Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Taube in der Kuppel des Berliner Doms

Pfingsten 2002, 19.5.2002
Apostelgeschichte 2, 22-23, 32-33, 36-39

Begrüßung:

Liebe Gemeinde! Sehr herzlich begrüße ich Sie in unserem Gottesdienst am Pfingstsonntag. Eigentlich müsste dieser Tag ja einer der ganz herausgehobenen Tage im Kirchenjahr sein, sind wir doch an den Geburtstag der Kirche erinnert, an den Geist Gottes in unserer Mitte, der uns als Christen Kirche sein lässt. Wir wissen es, es kommt auf den Geist an, heute auf den guten Geist Gottes, wo doch heute so unendlich viele Menschen von allen guten Geistern scheinbar verlassen sind. Darum feiern wir diesen Gottesdienst, um uns als Christen im Geist Gottes ermutigen und bestärken zu lassen.

Jesus Christus spricht: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin, und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende (Matth. 28, 18-20).

Gebet:

Gott! Lass uns mit Deinem guten Geist Kräfte zuwachsen, die die Angst überwinden.

Lass uns Hoffnung zuwachsen, die an das Leben glaubt.

Lass uns eine Weitsicht zuwachsen, die unsere Kinder und Jugendlichen angemessen ins Leben begleitet.

Lass uns einen Verstand zuwachsen, dass wir die uns anvertrauten älteren Menschen in ihrem Alter begleiten, denn sie sind ein Bild unserer eigenen Zukunft.

Lass uns einen Frieden zuwachsen, der unsinnigen Streit zum Schweigen bringt.

Lass uns eine Liebe zuwachsen, die auch im Alltag trägt.

Gott! Lass uns Glaubwürdigkeit zuwachsen, damit wir ein gutes Vorbild und Beispiel für unseren Glauben in der Welt sind. Herr begleite uns mit Deinem Geist für ein geistvolles Leben.

Amen.

Predigttext:

Ihr Männer von Israel, hört, was ich euch zu sagen habe! Jesus von Nazaret wurde von Gott bestätigt durch die machtvollen und staunenswerten Wundertaten, die Gott durch ihn unter euch vollbracht hat; ihr wisst es selbst. Den habt ihr durch Menschen, die das Gesetz Gottes nicht kennen, ans Kreuz schlagen und töten lassen. So hatte Gott es nach seinem Plan im voraus bestimmt.

Diesen Jesus also hat Gott vom Tod auferweckt; wir alle sind dafür Zeugen. Er wurde zu dem Ehrenplatz an Gottes rechter Seite erhoben und erhielt von seinem Vater die versprochene Gabe, den Heiligen Geist, damit er ihn über uns ausgießt. Was ihr hier seht und hört, sind die Wirkungen dieses Geistes!

Alle Menschen in Israel sollen also an dem, was sie hier sehen und hören, mit Gewissheit erkennen: Gott hat diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Christus gemacht.

Die Wirkung der Predigt

Dieses Wort traf die Zuhörer mitten ins Herz, und sie fragten Petrus und die anderen Apostel: »Brüder, was sollen wir tun?« Petrus antwortete: »Kehrt jetzt um und lasst euch taufen auf Jesus Christus; lasst seinen Namen über euch ausrufen und bekennt euch zu ihm - jeder und jede im Volk! Dann wird Gott euch eure Schuld vergeben und euch seinen Heiligen Geist schenken. Denn was Gott versprochen hat, ist für euch und eure Kinder bestimmt und für alle, die jetzt noch fern sind und die der Herr, unser Gott, hinzurufen wird.«


Liebe Pfingstgemeinde!

Die spinnen! So muss das versammelte und bunt zusammengewürfelte Volk denken, als es die Jünger Jesu da so voller verwirrender Begeisterung reden und Gott loben hört. Spinner ist man gewohnt, jeder verkauft auf seine Weise seine Meinung, seine Ideologie, seine Philosophie, seine Religion, je größer die Gefolgschaft, desto besser. Und Paulus legt nach, spricht in einer deutenden Rede die "Männer von Israel" an. Er redet von den großen Taten ihres Gottes, die durch Jesus von Nazareth ganz konkret sichtbar, erlebbar, spürbar wird. Er greift an, in dem er sich immer wieder auf die Bibel Israels bezieht und einen Bezug zu diesem Jesus von Nazareth, dem Gekreuzigten und doch Gegenwärtigen herstellt. Schließlich aber endet die große Verwirrung in der alten Frage: "was sollen wir tun?" und die Antwort lautet: "kehrt um und lasst euch taufen!"

Der spannungsvolle, märchenhafte Text wird lebendig, wenn man sich die Situation vor Augen stellt: die Angst der Jünger nach der Kreuzigung Jesu, die noch vor wenigen Tagen das lautstarke "Hosianna" zu hören bekamen - das ohnehin revolutionär aufgeheizte Volk - das große und großartige Fest um den Tempel herum, gut gehütet von den unterschiedlichsten Interessenvertretern des jüdischen Glaubens. Wieder hat man - taktisch klug und die Römer für das eigene Anliegen in die Pflicht nehmend - einen ganz offensichtlichen Leugner der reinen Lehre umbringen lassen. Auf einen Toten mehr oder weniger kommt es ja nicht an, wenn die eigenen Interessen um Glaube, Volk und Land dadurch gewahrt werden, wir kennen das. Man muss den Staub, den Durst im Mund spüren, die Sonne auf dem Kopf, das massenhafte Stimmengewirr im Ohr, um erahnen zu können, in was für eine Situation hinein Petrus jetzt spricht.

Aus der Mitte der Freunde Jesu geht man plötzlich restlos ermutigt an die Öffentlichkeit, die Zeit der Trauer, des Zweifels, der Resignation ist vorbei. Nun gilt es, Position zu beziehen und mutig dieser diffusen Masse entgegenzutreten, denn die, die gestern noch das Sagen hatten und Jesus kreuzigen ließen, sind ja auch heute unter den Zuhörern, so wie versprengte Freunde, Gleichgültige, zufällige Zuhörer, Ausländer, Fremde, Heiden. Das Wort wird öffentlich!

Liebe Gemeinde! Das, was hier an tiefster, herausfordernder Be-geisterung spürbar wird, ist uns ja schon lange abhanden gekommen. Die Berichte von der Geburtsstunde der Kirche mit all ihren Folgen sind unserem gewöhnlich und alltäglich gewordenen volkskirchlichem Empfinden gewichen, und was wird da nicht alles oft gedankenlos zusammengejammert. Man klagt über leere Kirchen, die Kirchensteuer, unengagierte Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter - und nun durften wir auch noch in der Badischen Zeitung lesen, dass man in der katholischen Kirche Kornrad Adenauer"selig" (!) sprechen möchte (was inzwischen zwar dementiert wird, doch so leise, dass es öffentlich kaum zu hören ist). So ein Bild der Kirche reizt wirklich niemanden, darum gilt die Frage: "was sollen wir tun ...", auch uns!

Pfingsten wir wissen es alle, hat mit dem Geist zu tun. Nicht mit irgendeinem Geist, sondern mit dem guten Geist Gottes. Er bringt die Jünger voller Be-geisterung auf den Weg, Leute, die wirklich genug Grund haben, sich auch weiterhin entmutigt zurück zuhalten. Pfingsten ist ein stiefmütterliches Fest in unserer Kirche geworden, und das hat Gründe:

Weihnachten und Ostern sind Feste zum Anfassen, man kann sie förmlich sehen, schmecken und riechen, da gibt es Geheimnisse, Geschenke liegen auf dem Tisch, zumindest kleine Gesten der Nähe, der Freundschaft. Was aber fangen wir heute mit dem Geist an, dazu noch mit dem Geist Gottes? Natürlich sind wir alle getauft, selbstverständlich taufen wir in der Regel unsere Kinder, doch mit welchen Konsequenzen tun wir es?

Auf die Frage, "was sollen wir tun ...", antwortet Petrus mit der Aufforderung zu "Umkehr" und "Taufe". Was die Zuhörer damals zu hören bekommen, ist klar gegliedert, theologisch gut durchdacht und eindeutig in der Botschaft, da gibt es kaum die Möglichkeit zu Missverständnissen. Geschickt greift Petrus auf den Glauben der Väter und Mütter zurück, zitiert die alte Bibel und schlägt so eine Brücke zwischen dem alten und bekannten Gottesglauben, zumindest für die Juden und dem ihnen noch unbekannten Christus. Er wirbt für den Glauben und spricht den Verstand ebenso an, wie das Gefühl.

Und doch ist für uns heute die Situation ein wenig anders, denn mit der Taufe unserer Kinder - wir spüren es doch alle - haben wir noch längst nicht zugleich auch den Heiligen Geist bekommen, oder merken wir es nur nicht mehr? Wasalso tun und wohin umkehren?

Angesichts der Herausforderungen der Zeit müssen Christen sich wieder berufen fühlen, ihren Glauben so öffentlich zu leben, wie die Jünger Jesu damals. Der Glaube muss wieder werbend und glaubwürdig gelebt werden. Ich weiß, dass das auch eine kritische Anfrage an die "Volkskirche" und die "Kindertaufe" ist. Damals, in einer Missionssituation, war klar, dass zunächst vor allem einmal erwachsene Menschen sich taufen ließen, die ihr eigenes Ja sagen und leben konnten. Doch schon früh kam es dann in der jungen Kirche auch zur Kindertaufe, ohne dass die Glaubwürdigkeit darunter gelitten hätte. Die Eltern nahmen ihr stellvertretendes Ja-Wort ernst und kamen ihrer Verantwortung für einen gelebten und erlebbaren Glauben nach. Und eben das ist das Beispiel und Vorbild, was heute oft fehlt.

Wir alle sind danach gefragt, wie unser eigener Glaube von anderen wahrgenommen wird, mit denen ich mein Leben teile. Was leben wir Eltern in unseren Familien - Erzieherinnen in unseren Kindergärten - Lehrer in unseren Schulen - Unternehmer in unseren Betrieben, - Politiker in unseren Städten, im Land und im Bund - unseren Kindern und Jugendlichen vor, welche Werte fordern wir nicht nur bei anderen ein, sondern leben wir selbst? Wie machen wir deutlich, wozu unser Leben dient und welchen Sinn es erfüllen soll? Was bei kritischer Betrachtung einmal anzusprechen ist, ist doch, dass es uns einfach an Glaubwürdigkeit mangelt. Wir leben in unserer Gesellschaft viel zu gleichgültig daher und wundern uns dann, wenn die Dinge anders, als vielleicht sogar gewünscht, laufen. Das aber hat Konsequenzen.

Siegfried Lenz sagt in seinen "Beziehungen" einmal:

"Gleichgültig sein, das heißt, der Welt seine leidenschaftliche Aufmerksamkeit zu entziehen, heißt vergessen, und stumm verachten zu können, heißt sich unverantwortlich zu fühlen für das, was ist, und für das, was geschieht. In der Gleichgültigkeit ohne Hoffnung liegt das Eingeständnis unserer Abdankung: wir geben das Sein sich selbst preis, enttäuschte , wenn auch besonnene Karnevalsprinzen, die die Masken ablegen und sich in ein Exil der vollkommenen Tatenlosigkeit zurückziehen.

Seit jeher war Gleichgültigkeit die Fluchtmöglichkeit der Unglücklichen, der Unfreien, derer, die sich als zum Leben Verurteilte vorfanden ..." [1]

Entschuldigungen finden wir heute schnell dafür, warum das alles so ist: wir haben einen vollen Terminkalender und zu wenig Zeit, die Gruppen und Klassen sind zu groß, Unternehmerverbände und Gewerkschaften kochen ihre Interessenssüppchen und Politiker reden von den Sachzwängen, mit denen oft schnell alle anderen Argumente erschlagen sind. Nein, das alles sind - wenn wir nur einmal ehrlich wären - keine Entschuldigungen. Denn welches Gut wäre höher als das Leben, die gute Entwicklung unserer Kinder und der Glaube an die Gottheit Gottes? Doch dazu gehören das Vorbild, die Glaubwürdigkeit und nicht unsere Ausflüchte.

"Gleichgültig sein, das heißt, der Welt seine leidenschaftliche Aufmerksamkeit zu entziehen, ..., heißt sich unverantwortlich zu fühlen ..." und für diese Gleichgültigkeit bei guten Ausreden gibt es keine Entschuldigung, und daher trifft das Pfingstwort auch uns, wenn es "Umkehr" fordert, eine Neubesinnung unserer Werte und Ziele, das Glaubwürdigwerden in dem, was wir sagen und tun.

Dass die Jünger auf die Strasse gehen, hängt mit der Wirkung dieses guten Geistes Gottes zusammen, warum sollte er nicht auch uns geschenkt werden, wenn er uns doch versprochen ist? Vielleicht merken wir es ja ganz einfach gar nicht mehr und sind blind und taub dafür geworden, wie sehr Gott sich mit seinem Geist müht, auch in unserem Fühlen und Denken ankommen zu dürfen? Umkehr bedeutet also so etwas, wie die Besinnung darauf, dass wir zunächst einmal Gott, die Gottheit Gottes, wieder ernst zunehmen lernen und auf das hören, was das Wort uns allen zu sagen hat.

Dort, wo das geschieht, werden Christen auch als Christen wieder wahrgenommen und die Kirche als Kirche, wird neues Leben möglich, die Verhältnisse verändern sich und aus Gleichgültigkeit, Bequemlichkeit und wachsender Resignation an den Verhältnissen, wächst Engagement, Aufmerksamkeit, Sensibilität für das, was mein Gegenüber zum Leben, für seine Freiheit, seine Lebensgestaltung braucht und damit auch für die Strukturen, in denen ich lebe, in der Familie, dem Beruf, den Hobbies, dem Lebensraum.

Nur keine weiteren Sonntagsreden zu unseren verlorengegangenen Werten und Zielen. Hören wir auf damit, immer wieder nur auf uns zu hören, die Schlechtigkeit der Welt zu beklagen und kehren wir um zu den vielfältigen Möglichkeiten, die Gott uns mit unserem Leben geschenkt hat. Diese jedoch widersprechen unserem derzeitigen way of life in vielfacher Hinsicht. Lernen wir nicht auf ein weiteres mehr oder weniger moralisches Gesetz zu hören, sondern auf die Botschaft, die schon das Leben so vieler Menschen durch die Geschichte der Kirche und der Welt hindurch verändert hat. Lassen wir es zu, dass Gottes Geist zum guten Geist auch unseres Lebens wird und damit dem Leben all derer, die uns anvertraut sind oder denen wir auf unserem Lebensweg begegnen. Es liegt an uns, was wir aus unserer Taufe und diesem Pfingstfest machen.

So wünsche ich uns allen ein recht gesegnetes Pfingstfest und den guten Geist unseres Gottes erfrischend neu!
Amen.


Literatur:

  1. Lenz, S., Beziehungen, in: Neue Gottesdienste für heute, München, 1975, S.72
außerdem: Letzte Änderung: 22.05.2002
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider