Letzter Sonntag nach Epiphanias, Gottesdienst für die Neuzugezogenen,

1.Mose 12,1-4

 

 

Begrüßung:

 

Liebe NeubürgerInnen, liebe Gemeinde! Es ist inzwischen eine gute Tradition, dass wir in diesem letzten Gottesdienst im Januar alle evangelischen Mitchristen sehr herzlich in unserer Mitte willkommen heißen und begrüßen möchten, die im vergangenen Jahr nach Kenzingen umgezogen sind. Es waren 141 Personen. Ein Umzug bewegt Menschen ja nicht nur von einem Ort an einen anderen, sondern er bedeutet ja überhaupt ein bewegendes Ereignis im Leben eines Menschen. Man muss Vertrautes verlassen, um heimzukehren oder an einem anderen, zunächst ja noch unbekannten Ort ganz neu zu beginnen. Das macht nachdenklich: Denn was können die neuen Mitchristen aus ihrer ehemaligen Gemeinde in unsere einbringen, was können wir für sie werden? Auf seinem Weg in eine ganz und gar unbekannte Zukunft wurde Abram von Gott gesagt: „Ich will dich segnen und du wirst ein Segen sein!“

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Unser ganzes Leben ist voller Bewegungen. Doch was ist es, was uns in unser Leben hinein bewegt? Lass es nicht nur äußere Bedingungen sein, Zwänge, denen wir ausgeliefert scheinen. Wir bitten: Komme mit, wenn wir uns aufmachen, um den Ort zu wechseln, komme mit, wenn wir uns auf Menschen zu bewegen und komme mit, wenn wir zur Arbeit, in die Schule oder dorthin gehen, wo wir unsere freie Zeit verbringen. Herr, sei da, wo immer wir ankommen und lass uns deine „Weggemeinschaft“ spüren. So segne unsere Abschiede und unser Ankommen und lass uns selbst für die Menschen zu einem Segen werden, die uns begegnen, mit denen wir zusammen leben, arbeiten, unsere Freizeit verbringen, wann und wo auch immer. Amen.


Da sagte der Herr, der Ewige, zu Abram: »Verlass deine Heimat, deine Verwandtschaft und die Familie deines Vaters, und zieh in das Land, das ich dir zeigen werde! Ich will dich segnen und dich zum Stammvater eines mächtigen Volkes machen. Dein Name soll in aller Welt berühmt sein. An dir soll sichtbar werden, was es bedeutet, wenn ich jemand segne. Alle, die dir und deinen Nachkommen Gutes wünschen, haben auch von mir Gutes zu erwarten. Aber wenn jemand euch Böses wünscht, bringe ich Unglück über ihn. Alle Völker der Erde werden Glück und Segen erlangen, wenn sie dir und deinen Nachkommen wohlgesonnen sind.« Abram folgte dem Befehl des Ewigen und brach auf...  1.Mose 12,1-4

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Ein herzliches Willkommen allen Mitchristen, die im vergangenen Jahr nach Kenzingen zogen und damit in unserer Kirchengemeinde angekommen sind. Einen persönlichen Gruß haben Sie ja schon vorab bekommen. 141 Menschen waren es , die sich auf den Weg machten, um einerseits heimzukommen, andererseits hier ein ganz neues Zuhause zu finden. Ihr Alter ist zwischen zwei und 97 Jahren. Sie zogen unter anderem aus Spanien, Kanada, Frankreich und der Schweiz hierher. Für die Kinder war es sicher keine bewusste Entscheidung, sie zogen mit, doch für die Erwachsenen musste dieser Schritt sehr genau bedacht und schließlich eine sehr weitreichende Entscheidung gefällt werden.

 

Spazieren- oder einkaufen zu gehen, sich schnell einmal auf den Weg zu Freunden machen, um ein Glas Wein zu trinken, das ist immer schön. Doch wie sieht das aus, wenn ein Umzug organisiert werden muss, der zum Zurücklassen zwingt und unendlich viel Unbekanntes mit sich bringt? Was man hat, das weiß man ja in der Regel, doch was kommt, liegt nur sehr schemenhaft vor uns. Und so können wir heute allen NeubürgerInnen nur einen guten Start, einen glücklichen Weg und Gottes Segen in die Zukunft wünschen. So dass die neue Heimat bald vertraut und das Unbekannte bekannt wird – bis hin zu den Menschen in der Nachbarschaft, dem Arbeitsplatz, den neuen Vereinen und Organisationen in welche man aufgenommen wird und einer ganz neuen Kirchengemeinde. Vermutlich wird kaum jemand, der von uns einmal – auf welchen Wegen auch immer – nach Kenzingen kam, eine Stimme gehört haben, die zu ihm sagte: „Verlass deine Heimat, deine Verwandtschaft und die Familie deines Vaters, und zieh in das Land, das ich dir zeigen werde!“

 

So könnte es bei einigen Flüchtlingen gewesen sein, die damals nach dem Krieg hierher kamen und vielleicht auch bei Aussiedlerfamilien. Sie mögen einer inneren Stimme gefolgt sein, doch heute bringt uns anderes auf den Weg, wenngleich die Entscheidungen, Vertrautes zurück zu lassen, wohl immer schwer sind. Abram oder Abraham, wie er dann heißen wird, macht sich auf den Weg. Er gehorcht einer Stimme, der er vertraut. Damit geht es nun weiter mit Gott und seinem Menschen und dem Menschen und seinem Gott. Denn dieser Mann darf sich mit seiner Familie gesegnet auf den Weg machen:

 

„Ich will dich segnen“ und sinngemäß weiter: „Und du wirst für andere ein Segen sein...“ Da hören wir nichts von langen Überlegungen, sondern es wird nur ganz kurz und knapp berichtet: „Abram folgte dem Befehl des Ewigen und brach auf...“ Er vertraut dem Wort, das er hört und damit darauf, dass Gott mit ihm geht, wohin er auch geführt wird. Es gibt eine „Weggemeinschaft“ mit Gott auf die er sich verlassen kann.

 

Was für ein Gedanke, was für ein Quantensprung im Denken des Glaubens – damals – in grauer Vorzeit. Gott glaubte man schließlich an Orte fixiert oder man fand seine Götter irgendwo und irgendwie abgebildet in der Natur: Auf einem Berg, in einem Baum, einem Tier. Doch nun lernte der Mensch, dass Gott nicht auf menschliche Vorstellungen festzulegen war und seien sie noch so weit, so hoch, so tief, so stark, so schön oder erschreckend. Abram macht sich auf den Weg und er weiß sich auf Schritt und Tritt von seinem Gott begleitet.

 

Wer heute umzieht, weiß warum. Abram bekam ein Wort, nichts sonst. Er macht sich auf den Weg, weil es Gottes Plan war und erst so wird er zu dem ersten der Patriarchen: Abraham, Issak und Jakob, zum Stammvater Jesu, wie es im Matthäusevangelium überliefert wird. Wir haben zunächst einmal unsere Pläne und da gibt es viel, was uns in Bewegung setzt: Die Nähe zur Familie, der Beruf oder preiswertes Bauland. Der eine möchte lieber in Norddeutschland, ein anderer lieber in Baden leben. Wichtig ist für uns alle, dass wir ankommen dürfen und uns schließlich und endlich angenommen fühlen. Wobei es um sehr viel mehr als um eine Wegstrecke geht, die wir dazu hinter uns legen.

 

Über das Denken des Menschen schreibt der deutsche Dichter Novalis: „Die Philosophie ist eigentlich Heimweh, ein Trieb, über all zu Hause zu sein.“ [1] Und so ist es. Sagen wir denn nicht: „Der Ton macht die Musik!“ Daher können wir eben auch in der Musik, einer vertauten Melodie, einer Sprache, in der Kunst Zuhause sein. In dieser Hinsicht wurde einmal gesagt: „Es gibt Worte, die sind wie eine Herberge!“ [2] Wir sind letztendlich dort angekommen, heimisch geworden, wo wir uns wohl fühlen und in dem, was uns vertraut geworden ist. Und wer nur einmal in seinem Leben untröstlich traurig oder unendlich verliebt war, weiß, wie sehr das stimmt. So hört Abram seinen Gott und darum macht er sich auf den Weg. Natürlich, auch er muss zurücklassen, muss den Schmerz der Trennung, des Verlustes von Vertrautem aushalten lernen, aber er geht. Er geht mit dem Segen Gottes, er geht als ein Gesegneter.

 

Wo wir gesegnet werden, werden wir nicht unserer Lebenswirklichkeit entzogen, denn die Welt bleibt unser Zuhause. Das hebräische Wort für Segen hat zwei Bedeutungen: „Es kann sowohl segnen als auch loben und preisen bedeuten. Ist vom Wirken Gottes die Rede, so ist ... segnen gemeint, wird das Tun des Menschen mit diesem Wort beschrieben, so heißt es `lobpreisen´. Das bedeutet: Dem Segen der von Gott selbst ausgeht, entspricht der Lobpreis des Menschen. [3]

 

Immer dürfen wir wissen: Dort, wo wir als Gesegnete in unser Leben gehen, wird Gott mit uns gehen und wo immer wir um diesen Segen wissen, bleiben wir dazu ermutigt, anderen von diesem Segen weiter zu geben, also selbst zu einem Segen zu werden.

 

Wenn wir nun so viele neue Mitchristen in unserer Mitte begrüßen dürfen, bleibt ja zu fragen, was sie mitbringen, was sie aus ihren bisherigen Heimatgemeinden und als vielfach gesegnete Menschen an uns weiterzugeben haben, damit auch wir an ihrem Segen, an ihrem Glauben teilhaben können? An jeder Schwelle unseres Lebens wurde uns ja der Segen zugesprochen: Bei unserer Taufe, der Konfirmation, der kirchlichen Trauung, bei einer Beerdigung, nach jedem Gottesdienst auf dem Weg in den Alltag hinein.

 

Und umgekehrt: Wie werden wir als diese ja ebenfalls vielfach und oft gesegneten Menschen von unseren neuen Mitchristen erfahren? Wird hier und draußen vor der Kirchentür etwas von diesem Lob Gottes spürbar, einem Lob, das hier in der Mitte der Gemeinde beginnt und sich in unseren Lebensvollzügen fortsetzt? Wo immer Abraham auf seinen Lebenswegen war, seine Umwelt merkte sehr schnell, dass dieser Mann einen Gott hatte, dem er vertraute und dass sein Gott einen Menschen hatte, der als Gesegneter anderen zu einem Segen werden konnte.

 

Da es eine ganz enge Verbindung zwischen Segen und Leben gibt, ist es natürlich ein Irrglaube, dass es sozusagen eine männliche Segenshierarchie gibt: Segnen durfte lange Zeit nur ein Bischof und so wurden Gemeinden dann auch nur bei gelegentlichen Bischofsbesuchen gesegnet. Dann glaubte man, dass das Recht zum Segnen mit der Ordination, einer Priesterweihe auf einen Geistlichen übertragen wird. Doch das ist falsch. Jeder Mensch darf sich als ein Gesegneter fühlen, dem ein Segen zugesprochen wird und so, wie er nun gesegnet ist, darf er anderen selbst zu einem Segen werden – bis dahin, dass Menschen einander segnen, sich die Nähe und Begleitung Gottes zusprechen.

 

Ich erinnere mich daran, dass es in meiner ersten Gemeinde einen alten Kirchengemeinderat gab. Er kannte mich noch nicht, aber er mochte mich nicht, eigentlich mochte er überhaupt keine jüngeren Pfarrer. Als er mich schließlich nach seinem Krankenhausaufenthalt kennen lernte, war er recht reserviert. Er erzählte mir bei unserem ersten persönlichen Kontakt ein wenig aus der Geschichte der Kirchengemeinde. Aber schon bei meinen nächsten Besuchen konnte er sein Bett nicht mehr verlassen. Ich teilte ihm schließlich einmal das Abendmahl aus - und als ich mich danach ein wenig über ihn beugte, um ihn besser zu verstehen, legte er eine seiner Hände auf meine Hände, die das Gitter umfassten und sprach mir ganz leise den alten biblischen Segen zu. Wie ein Vater seinen Sohn, den er nicht hatte, segnet, so segnete er mich. Ich war tief bewegt, weil ich so etwas noch nie erlebt hatte und auch danach nie wieder. Zwei Tage später starb er in meinen Armen, es war die erste Sterbebegleitung meines Lebens – beide Ereignisse bleiben mir unvergessen.

 

Wenn wir nachher aus diesem Gottesdienst heraus gehen, dann wollen wir es ganz bewusst als gesegnete Menschen tun. Lassen Sie uns zunächst in unserer Gemeinde füreinander und dann auch miteinander für andere Menschen unserer kleinen Stadt zu einem Segen werden. Denn so geben wir alle unserem Gott die beste Antwort auf die Frage nach unserem Glauben. Amen.


 

 

Literatur:

 

1) Novalis, Schriften, Jena, 1925, Bd. 2, S. 179,

    zitiert nach J.H. Schneider, Das Dasein als In–der–Welt-Sein, Zum Weltbegriff

    in Sein und Zeit von M. Heidegger (unveröffentlicht)

2) Fliege, J., Möller, Chr., Poesie der Predigt, Göttingen, 2005, S. 67

3) Bundschuh-Schramm, Chr., Hrsg., Ostfildern, 1999, S. 13

 

Müller, B., Hrsg., Segensworte und Segensgesten, Heft 72,

Beratungsstelle für Gestaltung von Gottesdiensten, Frankfurt, 1994

Müller, W. E., Sehnsucht nach Leben, in: Evangelische Kommentare, 5/1999, S. 59

 

 

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