Septuagesimae, Matthäus 20,1-16a

 

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Ganz oft im Leben fragen wir nach der Gerechtigkeit, gibt es überhaupt eine Gerechtigkeit? Vergleichen wir uns nicht immer wieder mit anderen Menschen, denen es besser geht, als uns selbst, die schöner sind als wir oder wohlhabender? Sehr oft sind es doch gerade die anderen Menschen, die etwas haben, was uns scheinbar fehlt. Lassen wir uns heute dazu einladen, einmal zu hören, was Jesus selbst zur Frage nach der Gerechtigkeit sagt.

           

Herr, dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege

(Ps.119,105).

 

 


Gebet:

 

Herr, guter Gott! Immer wieder teilen wir die Menschen ein in solche, die viel, und solche, die wenig leisten, in solche, die mehr und solche, die weniger taugen. Wir leben aus dem Vergleich heraus und werden neidisch, wenn es anderen scheinbar besser geht, als uns selbst. Wie oft berechnen wir, was wir verdient haben an Zuwendung und Wohlergehen, was uns andere an Verständnis und Anerkennung schulden. Überwinde unser Denken in Rangordnungen, damit wir selbst anfangen, uns der Bedürftigkeit anderer zu stellen. So lass uns dein Wort heute so gehört haben, dass wir dankbar zu leben lernen, ganz unabhängig davon, was wir als „gerecht“ für unser eigenes Leben ansehen.

 

So danken wir dir für alle Menschen unter uns, die uns mit ihrem Glauben ein Vorbild sind und die sich in unserer Gemeinde und Kirche mit ihrem Engagement einbringen. Vor dir bringen wir nun auch voller Dankbarkeit alle Menschen in Erinnerung, die uns den Weg zu dir vorangegangen sind – und beten für uns, unsere Gemeinde, für unsere katholischen Mitchristen, für unsere kleine Stadt und für die ganze Welt. Amen.

 

 

»Wenn Gott sein Werk vollendet, wird es sein wie bei dem Weinbergbesitzer, der früh am Morgen auf den Marktplatz ging, um Leute zu finden und für die Arbeit in seinem Weinberg anzustellen. Er einigte sich mit ihnen auf den üblichen Tageslohn von einem Silberstück, dann schickte er sie in den Weinberg. Um neun Uhr ging er wieder auf den Marktplatz und sah dort noch ein paar Männer arbeitslos herumstehen. Er sagte auch zu ihnen: 'Ihr könnt in meinem Weinberg arbeiten, ich will euch angemessen bezahlen.' Und sie gingen hin. Genauso machte er es mittags und gegen drei Uhr. Selbst als er um fünf Uhr das letzte Mal zum Marktplatz ging, fand er noch einige herumstehen und sagte zu ihnen: 'Warum tut ihr den ganzen Tag nichts?' Sie antworteten: 'Weil uns niemand eingestellt hat.' Da sagte er: 'Geht auch ihr noch hin und arbeitet in meinem Weinberg!' Am Abend sagte der Weinbergbesitzer zu seinem Verwalter: 'Ruf die Leute zusammen und zahl allen ihren Lohn! Fang bei denen an, die zuletzt gekommen sind, und höre bei den ersten auf.' Die Männer, die erst um fünf Uhr angefangen hatten, traten vor, und jeder bekam ein Silberstück. Als nun die an der Reihe waren, die ganz früh angefangen hatten, dachten sie, sie würden entsprechend besser bezahlt, aber auch sie bekamen jeder ein Silberstück. Da murrten sie über den Weinbergbesitzer und sagten: 'Diese da, die zuletzt gekommen sind, haben nur eine Stunde lang gearbeitet, und du behandelst sie genauso wie uns? Dabei haben wir den ganzen Tag über in der Hitze geschuftet!' Da sagte der Weinbergbesitzer zu einem von ihnen: 'Mein Lieber, ich tue dir kein Unrecht. Hatten wir uns nicht auf ein Silberstück geeinigt? Das hast du bekommen, und nun geh! Ich will nun einmal dem letzten hier genau soviel geben wie dir! Ist es nicht meine Sache, was ich mit meinem Eigentum mache? Oder bist du neidisch, weil ich großzügig bin?'« Jesus schloss: »So werden die Letzten die Ersten sein, und die Ersten die Letzten.«


 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Deutsche Top-Manager haben sich im vergangenen Jahr wieder eine kräftige Gehaltssteigerung von durchschnittlich 17,5 Prozent gegönnt.... Mal angenommen, es gäbe eine Gewerkschaft der deutschen Manager, und diese Gewerkschaft würde mit den Konzernen über das Gehalt dieser Manager verhandeln, was wäre los in diesem Land, wenn am Beginn der Verhandlungen eine Forderung von, sagen wir mal, 40 oder gar 50 Prozent stünde? Und wenn man sich am Ende auf eine Steigerung von 17,5 Prozent einigen würde? Würden die Unternehmen dies als einen Pilotabschluss akzeptieren, den man problemlos auf andere Berufe übertragen kann? Wohl kaum. ... Alle Versuche seitens der Manager, dies zu rechtfertigen, laufen ins Leere. 1)

 

Durchschnittlich erhielten die Führungskräfte knapp 2,9 Millionen Euro, rund 400.000 Euro mehr als im Jahr zuvor, wie die "Welt am Sonntag" auf der Grundlage eigener Berechnungen vorab berichtete... 2) Mit einem solch unerhörten Zuwachs lagen die Spitzenkräfte der deutschen Wirtschaft demnach weit über dem der Arbeitnehmer, deren Lohn- und Gehaltszuwachs mit durchschnittlich 1,4 Prozent unter der Inflationsrate lag.

 

Ist das gerecht? Wie müssen Arbeitnehmer, welche die Werte ja erst schaffen, es empfinden, wenn ihre Führungskräfte sich in dieser Weise bedienen, sich aber im gleichen Atemzug nicht scheuen, Arbeitsplätze abzubauen und das gilt ja von den Großbanken bis hin zur Industrie durch fast alle Branchen hindurch?

 

Ist es gerecht, um ein weiteres Beispiel aus einem ganz anderen Bereich unseres Lebens zu nennen, wenn Papst Benedikt XVI immer offen ist für eine „Ökumene nach rechts“ 3), wie es jetzt einmal geschrieben wurde? Da werden Bischöfe der Piusbruderschaft wieder in die Kirche aufgenommen, die nach wie vor Teile des II. Vatikanischen Konzils leugnen. Was aber geschieht mit den Befreiungstheologen Lateinamerikas, Hans Küng oder anderen liberaleren Theologen, die sich auf ihre Weise um die Wahrheit der Kirche mühen und inhaltlich sicher weniger weit von den zentralen Anliegen der Kirche entfernt sind, wie die vier jetzt wieder gnädig aufgenommenen Bischöfe. Ist das gerecht?

 

Zwei Beispiele, die zeigen, dass es gerade nicht gerecht zugeht in der Welt. Und nun auch noch dieses Gleichnis Jesu von den Arbeitern im Weinberg. Wird hier der Ungerechtigkeit nicht sogar durch Jesus selbst Tor und Tür geöffnet? Gerechtigkeit, sie gehört untrennbar mit der Menschlichkeit zusammen. Erst im Laufe von Jahrtausenden bildete sich doch so etwas wie ein Gerechtigkeitsempfinden heraus, was sich dann in einem Lohn- oder Strafrecht niederschlug. Dass jede Arbeit ihres Lohnes Wert ist, sagt schon Jesus seinen Jüngern: „Denn wer arbeitet, hat ein Anrecht auf Lohn...“ (Lk. 10,7), womit er sich auf ein altes Rechtsempfinden in Israel beruft.

 

Und gleiches gilt für das Strafrecht, wenn es schon im 2. Buch Mose heißt: „Auge um Auge Zahn um Zahn.“ (2. Mose 21,24) Hier geht es gerade nicht um Willkür und Maßlosigkeit, sondern um die Verhältnismäßigkeit des Rechtes. Wer Unrecht tut, soll seine Strafe bekommen, aber diese soll in einem gerechten Verhältnis zu seiner Unrechtstat stehen, daher „Auge um Auge, Zahn um Zahn... Aber es ist immer ärgerlich, wenn dieser uralte Rechtssatz Israels bei uns vorschnell und uninformiert in dem Sinne verwandt wird: Schlägst du meine Tante, schlag ich deine Tante...

 

Bei der Frage nach der Gerechtigkeit geht es letztendlich darum, dass wir Menschen nicht ein jeder für sich selbst seinen Egoismus lebt, sondern wir an das Recht, das Menschenrecht erinnert werden. Und diesen Anspruch an die Wohlhabenden verschärft Jesus, in dem er Barmherzigkeit einfordert, Rücksicht auf die Schwachen in einer Gesellschaft. Seiner Meinung nach geht es gerade nicht, dass die Armen unter die Räder kommen, während die Habenden immer mehr und mehr bekommen.

 

Nun erzählt Jesus dieses Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg und ich höre die Wohlhabenderen unter uns schon seufzen: Na, ja, so wörtlich kann man Jesus hier wohl nicht nehmen - und wir Prediger werden schnell in eine linke Ecke geschoben, weil es so ja sehr einfach und bequem ist. Aber was will Jesus uns hier eigentlich mit diesem Gleichnis sagen? Wieder greift er sich ein Beispiel heraus, das seine Zuhörer alle gut aus ihrem Alltag kennen: Es ist Erntezeit, die Arbeit drängt und schon damals gab es Arbeitslosigkeit und Arbeitslose, die schon früh am Morgen auf Arbeit warteten. Mit ihnen wird der Lohn für den Tag vereinbart, der etwa für einen Tag zum Leben ausreicht und so beginnen sie mit ihrem Tagewerk, der sie und ihre Familien ernähren wird. Je nach Arbeit geht er nun immer wieder einmal auf den Markt, um die weiteren Arbeiter anzuwerben, die er braucht. Der Protest am Ende des Arbeitstages ist groß, als jeder den gleichen Lohn erhält, ganz gleich, wann er mit der Arbeit anfing.

 

Verständlich, dass jene, die den ganzen Tag arbeiteten, es ungerecht finden, dass jene, die später hinzu kamen, nun den selben Betrag wie sie selbst erhalten. Sie sehen nur sich, denken aber gar nicht darüber nach, dass der geringere Lohn für die anderen Arbeiter bedeutet hätte, dass diese bei einem unterschiedlich gestaffeltem Verdienst so wenig an diesem Tag verdient hätten, dass es nie für einen Tag zum Leben ausreichen würde, schon gar nicht für eine ganze Familie. Und das ist nun die Pointe der Erzählung Jesu: Natürlich ist es ungerecht so vorzugehen, denn sie gibt eben nicht jedem, was er verdient, sondern ganz und gar unverdientermaßen das, was ein Mensch zum Leben braucht.

 

Es war ein klares Gebot in Israel, dass jedem Arbeiter noch am gleichen Tag der Lohn auszuzahlen ist. So heißt es schon im 3. Buch Mose: „Erpresst und beraubt nicht eure Mitmenschen. Wenn jemand um Tageslohn für euch arbeitet, dann zahlt ihm seinen Lohn noch am selben Tag aus.“ (3.Mose 19,13) Daher wird nun auch die Vaterunser Bitte verständlich: „Unser tägliches Brot gib uns heute!“

 

Der Weinbergbesitzer wird durch seine Lohnzahlungen nicht ärmer, aber er nimmt hier seine soziale Verantwortung für die Schwächeren in der Gesellschaft wahr. Im Gleichnis lässt der Weinbergbesitzer die Protestanten nun vortreten und sagt ihnen nachdrücklich, dass er ihnen kein Unrecht getan, weil ja jeder seinen vereinbarten Lohn erhalten hat. „Das `Unrecht´ entsteht erst im Vergleich mit den anderen, mit den aus Güte Bevorzugten. Und das ist jetzt der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Auseinandersetzung: Man gebe den Menschen, was sie nötig haben, denn, muss man ergänzen, mit dem, was sie verdienen können sie nicht leben...“ 4). Wie modern, wie aktuell ist dieses Gleichnis, trifft es doch messerscharf alle politischen Diskussionen unserer Tage um die Frage nach Tarifabschlüssen, der angemessenen Höhe der Sozialhilfe oder dem Betrag, der für Kinder von Harz IV Empfängern gerechter Weise auszuzahlen wäre.

 

Um unserem Widerspruch gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: Auch Jesus geht es hier ausdrücklich nicht um Sozialschmarotzer, um Menschen, die schlicht zu faul zur Arbeit sind, ihm geht es in diesem Gleichnis darum, dass ein Mensch von seiner Arbeit leben kann. Übertragen wir das Wort Jesu auf Gott, so bedeutet es ja, dass jeder von uns auf dieses „Mehr“ Gottes angewiesen ist. Niemand von uns besteht durch sein Tun, durch seine Leistung vor Gott, nie würde er selbst sich so viel an Glaubensgütern verdienen, dass er sich damit die Gegenwart Gottes erkaufen könnte. Unverdientermaßen kommt uns Gott entgegen, das ist der entscheidende Punkt.

 

Jesus greift auf ein Bild der Ökonomie seiner Zeit zurück, um einerseits deutlich zu machen, dass wir Gottes Gerechtigkeit nie verstehen werden, schon gar nicht mit unserem Leistungsdenken. Andererseits mahnt er zur Gerechtigkeit, in dem er darauf hinweist, den Armen und Bedürftigen das zukommen zu lassen, was sie zum Leben lebensnotwendig brauchen. So meint dieses Wort nun auch uns alle und keinesfalls nur die da „Oben“, denn in Gottes Augen sind wir alle in unserem Leben reich beschenkt. Was aber tun wir mit diesem Reichtum, diesem Geschenk, wie teilen wir unser Leben, unser Glück, unseren partiellen Wohlstand, wie teilen wir unseren Glauben, unsere Hoffnungen und unsere Liebe?

 

Ja, es gibt keine Gerechtigkeit in der Welt, das aber darf uns nicht die Hände im Schoß liegen lassen, um auf andere zu warten, die die Arbeit tun und es darf erst recht nicht dazu verführen, Menschen zu vertrösten. Schon jetzt, hier in der Welt und mitten in unserem Alltag, werden wir von Gott darauf hingewiesen, uns für den Mitmenschen verantwortlich zu fühlen, und das gilt für Arbeitgeber, wie Arbeitnehmer, für Politiker und Gewerkschaftler, das gilt für Eltern ihren Kindern gegenüber und Lehren ihren SchülerInnen gegenüber. Das gilt nicht nur für den Papst in Rom, sondern für uns alle, die wir auf die Großzügigkeit und Großherzigkeit Gottes angewiesen sind. Darum können wir gar nicht anders, als Gott jeden Tag neu Dank zu sagen für all das, was wir verdienen und vor allem für all das, was uns unverdient geschenkt ist. Amen.

 


 

 

Literatur:

 

1) Süddeutsche Zeitung, www.sueddeutsche.de/wirtschaft/654/433403/text/

2) Manager Magazin,

    http://www.manager-magazin.de/koepfe/artikel/0,2828,540363,00.html

3) DER SPIEGEL, Der Entrückte, Nr. 6/2.2.09, S. 40ff

4) Drewermann, E., Das Matthäusevangelium, Zweiter Teil, Düsseldorf, 1994, S. 508

 

Drewermann, E., Wenn der Himmel die Erde berührt, Düsseldorf, 19932, S. 47ff

Schröder, H., Jesus und das Geld, Karlsruhe, 19792, S. 87ff

Sunnus, S., Septuagesimae, in: http://www.deutsches-pfarrerblatt.de/

Dietzfelbinger, D., Göttinger Predigtmeditationen, 2008, 63. Jhrg., Heft 1,

Göttingen, S. 129ff

 

 

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