Evangelische Kirchengemeinde Kenzingen

Ökumenischer Gottesdienst
zum 115-jährigen Jubiläum des Musikvereins Hecklingen e.V.,
4. Juli 1999

Vom Blasen der Trompeten
4. Mose 10, 1 - 10

Und der HERR redete mit Mose und sprach:

Mache dir zwei Trompeten von getriebenem Silber und gebrauche sie, um die Gemeinde zusammenzurufen und wenn das Heer aufbrechen soll. Wenn man mit beiden bläst, soll sich bei dir versammeln die ganze Gemeinde vor der Tür der Stiftshütte. Wenn man nur mit einer bläst, so sollen sich bei dir versammeln die Fürsten, die Häupter über die Tausende in Israel. Wenn ihr aber laut trompetet, so sollen die Lager aufbrechen, die nach Osten zu liegen. Und wenn ihr zum zweitenmal laut trompetet, so sollen die Lager aufbrechen, die nach Süden zu liegen. Denn wenn sie weiterziehen sollen, so sollt ihr laut trompeten. Wenn aber die Gemeinde zu versammeln ist, sollt ihr nur blasen und nicht laut trompeten. Es sollen aber blasen mit den Trompeten die Söhne Aarons, die Priester; und das soll eine ewige Ordnung sein für euch und eure Nachkommen. Wenn ihr in den Krieg zieht in eurem Lande gegen eure Feinde, die euch bedrängen, so sollt ihr laut trompeten mit den Trompeten, dass euer gedacht werde vor dem HERRN, eurem Gott, und ihr errettet werdet vor euren Feinden. Desgleichen, wenn ihr fröhlich seid an euren Festen und an euren Neumonden, sollt ihr mit den Trompeten blasen bei euren Brandopfern und Dankopfern, damit euer Gott an euch denke. Ich bin der HERR, euer Gott.


Liebe ökumenische Gemeinde,
liebe Mitglieder des Musikvereins Hecklingen!

Was wäre Hecklingen ohne seine Jubiläen und Feste, und gäbe es sie nicht, so würden sie wohl hier erfunden!

Hier begegnet man sich und feiert noch gern, hier wird noch miteinander kommuniziert, dazu gehört auch ein reiches Vereinsleben. Dies alles ist zugleich Ausdruck eines stolzen Selbstbewußtseins. Man weiß, wer dazugehört und ebenso selbstverständlich, wer nicht. Man steht zusammen, wenn es eine Situation erfordert. Traditionen werden gepflegt, was gerade heute ja wieder ein unschätzbarer Wert ist, so lange diese Traditionen auch bedacht, hinterfragt und auf ihre Substanz hin geprüft werden. Dann aber sind sie ein Geschenk, für das sich jedes Fest lohnt.

Die Bläserinnen und Bläser des Musikvereins feiern heute ein weiteres Jubiläum in ihrer denkwürdig langen Geschichte. 115 Jahre Musikverein, das ist ein Grund zur Freude und zur Dankbarkeit für uns alle, die wir uns hier und da in unserem Leben gerade auch durch diesen Verein musikalisch begleitet sehen. Vom Fasnetumzug über Weihnachtskonzerte, Wein-, Garten- und Gassenfeste, Kirchenkonzerte oder Fronleichnamsprozessionen reicht die Palette der Aktivitäten, vom Ernst des Lebens bis hin zur Lebensfreude. So begegnen sich Traditionen, Gottesdienst und Kultur, Fest und Feier.

Und eben das wird in unserem kleinen biblischen Text zum Ausdruck gebracht. Wir finden ihn im 4. Buch Mose. Auf seinen jahrzehnte langen Wanderungen in eine neue Heimat, die ja die alte ist, braucht Israel eine Fülle neuer Regeln und Ordnungen. Man ist unterwegs, man hat noch kein endgültiges zu Hause, noch keine neue Heimat gefunden. Täglich muß man sich bewähren, mit Unsicherheiten und unvorhergesehenen Konflikten fertig werden und leben. Da ist es wichtig, wenigstens das zu ordnen, was sich ordnen läßt.

Und in einer ganzen Reihe von Fragen, die nun geregelt werden, um das Zusammenleben zu organisieren, finden wir diese Anweisungen für die Blasmusik. Ich muß gestehen, dass ich überrascht war, als ich jetzt diesen Text erstmals mit Bewußtsein gelesen habe. Selbst für unser Anliegen heute findet sich ein Wort in der Bibel und dazu noch eines, was sich bedenken läßt, das nachdenklich macht, wohl auch über diese Stunde, diesen Tag hinaus.

Fast preußisch mutet es uns an, wie genau hier Instrumente, Musiker, Orte und Anlässe bestimmt werden. Kaum etwas bleibt dem Zufall überlassen. Mehrfach aber wird betont, dass dieses Musizieren auch den Zweck hat, dass Gott an Israel denkt. Musik wird hier also weniger im Sinne eines menschlichen Gotteslobes verstanden, als vielmehr, dass man sich mit ihr Gott in Erinnerung bringt: "Damit euer Gott an euch denke. Ich bin der Herr, euer Gott!"

Diesen Gedanken griff das 2. Vatikanische Konzil auf, in dem dort gesagt wurde: "Die Christen haben die Aufgabe, ihre eschatologische Hoffnung", die Hoffnung also auf die letzten und endgültigen Dinge dieser Welt, "den Strukturen des weltlichen Lebens einzuprägen". Damit ist die Kultur gemeint. Wir Christen leben mit tragfähigen Hoffnungen, die in dem, was wir kulturell tun, sichtbar, hörbar und spürbar werden. Weil wir mit Hoffnungen leben, gestalten wir unsere Lebenswelt und überlassen darum die Welt nicht sich selbst. Und weil wir an eine Zukunft für die Welt glauben, setzen wir uns kulturell für sie ein.

Die Kultur bis hinein in das, was hier im Ort geschieht, gestaltet über die Gegenwart hinaus immer auch die Zukunft und wird so zu einem Ausdruck einer weitreichenden Hoffnung. Dabei ist sie wie z.B. auch der Sport keine Ersatzreligion, kein Gottesdienst und darf es auch nicht werden. Aber mit ihnen dürfen, ja sollen auch wir Christen unseren Glauben leben, ein jeder mit den Mitteln und Möglichkeiten, die ihm gegeben sind.

Wer musiziert, muß etwas wagen, da kann es zu Mißtönen kommen: "Es ist schließlich noch kein Meister vom Himmel gefallen". Aber es wird etwas getan, gestaltet, da bleibt die Luft nicht leer, Töne erklingen, in welcher Weise auch immer. Das bedeutet, dass wir gerade beim Musizieren niemals einen fixierten Standort einnehmen können, dass sich jede Festlegung verbietet, denn jedes Notenbild läßt sich sehr verschieden in Töne und Klangbilder umsetzen: Ausdruckslos, engagiert, phantasievoll, virtuos oder ungeübt. Ein Musiker wagt etwas. Es ist, wie es der große katholische Theologe Karl Rahner einmal im Blick auf die Kultur sagt, "das radikale Wagnis der Hoffnung ..."

Traditionen binden nicht einfach, Kultur hält nicht blindlings fest, sondern sie bewegen zum bedachten Aufbruch, zur Veränderung. Da wird das Neue gewagt, auch wenn der Ton einmal für einen Augenblick schrill sein kann. So wird selbst die Musik zu einem Spiegelbild der Empfindungen einer Zeit. Bläser, Streicher, Pauker, Sängerinen und Sänger erarbeiten den sauberen Ton, den richtigen Klang - bis hin zur Vollendung. Darum leben Musiker, ja Künstler fast nie einseitig festgelegt, einfach nur konservativ, sondern sie greifen etwas auf: Ideen, Melodien Farben oder Formen und gestalten das Leben und schaffen damit etwas, was über die Gegenwart in die Zukunft hinein reicht.

So wird immer aus dem, was uns jetzt gelingt, was uns hier erfreut und anderen zu einer Freude wird, zugleich auch eine Hoffnung für die Welt, eine Hoffnung des Menschen auf den Gott, den wir als den Schöpfer des Himmels und der Erde glauben und bekennen. An seiner Seite und von ihm erfüllt, begabt und be-geistert, stehen all jene, die ihrem Leben durch das Musizieren, Schreiben, Malen oder Entwerfen einen Sinn geben - und der Welt einen hoffnungsvollen Horizont schenken, eine Perspektive, die weit über das eigene Leben hinaus reicht.

Und all diese Überlegungen gelten uns, jetzt hier bei diesem Jubiläumsfest des Musikvereins. Wir brauchen nicht nur nach Bayreuth, Berlin oder Wien zu schauen, Kultur wird auch in unserer Mitte geschaffen mit unseren eigenen Mitteln und Möglichkeiten und wer auf die Großen der Kulturbranche schaut und nur ihnen etwas zutraut, verkennt die grundlegende Aufgabe und den umfassenden Sinn aller Kultur.

Unser Text erinnert uns an etwas, was uns nun wirklich in der Neuzeit weitgehend verloren gegangen ist, nämlich die lebendige Verbindung zwischen dem, was ich kulturell tue und Gott. Dem Volk Israel wird gesagt, die Musikinstrumente sollen erklingen, "damit euer Gott an euch denke. Ich bin der HERR, euer Gott!" Dabei greift der Glaube an Gott natürlich entschiedener in das Leben der Menschen ein, als innerweltliche Traditionen und unterschiedlichste kulturelle Aspekte dies könnten. Dennoch sind und bleiben sie für uns alle bedeutsam und prägend.

Heute gelingt uns das, in dem wir sehr bewußt diesen Gottesdienst miteinander feiern. Aber wie sieht das ganz praktisch in unserem Lebensalltag aus, bei all den unterschiedlichen Anlässen, bis hin zu unseren Proben, wo wir musizieren? Nehmen wir noch ein Instrument zur Hand, um uns bei Gott in Erinnerung zu bringen oder aber umgekehrt, um Gott mit diesen Klängen zu loben? Dabei schafft es gerade und vor allem die Musik Gott in vielen Stimmen doch einstimmig zu loben. Selbst in Dissonanzen, die unharmonisch klingen, uns an die Konflikte in unserem Zusammenleben erinnern, bleibt der Friede erhalten und bewahrt. So kann die Musik sogar zu einem Beispiel für unseren Umgang miteinander werden: Auch wenn der Ton einmal nicht stimmt, hört aufeinander, bleibt zusammen bei Eurer Sache, im Zusammenklang Eurer Familien, der Nachbarschaften, der Vereine hier im Ort.

Ein Jubiläumsfest läßt uns dankbar zurückschauen. Da denken wir an Musiker, die nicht mehr leben, welche in ihrer Zeit musizierten und einer vorangegangenen Generation Freude machten, notwendige Glieder in einer langen Vereinsgeschichte. Aber wir schauen über unsere Gegenwart hinweg zugleich in die Zukunft. Wäre heute mit diesem Fest nicht ein guter Anlaß gegeben, unser Tun einmal mehr mit Gott in Verbindung zu bringen, gerade weil Sie, die Musiker hier im Ort bei so vielen verschiedenen Anlässen im Einsatz sind? Örtliche Traditionen könnten mit ihren kulturellen Mitteln und Möglichkeiten auf je ihre Weise zugleich auch Gott dienen.

Israel ist auf einem langen, gefährlichen Weg als es diese Worte zu hören bekommt, auf einem Weg, der einerseits ein Heimweg, andererseits aber ein Weg in die Zukunft, in eine neue Heimat ist. Nehmen Sie das nach 115 Jahren Musikverein Hecklingen nun mit auf Ihren, nehmen wir es mit auf unseren Weg, dass Gott uns hören möchte, um sich gerade auch durch die Musik, die wir machen, unserer zu erinnern. Musizieren wir zur Freude, auch zum Trost der Menschen, die wir auf ihrem Lebensweg in ihren Höhen und Tiefen mit ihr begleiten, aber auch zum Lob und zur Ehre unseres Gottes.

In dieser Weise kann, ja soll ein solches Fest auch nachdenklich machen und gedanklich weiterführen. Wir alle sind heute gemeint, nicht nur die Musiker des Musikvereins, wir alle, mit all unseren Mitteln uns zu Gehör zu bringen: "Damit euer Gott an euch denke. Ich bin der HERR, euer Gott!"

Gott sei Dank hat er uns hierfür die Musik geschenkt - und Ihnen allen hier im Ort Ihren Musikverein - neben den anderen Vereinen, die Gott auf diese oder jene Weise loben und verehren. Vergessen wir ihn nicht, unseren kulturellen Auftrag, um der Hoffnung willen für diese Welt, und lassen wir uns gerade mit ihr an den Gott erinnern und ihm danken, den wir als den Gott der Schöpfung ehren. In diesem Geist wünschen wir dem Musikverein eine glückliche Zukunft und uns allen ein schönes und fröhliches Fest.
Amen.


Letzte Änderung: 08.06.2001
Pfr. Hanns-Heinrich Schneider