne das Vereinsleben, alle Organisationen und Verbände, die Kindergärten und Schulen, die Betriebe und Geschäfte unserer Stadt. Herr, wir vertrauen dir und wollen an der Hoffnung festhalten, die unser Glaube uns verbürgt und zu dem wir uns miteinander bekennen.
Amen.

Predigttext

Liebe Brüder und Schwestern!

Wir wollen an der Hoffnung festhalten, zu der wir uns bekennen, und wollen nicht schwanken; denn Gott, der die Zusagen gegeben hat, steht zu seinem Wort. Und wir wollen aufeinander acht geben und uns gegenseitig zur Liebe und zu guten Taten anspornen. Einige haben sich angewöhnt, den Gemeindeversammlungen fernzubleiben. Das ist nicht gut; vielmehr sollt ihr einander Mut machen. Und das um so mehr, als ihr doch merken müsst, dass der Tag näherrückt, an dem der Herr kommt!

Hebräer 10,23-25


Liebe Gemeinde!

Es ist der 1. Advent, ein neues Kirchenjahr beginnt, auch im Leben unserer Kirchengemeinde. Gemeinsam gehen wir nun auf das Weihnachtsfest und ein neues Jahr zu. Die Adventszeit, eine Zeit zur Besinnung, zum Nachdenken, gerade, wenn heute bisherige Kirchengemeinderäte aus ihrem Dienst verabschiedet, neue eingeführt werden. Der Leitgedanke unseres Predigttextes: "Wir wollen an der Hoffnung festhalten, zu der wir uns bekennen ...," führt uns so aus der Geschichte unserer Kirchengemeinde in ihre Zukunft hinein.

Schauen wir kurz zurück: Ab 1844 siedeln in Kenzingen die ersten evangelischen Christen, 1879 leben hier bereits 120 Evangelische. Sie stellen an die politische Gemeinde den Antrag, die alte Klosterkirche zu "gottesdienstlichen Zwecken" überlassen zu bekommen, was umgehend genehmigt wird. 1891 weiht Großherzog Friedrich I. unsere Kirche als evangelische Kirche ein. Seit 1895 hat die Gemeinde dann ihre "eigenen" Pfarrer, da sie in diesem Jahr durch einen Erlass des Oberkirchenrates zu einer selbständigen Pastorationsgemeinde herhoben wird. Doch erst seit 1909 ist unsere Gemeinde eine in jeder Hinsicht selbständige Pfarrei. [1] Seither prägen konkrete, fassbare Menschen das Bild unserer Kirchengemeinde in ihren Erwartungen, Hoffnungen und Wünschen, mit all ihren Möglichkeiten, aber auch Grenzen.

Gut erinnere ich mich an den Einführungsgottesdienst des Kirchengemeinderates im Januar 1996. Damals sagte ich: "Wir stehen heute - mit der Einführung eines neuen Kirchengemeinderates - wieder einmal an einem Anfang, wir brechen auf, nicht ohne zurückzuschauen ..." [2] Der damaligen Predigt lag allerdings nicht unser heutiges Bibelwort zugrunde, sondern eines der modernen Bekenntnisse unserer Kirche. Trotz eines so ganz anderen Textes geht es genau darum auch heute. Es geht um unser Bekennen, es geht um das Bekenntnis des Glaubens in der Gegenwart.

""Aufbrechen - Umkehren - Bekennen", so überschreibt Karl Barth seinen letzten unvollendeten Aufsatz, der mitten im Satz abbricht. Hier wird der Aufbruch zur Perspektive. Denn "Aufbrechen - Umkehren - Bekennen", das sind ja wohl die Wesensmerkmale einer Kirche, die sich gerade nicht zur Ruhe setzt. Wo jeder Mitchrist dazu aufgerufen ist, sich mit seinem Glauben auf den Weg zu machen ...", allerdings immer auch in der Rückschau auf das, was vor ihm geglaubt, gesagt, gelebt wurde - und wie der Glaube in einer jeweiligen Zeit zu einem öffentlichen Bekenntnis werden konnte.

"Es sind die Wesensmerkmale einer Kirche, die eben nicht ohne ihre Geschichte, Wurzeln und Traditionen lebt, die zurückschaut und sich im Umdrehen immer wieder neu orientiert, so wird schließlich das bekannt, was ihr als Bekenntnis aufgetragen ist, um jeder Willkür entgegen zu treten ..." [3] Für den Verfasser des Hebräerbriefes geht es ganz zentral um das "Bekenntnis der Hoffnung". Wer seine Kirche liebt, sie kennt, sich in ihr engagiert, weiß ja auch um Widerständiges, um Rätselhaftes, um Hindernisse bei der Frage nach den Aufgaben der Kirche in einer pluralistischen Gesellschaft, dem richtigen Weg des Glaubens, des Lebens in einer Gemeinde und damit auch des Bekenntnisses aller ihrer Glieder.
Das Bekenntnis der Hoffnung ist alles andere als die sattsam bekannte, zaghafte protestantische Nabelschau, die alles immer grau in grau sieht, wo lähmend und destruktiv über die Welt, die Kirche, die eigene Gemeinde geklagt und gejammert wird. Es muss uns für ein Leben ermutigen und stärken, das nun einmal als eine große Herausforderung erfahren wird, in dem nicht immer alles einfach und glatt verläuft - und neben uns selbst auch andere zum Aufbruch, zur Umkehr und zum Bekenntnis mitreißen. Dann erst ist es ein zukunftsfähiges Bekenntnis, dem ein tragfähiger Glaube zugrunde liegt.

Bekenntnisse begleiten unseren Lebensweg. Doch es wird immer wieder danach zu fragen sein, wie in jeder Zeit ein jeder Christ auf dem Boden der Bekenntnisse der Kirche zu seinem eigenen Bekenntnis kommt und wie glaubwürdig er es leben kann? Schaut man einmal ins Internet zum Stichwort "Bekenntnisse", so fällt auf, wer da nicht alles von jedem anderen ein "Bekenntnis" verlangt, vor allem die politischen Parteien scheinen darin Weltmeister zu sein. Dabei hält man sich heute ja eher gern bedeckt, nur ungern legt man die Karten offen auf den Tisch und bekennt sich zu seiner Meinung, zu seiner persönlichen Überzeugung.

Der Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof hat darauf hingewiesen, "dass unsere freiheitlichen Verfassungen `mit einem Bekenntnis’ beginnen: Sie `bekennen sich’ zu den unveräußerlichen und universalen Menschenrechten ..." [4] So wichtig, ja entscheidend das im Zusammenleben von Menschen ist, so eindeutig ist auch, dass es darum im Bekenntnis des Glaubens zunächst nicht geht, zumindest nicht des "christlichen Glaubens! Was also haben Christen zu bekennen, wenn es bei unserem Text um ein gemeinsames Bekenntnis der Hoffnung geht?

Es ist eine Binsenweisheit, aber niemand von uns lebt allein oder glaubt allein. Wir alle sind ja eingebunden in eine uns prägende Geschichte, die Traditionen unserer Familien, - der Region, in der wir aufgewachsen sind, - der Konfession, die unserem Glauben ihre eigene Gestalt gibt, und immer sind wir als Christen nach der Zukunftsfähigkeit unseres Glaubens gefragt. Aus diesem Grund fordert der Schreiber des Hebräerbriefes seine Leser auf, aufeinander Acht zu geben, sich zur Liebe und zu guten Taten anzuspornen. Das Bekenntnis der Hoffnung, aufgrund der Zusagen Gottes und die Ethik, das entsprechende Werk, gehören hier zusammen. Der Glaube wird ohne das Tun kaum erlebt werden, er wird eben nicht zu einem öffentlichen christlichen Bekenntnis. Umgekehrt gilt auch, dass das Tun im Glauben sein tragendes Fundament hat, aus dem heraus gelebt und der Glaube bezeugt wird.

Schon damals gab es in der jungen Kirche Menschen, die den (gottesdienstlichen) Versammlungen fern blieben. Dabei kommt es auf jeden einzelnen mit seinen speziellen Fähigkeiten und Begabungen in der Gemeinde an. Ein jeder soll den anderen ermutigen und bestärken, weil ja ein jeder um die Grenze der Zeit, auch seiner Lebenszeit weiß. Wie Vereine nur ungern Mitglieder verlieren, so sollten Christen sich in ihrer Gemeinschaft bestärken und darum bemüht sein, über die eigene Mitgliedschaft im Vereinsleben hinaus, Organisationen, Parteien, persönliche Hobbies oder öffentliche Aufgaben, ihren Glauben übergeordnet zu leben und von dort aus in die Welt hineinzutragen. Glaube und Kirche beinhalten eine andere geistliche Dimension, so ist ja auch ein Kirchengemeinderat weder der Vorsitzende eines Vereines oder des Pfarrers noch der Verwaltungs- oder Aufsichtsrat der Gemeinde.

In der Familie, dem Beruf, der Schule, in der Freizeit, überall, wo Menschen zusammenkommen, soll der Glaube bekannt werden. Natürlich nicht plump und platt, penetrant und abstoßend, sondern so gut wir selbst es können: zeitgemäß, aufgeschlossen, alternativ, aber auch ansteckend fröhlich und offen für die konkreten Belange und Fragen einer jeweiligen Zeit. Im Bekenntnis des Glaubens legen wir uns fest, da geht es nicht um irgendwelche Werte, sondern um Gott. Daher sind wir gefragt, wie viel ich mir "Gott" oder meinen "Glauben" an Zeit, Engagement und Überzeugungskraft kosten lasse?

Hätten 1844 die ersten evangelischen Kenzinger nicht zu ihrem Glauben gestanden und angesichts der katholischen Übermacht damals ängstlich geschwiegen, gäbe es diese Kirche und unsere Gottesdienste hier so nicht für uns, so wenig, wie unsere Kirchengemeinde in dieser Weise.

Und heute? Heute leben wir bei aller Verschiedenheit in einer großen gegenseitigen ökumenischen Offenheit mit der katholischen St. Laurentiuspfarrei zusammen, wir bekennen den gleichen Glauben, und es gibt mehr, was uns eint, als das, was uns trennt. Gott sei Dank! Denn auch der Konfessionalismus, die Reformation ist ja ein Ausbrechen aus der Gemeinschaft gewesen, vor der wir Christen gewarnt werden.

Immerhin: der Glaube wird so oder so bekannt. Mit meinem Bekenntnis beziehe ich Position, markiere den Standort, den ich innehabe. Hier bin ich hinterfragbar, auch anfechtbar. Es kann keine vornehme oder verschämte Zurückhaltung geben, wenn ich nach meinen Glaubensüberzeugungen oder einem entsprechenden Tun in der Öffentlichkeit gefragt bin. Ein liberales "sowohl als auch" verbietet sich aus der Sache selbst heraus. Denn Gott existiert für mich, oder er existiert eben nicht für mich. Eine wirkliche Beziehung zu Gott oder anderen Menschen, zum öffentlichen Leben oder meiner Kirche werde ich nur dann erhalten, wenn ich mich bewege, öffne, dazu stehe und mich dazu bekenne. Angesichts unzähliger - auch offener - Fragen bleibt unser Glaube als Christen bis in unsere Mitte, unsere Stadt und Kirchen hinein gefragt, das Bekenntnis der Hoffnung notwendigerer denn je.

Daher wird es Zeit, "aufzubrechen" - "umzukehren" - und zu "bekennen":aufzubrechen, um unseren Glauben mutig, fröhlich und engagiert zu leben. Umzukehren, weil wir nur so aus der Selbstsicherheit unserer eigenen Überzeugungen herauskommen, die wir oft mit dem verwechseln, was uns das Wort Gottes zu glauben vorgibt; dann aber auch zu bekennen und mit unserem Bekenntnis der Welt Hoffnung zu schenken über den Tag hinaus.

Dankbar führen wir heute den neuen Kirchengemeinderat ein, dankbar sind wir allen, die sich bisher in diesem Leitungsamt der Gemeinde engagiert haben. Es ist der 1. Advent, ein neues Kirchenjahr beginnt. Bitten wir Gott um seinen guten Geist für die Zukunft unserer Gemeinde und darum, dass der Glaube erlebbar bleibt mitten in unserer Stadt und ihrem öffentlichen Leben. Eine dunkle Weltlage verführt schnell dazu, über das Ende der Welt zu spekulieren. Doch das verbietet sich ja von selbst, wenn wir Gott ernst nehmen. Daher gilt uns allen über diesen Tag und die vorweihnachtliche Zeit hinaus die Einladung, am Bekenntnis der Hoffnung festzuhalten, die sich in unserem Glauben begründet. Ich wünsche uns allen eine gesegnete Adventszeit und Ihnen, den neuen Kirchengemeinderäten Gottes Segen für Ihr Amt.
Amen.


Literatur:

  1. Kreher, K., Rudolph, M., Wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, Die Geschichte der evangelischen Diaspora, in: Die Geschichte der Stadt Kenzingen, Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. I, Emmendingen 1998
  2. Schneider, H.-H., 3. Sonntag nach Epiphanias 1996, nur in kleiner Auflage persönlich veröffentlicht
  3. Schneider, H.-H., a.a.O.
  4. Schlichting, W., Credo, Das Bekenntnis des Glaubens,

    außerdem:

    Sick, H., Calwer Predigthilfen, 2001/2002, Reihe VI/1, Stuttgart 2001, S. 11

    Strathmann, H., Der Brief an die Hebräer, Das Neue Testament Deutsch, Göttingen 1965, S. 134

    Baudler, A., Deutsches Pfarrerblatt, Heft 10/2001, 1. Sonntag im Advent,

Letzte Änderung: 06.12.2001
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider