Sylvester 2008, Lukas 18,18-27, Jahreslosung 2009, Lukas 18,27

 

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Auch mit dieser Stunde am Abend eines vergehenden und eines nun in wenigen Stunden kommenden Jahres stehen wir an einer Schwelle: Das zurückliegende Jahr darf noch einmal in unseren Erinnerungen wach, das vor uns liegende, unbekannte neue Jahr, angedacht werden. Mit sehr gemischten Gefühlen werden wir in diesen Gottesdienst gekommen sein, denn was war, das wissen wir, doch was kommt ist uns noch unbekannt. So wollen wir uns die Ruhe schenken, uns dem Wort und Geist unseres Gottes zu stellen, Vergangenes noch einmal zu bedenken, alles Kommende aber unter Gottes Segen zu stellen.

 

Die Jahreslosung für das Jahr 2009, die uns durch diesen Gottesdienst und dann ja vielleicht auch in ein neues Jahr unseres Lebens begleitet, lautet:

 

Jesus Christus spricht: Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich! (Lukas 18, 27)

 

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott, wir danken dir, dass wir an diesem letzten Abend des vergangenen Jahres noch einmal innehalten konnten und Abstand gewinnen durften, zu all dem, was wir im vergangenen Jahr an Höhen oder Tiefen, an Gelingen oder Misslingen erlebt haben. Das neue Jahr liegt so offen vor uns, für viele unter uns voller Sorgen und Fragen, für andere voller Erwartungen und Vorfreude. So bitten wir dich: Begleite uns auf unserem Weg ganz gleich, was kommen mag und bewahre und behüte uns durch dein Wort und deinen guten Geist.

 

Wir danken dir gerade heute für alle Menschen unter uns, die uns mit ihrem Glauben ein Vorbild sind und die sich in unserer Gemeinde und Kirche mit ihrem Engagement einbringen. Vor dir bringen wir nun auch voller Dankbarkeit alle Menschen in Erinnerung, die uns den Weg zu dir vorangegangen sind – und beten für uns, unsere Gemeinde, für unsere katholischen Mitchristen, unsere kleine Stadt und um Frieden und Freiheit für alle Menschen dieser Welt. Amen.

 

 

 

Die Jahreslosung für das Jahr 2009:

 

Jesus Christus spricht:

Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich!

 

Lukas 18, 27

 

 

 

Ein einflussreicher Mann fragte Jesus: »Guter Lehrer, was muss ich tun, um das ewige Leben zu bekommen?« Jesus antwortete: »Warum nennst du mich gut? Nur einer ist gut, Gott! Und seine Gebote kennst du doch: Du sollst nicht die Ehe brechen, nicht morden, nicht stehlen, nichts Unwahres über deinen Mitmenschen sagen; ehre deinen Vater und deine Mutter!« »Diese Gebote habe ich von Jugend an alle befolgt«, erwiderte der Mann. Als Jesus das hörte, sagte er zu ihm: »Eines fehlt dir noch: Verkauf alles, was du hast, und verteil das Geld an die Armen, so wirst du bei Gott einen unverlierbaren Besitz haben. Und dann komm und folge mir!« Als der Mann das hörte, wurde er sehr traurig, denn er war überaus reich. Jesus sah ihn so dastehen und sagte: »Wie schwer haben es doch die Besitzenden, in die neue Welt Gottes zu kommen! Eher kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in Gottes neue Welt.« Als die Leute das hörten, fragten sie Jesus: »Wer kann dann überhaupt gerettet werden?« Er antwortete: »Was für die Menschen unmöglich ist, das ist für Gott möglich.«


 

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Es wird Abend an diesem letzten Tag des vergehenden Jahres und wieder sind wir hierher in unsere Kirche gekommen, um Gottesdienst zu feiern und so noch einmal zur Ruhe zu kommen, um all das zu bedenken, was war und ebenso das, was kommen wird. So stehen wir mit unserem ganzen Leben vor unserem Gott. Wir haben eben die Namen aller Gemeindeglieder gehört, die getauft, konfirmiert, getraut wurden, aber eben auch all jene, von denen Abschied zu nehmen war. Was spiegelt sich darin an Freude und Leid, an Höhen und Tiefen unseres Lebens? In jeder Geburt drücken sich Hoffnungen aus, das Leben geht weiter, bei jedem Tod werden wir an unsere eigene Endlichkeit erinnert und dazwischen liegt die Fülle und der Reichtum eines ganzen Lebens, aber auch die Erfahrungen von Grenzen und all dem Schattenhaften, das ein jedes Leben begleitet.

 

All das darf jetzt in uns selbst noch einmal wach werden, um danach zu fragen, wo ich denn nun in meinem Leben angekommen bin, was die Zukunft mit sich bringen wird, welche Aufgaben sich mir stellen werden, was zu bewahren oder aber auch zu ändern ist? Gerade wo Abschied und Anfang zusammentreffen und sich verbinden, wie an einem Sylvesterabend, dürfen wir diese Fragen zulassen, denn der Alltag wird uns ja schon bald wieder herausfordern. Und dazu gehört gerade in diesem Jahr angesichts der Wirtschaftslage die Sorge darum, wie es auf dem Arbeitsmarkt weiter geht, ob der Arbeitsplatz wirklich sicher ist oder ich endlich die Arbeit finde, die es mir erlaubt, aus eigener Kraft meinen Lebensunterhalt finanzieren zu können?

 

Die Weltwirtschaft schlingert in eine Rezession, das Wirtschaftswachstum wird abnehmen und die Politik ist im Zweifel über einen wirklich gangbaren Weg. Andererseits muss man ehrlicher Weise sagen, dass wir Krisen auch gern herbei reden und so übertrumpfen sich dann die Weisen aller Fachrichtungen mit ihren Untergangsstimmungen. Dagegen steht nun aber das Wort, das uns in und durch das neue Jahr begleiten wird, die Jahreslosung. Sie lautet: „Jesus Christus spricht: Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich!“

 

Im Dezember 1968, also vor gut vierzig Jahren, starb der große Theologe Karl Barth. Am Abend der Nacht in der er starb, telefonierte er noch mit seinem alten Freund und Weggefährten Eduard Thurneysen. Man sprach über die dunkle Weltlage, als Karl Barth seinem Freund sagte: „Aber nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie! Denn – es wird regiert!“ 1)

 

Dieser Gedanke hat mich seither auch ganz persönlich durch alle Nachrüstungsdebatten der 80-iger Jahre, die Untergangsprognosen in Umweltfragen, das unsägliche Attentat vom 11. September 2001, die Hysterie in Bezug auf den weltweiten Terrorismus bis heute begleitet. Es gibt keine Frage von Rang, die nicht unter diesen Vorbehalt gestellt wäre, dass es regiert wird, nämlich dass diese Welt in der Hand Gottes liegt, bei aller eindeutigen Weltverantwortung des Menschen für all diese Fragen. Hier gilt: Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich!“ Wo wir es schaffen, mit einem solchen Wort ein vergangenes Jahr in Gottes Hand zurück geben zu können und in ein neues Jahr hinein zu gehen, da verbietet sich jede Angst und Resignation und verwandelt sich in Trost und immer neue Hoffnungen.

Die neue Jahreslosung schließt einen Bericht ab, in dem es um einen wohlhabenden Mann geht, der nach dem „ewigen Leben“ fragt und Jesus verweist ihn auf das Halten der Gebote und fordert ihn auf, ihm nachzufolgen. Das aber ist diesem Mann in seinen Lebensumständen unmöglich, so dass Jesus ihm und seinen anderen Zuhörern sagt: „... Wie schwer haben es doch die Besitzenden, in die neue Welt Gottes zu kommen! Eher kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher in Gottes neue Welt...“ Man kann sich das Entsetzen über ein solch radikales Wort vorstellen, so dass nun auch die Frage verständlich wird, wer denn überhaupt „gerettet“, das heißt in Gottes Gegenwart kommen kann? Und nun folgt das Wort der Jahreslosung:Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich!“

 

Wieder wird hier deutlich, dass niemand sich den „Himmel“ verdienen kann, da gibt es keine Ablässe der Kirche oder sonstige Dienstleistungen, die wir einbringen könnten. Was uns unmöglich ist, kann Gott uns schenken. So geht es hier nun auch nicht um moralische Fragen, sondern um „Nachfolge“, um die Nachfolge Jesu in unserem Glauben. Das Evangelium wird uns und unserer Art zu leben zu einem guten Widerspruch: So geht es nicht, dass wir Menschen meinen, uns Gott verdienen zu können, aber Gott wird sich uns schenken, das ist es, was ihm möglich ist. An uns aber liegt es, dafür offen zu sein.

 

In meinem Gruß zum letzten Gemeindebrief im Advent berichtete ich, dass ich in einer Galerie in meiner norddeutschen Heimat ein kleines Kunstwerk sah, das mich faszinierte. Da war ein kleiner Kasten zu sehen, in dem eine Reihe gekürzter Zollstöcke in unterschiedlicher Länge und verschiedenen Farben nach oben ragten, darüber stand ein kleiner Mann in einem dunklen Anzug. Er stand da, wie von den Maßstäben getragen, doch frei darüber stehend. Ist das nicht ein sehr schönes und treffendes Bild für uns? Wir alle brauchen Maßstäbe, die je nach Lebenssituation und Umständen sehr unterschiedlich aussehen können, aber die uns dennoch durch unser Leben tragen. Niemand von uns lebt in einem luftleeren Raum.

 

Und Jesus verweist auf einen - die Welt und alles Leben - tragenden Maßstab, nämlich auf die Nachfolge. Damit ruft er uns heraus aus all dem, was uns bisher blind und taub machte, uns im Umgang mit Gott und den Mitmenschen lähmte. Er ruft uns heraus aus unseren Bindungen an die Götter und Götzen der Zeit, welche Namen tragen wie: Angst, Gier, Gleichgültigkeit, Egoismus, Materialismus. Sie können aber auch Namen tragen wie: Nationalismus oder Konfessionalismus. Wo immer wir etwas zwischen uns und Gott stehen lassen, gar über Gott stellen, wird es zum Abgott. In all dem wird uns jedes Wort des Evangeliums zu einem guten Widerspruch zu unserem bisherigen Leben.

 

Fragen wir uns einmal, wie unsere Welt heute aussehen würde, wenn es die Gier einiger Spekulanten an den weltweiten Börsen nicht gegeben hätte? Wo ständen wir wirtschaftlich, wenn Mercedes, Porsche, Audi, VW oder die anderen großen Autobauer rechtzeitig Sprit sparende PKWs hergestellt hätten, was ja längst und seit vielen Jahren möglich gewesen wäre? Oder: Ist es der Deutschen Bahn – bei ihren durchaus großen Gewinnen im Konzern - denn wirklich nicht möglich, Bahntrassen so zu planen, dass sie nicht nur umweltfreundlich, sondern eben auch menschenwürdig sind? Zuletzt: Wie sähe die Welt wohl aus, wenn man dem weltweiten Terrorismus mit Verstand und politisch begegnet wäre und in Nahost schon vor Jahren eine andere Politik gemacht hätte? Es gäbe viele Probleme, wie auch diesen Krieg dort, heute jedenfalls nicht!

Die Krisen, die wir erleben, sind eben keine Schicksalsschläge, sie sind von Menschen bewusst oder unbewusst gemacht und von ihnen nun auch zu verantworten. Wir verzerren das Gesicht der Welt, niemand sonst!

 

Weil wir diese großen Fragen aber auch auf unser eigenes Leben herunter brechen können, darum gilt es aufzupassen, woran wir unser Herz hängen und was wir für uns gelten lassen. Mit dem Ruf in die Nachfolge werden wir aus all den fraglichen Bindungen herausgerufen: Altes kann zurück bleiben, Neues darf beginnen. Dem jungen Mann sind die Gebote Gottes bekannt, vermutlich hat er sie sogar sehr ernst genommen, aber er will über sie hinaus. So entlarvt ihn seine Frage in einer selbst erdachten und selbst erwählten Frömmigkeit. Dieser biblische Mensch ist ein sehr moderner Mensch in der Suche nach einem anderen Gott. Er steht ja vor diesem Jesus und spricht ihn sogar als einen „guten Lehrer“ an, spürt aber nicht, dass er mit seiner Frage vor Gott selbst steht. Sein behütetes und wohlhabendes Leben macht ihm die Nachfolge Jesu unmöglich.

 

Ein Tourist übernachtet einmal in einem Kloster: „Als er sieht, dass es dort sehr karg ist, fragt er einen Mönch: „Wo habt ihr eure Möbel?“ Der fragt zurück: „Ja, wo haben Sie denn Ihre?“ „Meine?“, sagt der Tourist verblüfft, „Ich bin doch nur auf der Durchreise!“ „Eben“, sagt der Mönch, „das sind wir auch.““ 2) Hier wird ein Selbstverständnis von „Leben“ spürbar, das loslassen, Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden kann. Es wird aus einer Ethik heraus gelebt, die darum weiß, dass man genug im Leben hat. Noch einmal, es geht selbst Jesus nicht darum, dass Reichtum verurteilt würde, sondern ihm geht es demgemäß, wichtige von unwichtigeren Fragen zu unterscheiden. Dort aber wo wir mit unserem Leben vor Gott stehen, werden alle anderen Fragen nachrangig, denn sonst stehen wir gerade noch nicht oder auch schon wieder nicht mehr vor Gott.

 

Mit diesem Abend lassen wir ein Jahr unseres Lebens zurück und gehen in die Zeit hinein, die Gott uns schenken wird. Ergeht es uns an diesem Abend nicht, wie es Martin Walser in seinem Buch „Meßmers Reisen“ ausdrückt, wenn es dort heißt: „Mit geschlossenen Augen schau ich zum Fenster hinaus!“ 3) Wir würden ja gerade heute gern ein wenig mehr von unserer Zukunft erfahren, doch wir sehen kaum etwas von dem, was uns erwartet. Da ist es gut und hilfreich zu wissen, dass wir nicht alles allein schaffen und leisten müssen, sondern, dass wir auch ganz ruhig und gelassen Gott mehr zutrauen dürfen, als es uns Menschen möglich wäre. Immer wieder dürfen wir uns – angesichts unseres persönlichen Lebens, wie aber auch der Weltlage – daran erinnern lassen, dass es regiert wird. So dürfen wir voller Dankbarkeit leben, dennoch und trotz allem, was die Vergangenheit mit sich brachte und die Zukunft uns noch bringen wird, denn: „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich!“

 

Vertrauen wir darauf und lassen wir uns aus diesem alten in ein neues Jahr hinein begleiten mit dem guten Wort Dietrich Bonhoeffers:

 

Von guten Mächten wunderbar geborgen,

erwarten wir getrost, was kommen mag.

Gott ist bei uns am Abend und am Morgen

und ganz gewiss an jedem neuen Tag. 4)

 

Amen.


 

 

 

Literatur

 

1) Busch, E., Karl Barth´s Lebenslauf, München, 19762, S. 515

2) Käßmann, M., Göttinger Predigtmeditationen, 2008, 63. Jhrg., Heft 1,

    Göttingen, S. 80

3) Trowitzsch, M., Karl Barth heute, Göttingen, 2007, S. 126

4) Bonhoeffer, D., Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe: Baden, Nr. 65, Vers 7

 

Barth, K., Hrsg. Peter Eicher, Der reiche Jüngling, München, 1986, S. 13ff

Drewermann, E., Das Matthäusevangelium, Zweiter Teil, Düsseldorf, 1994, S. 493ff

Bonhoeffer, D., Nachfolge, München, 19648

 

 

Wir weisen darauf hin, dass Sie alle unsere Predigten im Internet nachlesen können. Sie finden sie unter:

 

http://www.evang-kirche-kenzingen.de oder:

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