Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Rogate, 1.Tim 2,1-6

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Der Sonntag „Rogate“ lässt uns einmal in allem Trubel unseres Lebens innehalten und über das Gebet nachdenken. Beten? Vielen von uns ist das Gebet fremd geworden, man weiß eigentlich gar nicht mehr wozu oder wofür zu beten wäre? Dabei ist unser Beten kaum etwas anderes als eine kleine Pause in unserem Leben, in der wir ein wenig zur Ruhe kommen können, unser Leben bedenken und Gott für all das loben und danken dürfen, was uns mit allen Höhen und Tiefen in unserem Leben geschenkt ist. Im Gebet denken wir also buchstäblich über uns selbst hinaus.

 

Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft, noch seine Güte von mir wendet.

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Du wartest auf unser Gebet, auf unsere Klage, unsere Bitte, doch auch auf unseren Dank. Wir könnten mit dir reden, menschlich, so, wie mit einem Vater, einer Mutter, doch wir haben oft keine Lust, keine Kraft, kein Vertrauen. Fern und fremd bist du uns vielfach geworden, weil wir sprachlos wurden und durch unsere Sprachlosigkeit auch unseren guten Geist verloren haben, den Geist der Ehrfurcht vor Dir, Gott und vor allem menschlichen Leben.

 

Lass uns wieder ganz neu lernen mit unserem Beten für unsere Welt einzustehen, Weltverantwortung zu übernehmen über alle Grenzen unserer eigenen Meinung über andere und unsere Vorurteile hinweg. Wir tragen die Mitverantwortung dafür, wenn sich unbegründete Resignation unter uns breit macht, - wir tragen die Verantwortung für den Glauben anderer, für ihre Bildung, für ihre Gesundheit, für ihren Frieden über alle Unterschiede, Religionen, Konfessionen, Rassen und Klassen hinweg. Vergib uns unsere geistige Engherzigkeit, mit der wir unseren Mitmenschen den Weg zu dir verstellen und schenke uns deinen guten Geist.

 

So danken wir dir für alle Menschen unter uns, die uns mit ihrem Glauben ein Vorbild sind und die sich in unserer Gemeinde und Kirche mit ihrem Engagement einbringen. Vor dir bringen wir nun auch voller Dankbarkeit alle Menschen in Erinnerung, die uns den Weg zu dir vorangegangen sind – und beten für uns, unsere Gemeinde, die St. Laurentius Pfarrei, unsere kleine Stadt und für die ganze Welt. Amen.

 

 


 

 

Das Erste und Wichtigste, wozu ich die Gemeinde aufrufe, ist das Gebet, und zwar für alle Menschen. Bringt Bitten und Fürbitten und Dank für sie alle vor Gott! Betet für die Regierenden und für alle, die Gewalt haben, damit wir in Ruhe und Frieden leben können, in Ehrfurcht vor Gott und in Rechtschaffenheit. So ist es gut und gefällt Gott, unserem Retter. Er will, dass alle Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit kommen und gerettet werden. Denn dies ist ja unser Bekenntnis: Einer ist Gott, und einer ist der Vermittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Jesus Christus. Denn er gab sein Leben, um die ganze Menschheit von ihrer Schuld loszukaufen. Das gilt es zu bezeugen in dieser von Gott vorherbestimmten Zeit.

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Für wen beten Sie? Beten Sie für Gerhard Schröder, unseren Bundeskanzler in schwieriger Zeit oder Angela Merkel, die Oppositionsführerin? Beten Sie für Ihren Arbeitgeber oder ihren persönlichen Chef? Beten Sie für unseren Bürgermeister, die Mitglieder des Gemeinderates, Ihre Kirchengemeinde oder die St. Laurentius-Pfarrei? Wofür beten wir eigentlich, wenn wir beten?

 

Es ist unstrittig, dass auch unser Text seine große weitreichende politische Wirkung hatte. Neben der Aufforderung aus dem Römerbrief: „Alle ohne Ausnahme müssen sich den Trägern der Staatsgewalt unterordnen. Denn es gibt keine staatliche Macht, die nicht von Gott kommt...“ (Römer 13,1), sorgte unser Text mit weitreichenden Konsequenzen dafür, von allen Christen Gehorsam der Obrigkeit gegenüber einzufordern. Dabei findet sich gerade in unserem Text viermal die nachhaltige Aufforderung für „alle“ Menschen zu beten.

 

In Folge der Reformationszeit mit sehr unterschiedlichen Aussagen und Verhaltensweisen der weltlichen und geistlichen Obrigkeit gegenüber, kam es schon bald zu einem buchstäblichen „Untertanengeist“. Der jeweilige Landesherr gewährte seinen Untertanen, die ja getaufte Christen waren, Schutz und forderte dafür im Gegenzug einen absoluten Gehorsam. So heißt es im Amtseid der Ordination in Preußen:

 

„Ich, (N.N.), der ich jetzt zum heiligen Predigt-Amte berufen und angenommen werde, gelobe und schwöre bei Gott und seinem Heiligen Evangelium, dass ich keine andere Lehre predigen und ausbreiten will, als die, welche gegründet ist in Gottes lauterem und klaren Worte, den prophetischen und apostolischen Schriften des Alten und Neuen Testamentes... Desgleichen will und werde ich getreu sein, meinem rechtmäßigen Könige, Seiner Majestät dem Könige von Preußen, meinem großmächtigen Landesherrn und obersten Bischof, also, dass ich des Königs Nutzen und Bestes suche und fördere auf jegliche Weise. Mit Leben und Blut, mit Lehre und Beispiel, mit Wort und Tat will ich die Königliche Macht und Würde verteidigen...“ [1]

 

Erst so wird man verstehen, warum es in der Folge zu Entwicklungen kam, die so gut wie widerspruchslos in den Ersten und Zweiten Weltkrieg hineinführten.

 

Man fühlte sich durch seinen Eid an die Obrigkeit gebunden und konnte sich damit aus allem Politischen heraushalten. Letztlich waren es dann immer die anderen, welche die Verantwortung zu tragen hatten. Als Karl Barth im Dritten Reich den Amtseid auf den Führer rundherum ablehnt, war das der erste Schritt zu seiner Ablösung als Professor in Bonn und seiner baldigen Abschiebung in die Schweiz. Wir alle wissen, wie schwer es einerseits in jener Zeit war, einen Widerstand zu organisieren und dass dann gerade in Kreisen engagierter Christen schließlich doch über den Tyrannenmord nachgedacht wurde.

 

Nein, die neutestamentliche Aufforderung auch für die Regierenden zu beten, bedeutete gerade nicht den blinden Untertanengehorsam, der kam den Herrschenden nur sehr entgegen, weil man so die Regierten widerspruchslos an kurzer Leine halten konnte. Wir Christen haben für alle Menschen zu beten, so hören wir es unverkürzt in unserem Text aus dem 1. Timotheusbrief und das schließt eben auch diejenigen ein, die – auf welche Weise auch immer – in Staat und Gesellschaft Verantwortung tragen. Wer betet denkt mit und übernimmt auf seine Weise ein Stück Weltverantwortung, weil im Gebet geistvoll Grenzen überschritten werden.

 

Der Sonntag „Rogate“ erinnert uns daran, dass gerade das „Gebet“ zur christlichen Existenz dazu gehört, ja für Christen unerlässlich ist. Dabei spüren wir sehr genau, wie weit wir uns von einem recht verstandenen Beten entfernt haben. In der Regel beten wir – wenn wir denn überhaupt noch beten – für uns selbst. Ich stehe mit meinen Wünschen im Mittelpunkt des Gebetes. Oft genug ist unser Beten aber nichts anderes mehr als Flucht, Weltflucht. „Gott wird überall dort eingesetzt, wo der Verstand nicht oder noch nicht hinlangt, das Gebet ist überall dort lebendig, wo mit unserer Macht nichts mehr getan ist...“ [2] Gestern erst konnten wir in der Zeitung lesen [3], dass nach einer Emnid-Umfrage immerhin 63% der Deutschen meinen, dass das Beten helfe, dagegen aber nur 23% tatsächlich noch täglich beten.

 

Nicht Grenzsituationen unseres Lebens, wie eine finanzielle Not, aufkommende Angst, eine Krankheit, das Leid oder der Tod sind Orte des Gebetes, sondern das Leben in seiner ganzen Fülle, seinem unendlichen Reichtum bis dorthin, wo wir dann auch einmal etwas zu erleiden haben. Gott darf durch unser Gebet nicht als eine Art Rückversicherung aus der Welt, aus unserem Leben verdrängt werden – und darum muss es überall in unserem Leben seinen Platz und seine Zeit haben und es muss konsequent mitdenkend alle Menschen und Situationen einschließen, alle die ich liebe, die mir nahe stehen, die mich fordern oder mir Mühe machen. Gerade so wird unser Beten uns friedensfähiger und glaubwürdiger der Welt mit ihren Herausforderungen gegenüber stehen lassen. Alles andere ist Flucht aus der Wirklichkeit, ein frommer Selbstbetrug, eine Illusion.

 

Da gibt es den alten Witz, dass ein Kapitän in höchster Seenot ausruft: „Nun hilft nur noch beten“ und die anderen entsetzt fragen: „Sind wir schon so weit?“ Das zeigt, wie sehr wir Gott aus unserem Leben faktisch herausgedrängt haben und ihn nur noch dort in unser Leben hineinholen, wo wir am Ende sind. So aber werden wir weder Gott noch der Welt mit ihren ganz eigenen Anforderungen an unser Leben gerecht. „Im Gebet“, so sagte es Dorothee Sölle einmal sehr schön, „versuchen wir, zu sagen, wo wir sind – im Alltag, in der Langeweile, im Rummel, im Glück. Wir versuchen zu sagen, wer wir sind ...“ [4]

 

Gerade so wird das Gebet zu einer Reflexion, zu einem Bedenken unseres ganzen Lebens in seinen Höhen und Tiefen, seiner Freude und seinem Leid, seinen Möglichkeiten und Grenzen. Unser Glaube findet Worte, wo sie uns oftmals fehlen und in unserem Gott ein Gegenüber, einen Ansprechpartner. Wir überlassen die Welt nicht mehr sich selbst und uns selbst nicht einfach der Welt.

 

Bei einem Gespräch sagte mir mein katholischer Kollege und Freund Frank Martin vor kurzem einmal, „wenn wir zum heiligen Geist beten, dann sollten wir es nur dann tun, wenn wir auch wirklich wollen, dass sich etwas verändert...“ Genau darum geht es, mit unserem Gebet für die ganze Welt vor Gott einzustehen und dann auch den Mut zu finden, sich mit seinem Glauben, seinen Überzeugungen, seinen Werthaltungen aktiv für eine andere Welt einzusetzen. Darum sollen, ja müssen wir für „die da oben“ beten, weil wir ihnen die Welt eben nicht allein überlassen dürfen, darum sind wir bei Wahlen gefordert, unser Wort zu sagen und uns eben nicht zu verweigern.

 

Warum beten wir eigentlich nicht für Präsident Buch und Tony Blair, die doch eine Politik machen, die uns zutiefst besorgt, - warum nicht für Präsident Putin in Russland, dessen Politikverständnis uns ebenfalls allen Anlass zur Sorge gibt? Haben es Ariel Scharon in Israel oder Präsident Arafat in Palästina nicht nötig, dass man für sie vor Gott einsteht? Wollen wir ihnen wirklich diese Welt gedankenlos überlassen? Unsere Verantwortung für die Welt lässt sich nicht an Politiker delegieren, damit wir eine saubere Weste behalten. Wer betet, denkt nach und übernimmt Verantwortung und eben das ist es, was Jesus uns vorgelebt hat und wozu uns unser Text ermutigt.

 

Zur „Erkenntnis der Wahrheit“ werden wir nur dann finden können, wenn wir es wieder wagen, unseren Glauben nachzudenken, ihn in einem guten Sinne alltäglich werden zu lassen, auch in Wort und Tat - bis hin zur engagierten Wachsamkeit allen gegenüber, die in Politik und Wirtschaft, in Verbänden und Gewerkschaften, in Vereinen, Organisationen und in unseren Kirchen auch weltweit Verantwortung tragen.

 

Liebe Gemeinde! Für wen beten wir, für was beten wir? Da sich unser Glaube nicht vom Gebet, dem Nachdenken unseres Lebens vor Gott, trennen lässt, ist jeder Gegenstand, jeder Ort und jede Zeit recht, um zu beten. Lob, Dank und Bitte werden sich je nachdem, wie wir unser Leben gerade erfahren, ablösen. Dabei haben wir wirklich allen Grund, Gott Dank zu sagen, denn uns ist mehr geschenkt, als vielen anderen Menschen dieser Welt, das sollten wir mitbedenken, wenn wir beten.

 

Nicht ohne Grund schließt das Vaterunser mit einer Doxologie, einem Lobpreis, denn bei all unseren vielen Bitten vergessen wir oft, die zweckfreie, dankbare Anbetung Gottes: „... denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ Lassen wir uns mit dem Sonntag „Rogate“ wieder einmal einladen, unser Beten zu bedenken und zu lernen, für alle Menschen zu beten, denn das wird uns in unserem Leben aufmerksamer, empfindsamer und letztendlich auch friedensfähiger machen. Kein enges, ichbezogenes Gebet ist also gemeint, sondern eines, das über alles Private hinausreicht. Erst so geraten dann unser Glaube und unser Handeln nicht mehr in einen tagtäglichen Widerspruch und unsere Welt wird als die Welt Gottes zu der Welt, für die wir, ein jeder von uns, auf seine je eigene Weise – gerade auch mit und in unserem Gebet – Verantwortung zu übernehmen haben. Amen.

 

 

 

 

Literatur:

 

 

1) Thelemann, H.-M., Aschermann, H., Horizonte des Glaubens,

     Frankfurt, 19682, S. 231

2) Sölle, D., Gebet, in: Atheistisch an Gott glauben, Olten, 19704, S. 109

3) Badische Zeitung, 15. 05. 2004, S. 23, „Deutsche glauben an die Kraft der Gebete“

4) Sölle, D., a.a.O., S. 116

 

 

Rothermundt, J., Calwer Predigthilfen, 1997/1998, Reihe II/1, S. 237ff

Busch, E., Karl Barth, Lebenslauf, München, 19752

 

 

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