Invokavit, 1. Mose 3, 20-24

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Haben Sie schon einmal in Ihrem Leben das Paradies erlebt, einen Ort, eine Zeit, eine Situation, die schier himmlisch für Sie war? Die Höllen scheinen wir Menschen ja gut zu kennen, vor allem jene, die wir uns selbst bereiten. Heute wollen wir einmal über das uns verlorengegangene Paradies nachdenken, um vielleicht Spuren des Paradieses mitten im Leben zu finden.

           

            Der Herr selbst wird vor dir herziehen. Er wird dir helfen und dich niemals im Stich lassen. Hab keine Angst (5.Mose 31,8)

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Das Paradies haben wir Menschen ganz offensichtlich verloren, wir erleben ja die Wüsten und Schattenseiten des Lebens tagtäglich in der Not anderer Menschen, in der Erfahrung von Krieg, Verlust der Heimat, Hunger und Terror, in der Krankheit und im Altwerden des Menschen, in unserer Trauer um den Verlust eines Mitmenschen. Wir erkennen unsere Grenzen, doch bitten wir dich, um immer neue Spuren des Paradieses schon hier und jetzt mitten in unserem Leben, mitten in all den Herausforderungen – und sogar im Einerlei und Grau des Alltags, denn dir wollen wir gern vertrauen. Amen


 

 

Adam nannte seine Frau Eva, denn sie sollte die Mutter aller Menschen werden. Gott machte für sie beide Kleider aus Fellen. Dann vertrieb er den Menschen aus dem Garten Eden. Denn er dachte: „Nun ist der Mensch wie einer von uns geworden, und alles Wissen steht ihm offen. Es darf nicht sein, dass er auch noch vom Baum des Lebens isst, sonst wird er ewig leben! Er soll Ackerboden bebauen, aus dem er gemacht worden ist.“ Den Eingang des Gartens ließ Gott durch die Cheruben und das flammende Schwert bewachen. Kein Mensch sollte zum Baum des Lebens gelangen.

 

 


Liebe Gemeinde!

 

Waren Sie schon einmal in einem Paradies oder kennen Sie diesen Zustand, wo man sich wie in einem Paradies fühlt? Sehr konkret malen wir Menschen uns aus, wie es wohl im Paradies sein müsste: Weißer Strand, blauer Himmel, hellgrünes Wasser oder auf einem Berggipfel: atemlos angekommen sein, eine unendlich weite Sicht, all das Alltägliche tief unter einem und über einem nur noch der schier grenzenlose Himmel. Von ganz und gar menschlichen Paradiesen sprechen wir, wenn wir uns wie im Himmel fühlen, verliebt sind, eine weitere Etappe in unserem Leben gemeistert und das Gefühl haben, dass uns die Welt offen steht. Es kann ebenso paradiesisch sein, Ski zu fahren, zu reiten oder ein gutes Fußballspiel zu sehen, wie vor einem großartigen Bild zu stehen oder, ein tolles Buch zu lesen. Das alles können Ahnungen davon sein, welches Glück das Paradies dem Menschen schenkt

 

Auch die Hölle scheinen wir Menschen ganz gut zu kennen. Jean-Paul Sartre beschreibt sie in seinem Stück „Geschlossene Gesellschaft“ mit den Worten: „Die Hölle, das sind immer die anderen...“ Und wer wollte da widersprechen?

 

Die Bibel stellt uns das Paradies als einen Ort vor, in dem der Mensch mit sich selbst im Frieden lebt, mit der ihn umgebenden Natur und der Kreatur, es ist ein Garten, in dem selbst die Tiere einander nicht feind sind. Mitten in das Ur-Chaos hinein hat Gott einen Ort geschaffen, der kein Unglück, keine Krankheit, kein Altwerden, ja nicht einmal den Tod kennt. Der Mensch darf aus einem unverdienten Reichtum und einer grenzenlosen Fülle heraus leben Das Paradies ist der Ort, an dem auch Gott zu Hause ist.

 

Menschen brauchen eine Sprache, um sich ausdrücken zu können, Worte die eine weitreichende Bedeutung haben. Und wo die Sprache nicht mehr ausreicht, braucht es erzählte Bilder, wie die alten Märchen. In ihnen kommt das ganze Leben vor, oft grausam und ungeschminkt: Die bittere Armut, harte Arbeit, das Alter, welches das Leben einschränkt und abhängig macht, die Hexen und der Tod. Aber im Märchen gibt es auch den Prinzen und die Prinzessin, und alle Märchen enden jenseits der dunklen Erfahrungen, die jedes Leben mit sich bringt, durchstandener Kämpfe, erfüllter Aufgaben – „und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“ Märchen sind erzählte Bilder, in denen das ganze menschliche Leben abgebildet ist und sie reichen von menschlichen Höllen bis hin zu schier göttlichen Paradiesen. Auch die Bibel verwendet solche Bilder, wo uns die Sprache oft fehlt.

 

Der katholische Theologe Eugen Drewermann, der ja zugleich auch Psychotherapeut ist, schreibt:

 

„In Wahrheit sind die Erzählungen der Urzeit Geschichten über das Wesen des Menschen, und überall ist es sich gleich in seiner Not und seiner Einsamkeit, in seiner Sehnsucht und seiner Hoffnung. In gewissem Sinn ist Gott überall den Menschen gleich fern und gleich nah, unbarmherzig scheinbar den Menschen, die ihm ferngerückt sind, und unerträglich nah den Menschen, denen er sich zu nahen versucht, schreckverwirrt, geängstigt, wie sie sind.“ [1]

Schon die beiden Namen, die uns berichtet werden: Adam und Eva sind Teil einer großen Theologie der Schöpfung. „Adam“ heißt im hebräischen schlicht „Mensch“, auch im Sinne der „Menschheit“ und „Eva“ bedeutet „lebend“. Sie ist also ein Bild der Mutter aller, die leben. Beide stehen als Mann und als Frau so für die ganze Menschheit und nicht etwa als ein isoliertes, erstes Menschenpaar. Gott schafft sich den Adam als Gegenüber, so dass wir es hier also zunächst noch nicht mit dem Mann im biologischen Sinne zu tun haben, sondern mit einem Menschen. Erst, indem Eva hinzukommt, ein Mensch, der die Fähigkeit besitzt zu gebären, wird aus dem Menschen Adam auch der biologische Mann.

 

Mit diesem Menschenpaar wird unglaublich treffend zum Ausdruck gebracht, dass Gott weder für sich selbst, noch für seinen Menschen die Einsamkeit will. Adam wäre in seiner Einsamkeit nicht lebensfähig und so schenkt Gott auch seinem Menschen ein Gegenüber und damit Partnerschaft und eine lebensstiftende Gemeinschaft, die sich schöpfungstheologisch positiv ja auch in seiner Sexualität ausdrückt, aller protestantischer Leibfeindlichkeit oder katholischer Moralvorstellungen zum Trotz.

 

Unser Teil der biblischen Urgeschichte erzählt sehr lebendig, dass wir Menschen das Paradies verloren und daher jenseits des Paradieses zu leben haben. Was uns geblieben ist, ist eine Ahnung davon, dass es so etwas gegeben hat und eine Ahnung davon, dass es das irgendwie noch einmal in der Zukunft menschlicher Existenz geben wird. Es ist ein Raum jenseits des menschlichen Lebens, in dem Menschen arbeiten, kämpfen, Kinder gebären und schließlich sterben, die unendlichen Wüsten und Schatten eines jeden Lebens zu durchleben, zu durchleiden haben. Dabei wird jedes Leben von der Ahnung begleitet, dass es das Paradies geben müsse, weil wir hier und da Geschenke des Paradieses in das Grau des Alltags hinein geschenkt bekommen, z.B., in der Liebe oder in einer unendlichen Glückserfahrung. So leben wir jenseits des Paradieses und leben doch mit der Hoffnung darauf.

 

„Zur Hoffnung auf einen Wiederanfang schreibt der bekannte jüdische Schriftsteller Elie Wiesel: `Als Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben waren, resignierten sie nicht. Sie wurden mit dem Tod konfrontiert und beschlossen, ihn dadurch zu bekämpfen, dass sie Leben schenkten, dass sie dem Leben einen Sinn verliehen. Nach dem Fall gingen sie ans Werk, an die Arbeit für die Zukunft und gaben ihr ein menschliches Gesicht... Als Gott den Menschen erschuf, schenkte er ihm zwar nicht das Geheimnis des Anfangs, aber des Wiederanfangs. Mit anderen Worten: Dem Menschen ist es nicht gegeben einen Anfang zu setzen, diese Macht steht nur Gott zu, aber der Neubeginn gehört zum Menschen. Der Mensch fängt jedes mal neu an, wenn er sich entscheidet auf die Seite der Lebenden zu treten und so den ältesten Plan Adams, des ältesten Menschen, rechtfertigt, dem wir uns verbunden fühlen...´“ [2]

 

So hat unsere Existenz – jenseits des Paradieses - doch etwas tröstliches, ja auch hoffnungsvolles, wenngleich unser Leben ganz und gar diesseitig zu leben ist und unser Glaube keine Weltflucht sein darf. Hier, in diesem, uns geschenkten Leben, finden wir unsere Aufgaben, die Arbeit, die Liebe, die Ehrfurcht vor allem, was lebt und darin die Erfüllung unseres einmaligen Lebens. Hier erweist sich dann auch die Stärke unseres Glaubens. Alles andere ist und bleibt ein unverfügbares Geschenk, worauf wir uns dann auch freuen dürfen. Es ist der Ort, an dem wir Gott und all die Menschen, die uns den Weg in den Tod vorangegangen sind, glauben dürfen.

Ein Ort, der nicht oben oder unten ist, sondern dort, wo geglaubt wird. Sonst würden wir Gott ja aus der Welt an einen mythischen Himmel expedieren und in der Welt gott-los leben müssen.

 

Aber ein jeder von uns wird sich angesichts dieser Ur-Geschichte unwillkürlich fragen, warum, warum der Verlust dieser unglaublichen Einheit zwischen Gott und Geschöpf, warum die Vertreibung aus dem Paradies? Unser Text erzählt es auf seine Weise: Weil der Mensch von Anfang an sein wollte, wie Gott. Auch die uns geschilderten Paradiesesmenschen waren der Versuchung ausgesetzt, eben nicht auf das Gebot Gottes zu achten, sie brachen das Tabu. Darum muss Gott eingreifen, in dem er dem Menschen Grenzen setzt, die ihn von ihm selbst, Gott, unterscheiden. So wissen wir nun zwar um Gut und Böse, aber wir werden sterben und vorher jenseits des Paradieses zu leben haben.

 

So bleibt uns das Bewusstsein, das Paradies verloren zu haben, aber wir dürfen dennoch mit der Hoffnung leben, dass wir dann, wenn Gott es für uns entscheidet und will, in seiner Gegenwart gut aufgehoben sein werden. Unvorstellbar, jenseits aller menschlicher Spekulationsmöglichkeiten, aber es wird sein, worauf dürften wir denn sonst angesichts der Gräber in der Welt hoffen? Auch mit diesem Wort der Bibel wird uns gesagt, dass es Gott ist, der das letzte Wort über Leben und Tod spricht und bei diesem menschenfreundlichen Gott sind wir alle gut aufgehoben. Akzeptieren wir unsere menschlichen Grenzen und damit auch den unendlich qualitativen Unterschied zwischen Gott und Mensch, dann werden wir unserer Berufung, unser Menschsein zu leben, auch wirklich nachkommen können. Wir müssen nicht sein wollen wie Gott, es reichte völlig, wenn wir endlich einmal menschlich zu leben lernten – und wie schwer schon das ist, erleben wir an jedem Tag unseres Lebens.

 

So existieren wir mit einer Ahnung dessen, was die Bibel das „Paradies“ nennt, und dürfen doch mit einer tiefen Sehnsucht danach leben, Gott noch einmal so nahe zu kommen, wie in einem Paradies, wann immer es sein wird und wo immer es sein mag. Vertrauen wir unserem Gott dennoch, obgleich er uns zunächst einmal das Paradies verschlossen hat, denn das war und ist nicht sein letztes Wort. Amen.

 


 

 

Literatur:

 

1) Drewermann, E., Ich lasse dich nicht, Du segnest mich denn,

    München, 1997, S. 89

2) Lenk, A.-Chr., Calwer Predigthilfen, 1998/1999, 1. Halbband,

    Stuttgart, 1998, S. 140

 

 

Barth, K., Die Kirchliche Dogmatik, III/1, Die Lehre von der Schöpfung, Zürich, 1947

Schneider, H.-H., unveröffentlichte Vorträge, Stark wie der Tod ist die Liebe

 

 

Das Schlussgebet findet sich in: Schenk dir Zeit, Texte – Bilder – Lieder,

Ev. Presseverband für Baden, Karlsruhe, 19994, S. 162

 

 

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