Weihnachten, Johannes 1,1-14

 

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeine, jedes Kind weiß es: Heute ist Weihnachten. Was bedeutet das für uns, für die Welt? Was wird uns heute gesagt, was hören wir? Worte begleiten unser ganzes Leben: Schon früh stellen wir das Radio an, während wir uns waschen, rasieren, duschen, frühstücken. Wir hören Nachrichten, den Wetterbericht, die Verkehrsmeldungen. Bei der Arbeit hören wir Anweisungen, in den Pausen reden wir über die Politik und was Politiker nicht alles falsch machen. Da leben wir inmitten gesprochener, geschriebener, gedruckter, gehörter, überflüssiger, unüberlegter und nur so daher geredeter Worte. Und Gott sagt uns, der Kirche des Wortes:

           

Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort!

 

Hören wir es?

 

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Du sagst uns: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort! Er, das Wort wurde ein Mensch...“ Aber, guter Gott, kommt dieses Wort auch bei uns an? Können wir menschlicher leben, weil du selbst für uns ein Mensch geworden bist? Herr, so schenke, dass unserem Hören nun auch menschliche Antworten folgen und unser Glaube Augen und Ohren, einen Mund und Hände und Füße bekommt. Darum kommen wir zu dir und bitten dich auch heute wieder um deinen guten Geist. Amen.

 

 

 

Am Anfang war das Wort. Das Wort war bei Gott, und in allem war es Gott gleich. Von Anfang an war es bei Gott. Alles wurde durch das Wort geschaffen; und ohne das Wort ist nichts entstanden. In ihm war das Leben, und dieses Leben war das Licht für die Menschen. Das Licht strahlt in der Dunkelheit, aber die Dunkelheit hat sich ihm verschlossen. Es trat einer auf, den Gott gesandt hatte; er hieß Johannes. Er sollte Zeuge sein für das Licht und alle darauf hinweisen, damit sie es erkennen und annehmen. Er selbst war nicht das Licht; er sollte nur auf das Licht hinweisen. Das wahre Licht, das in die Welt gekommen ist und nun allen Menschen leuchtet, ist Er, der das Wort ist. Er, das Wort, war schon immer in der Welt, die Welt ist durch ihn geschaffen worden, und doch erkannte sie ihn nicht. Er kam in seine eigene Schöpfung, doch seine Geschöpfe, die Menschen, wiesen ihn ab. Aber allen, die ihn aufnahmen und ihm Glauben schenkten, verlieh er das Recht, Kinder Gottes zu werden. - Das werden sie nicht durch natürliche Geburt oder menschliches Wollen und Machen, sondern weil Gott ihnen ein neues Leben gibt. –

 

Er, das Wort, wurde ein Mensch, ein wirklicher Mensch von Fleisch und Blut. Er lebte unter uns, und wir sahen seine Macht und Hoheit, die göttliche Hoheit, die ihm der Vater gegeben hat, ihm, seinem einzigen Sohn. Gottes ganze Güte und Treue ist uns in ihm begegnet.

 


 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Die Adventszeit ist vorüber. Wieder ist es Weihnachten geworden und wieder sind wir gefragt, was bei uns in unserem Leben ankommt, ja ankommen kann? Was ist es, was wir begrüßen und was lässt uns in diesem Jahr vielleicht einmal anders Weihnachten feiern?

 

Wir feiern ein traditionelles Fest, so habe ich manchmal den Verdacht, dass es uns ein wenig ergeht, wie der Familie, die Heinrich Böll in seiner Geschichte „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ beschreibt. Da ist die Tante Milla, die liebevoll Jahr um Jahr ihren Weihnachtsbaum schmückt, an dessen Spitze ein „Frieden, Frieden“ flüsternder Engel befestigt ist. Als schließlich der Tannenbaum abgeräumt werden soll, dreht die Tante durch und alles muss so bleiben, wie am Fest: Die versammelte Familie, die weihnachtlichen Lieder, der Pfarrer und vor allem der Weihnachtsbaum an dessen Spitze der Engel „Frieden, Frieden“ flüstert. So geht es nun Tag für Tag, Woche für Woche bis hin zum Einsatz von Schauspielern, welche die Familie ersetzen, worüber es Frühjahr und Sommer wird. Alle spielen Weihnachten, damit Tante Milla glücklich ist. Die Geschichte endet damit, dass über diesem familiären Chaos die Familie auseinander bricht. 1)

 

In dem eindrucksvollen Text aus dem Johannesevangelium wird uns nichts von einer großen, eindrucksvollen Weihnachtsdekoration erzählt, da fehlen der Tannenbaum, Engel und Hirten, die Krippe im Stall, Herodes und die Weisen, die dem Kind huldigen wollen. Mit diesem Text könnten wir weder Kaufhäuser noch unsere Weihnachtszimmer ausschmücken. Doch ohne diese vielfältigen Hinweise auf das kommende Fest würde vielen von uns sicher etwas fehlen, andere ganz vergessen, dass es wieder Weihnachten wird.

 

Steil steht der Satz im Raum: „Am Anfang war das Wort...!“ Und damit sind wir schon auf ein sehr modernes Problem verwiesen, denn wer kann heute noch wirklich hören, zuhören in einer unermesslichen Flut von bebilderten Informationen? Wer kann einen so verdichteten Text noch verstehen, wenn man sich nicht ernsthaft darauf einlassen würde? Worte, die wir immer wieder hören, können sich abnutzen, verbrauchen, sie werden zur Routine, zum Alltag, wie Tante Millas Tannenbaum, der „Friede, Friede“ flüsternde Engel oder ein unhinterfragtes Weihnachtsfest. Worte brauchen ihre Zeit, bis sie bei uns, in unserem Leben, ankommen können und etwas bewirken.

 

So muss gerade Weihnachten mit seiner ganz besonderen Botschaft jedes Jahr ganz neu von uns angedacht und erfahren werden. Wo Gott redet, geht es um unsere Mündigkeit, da sollen wir die Welt aus seinem Geist heraus beleben, ja, wir dürfen teilhaben am tagtäglichen Schöpfungswerk Gottes. Mündigkeit, in dem Begriff, wir hören es alle, steckt der Begriff Mund. Un-mündig ist, wer noch nicht oder nicht mehr selbständig in der Welt leben kann, Kinder oder entmündigte Menschen. Für sie gibt es einen Vor-mund, einen Betreuer, jemanden, der für sie sprechen kann. Und wer entmündigt wird, dem wird das Recht entzogen, für sich selbst sprechen zu können. Wir kennen das, wenn einem der Mund verboten wird, jemand einen anderen mund-tot machen will oder aber auch umgekehrt, ihm oder ihr nach dem Munde redet. 2)

 

 

 

Sehen, Hören, Sprechen sind Fähigkeiten, mit denen sich der Mensch einem anderen Menschen vermitteln kann, und gemeinsam sind den Organen Augen, Ohren und Mund, dass sie offen oder geschlossen sind. Wir Baden-Württemberger machen ja Reklame mit dem Slogan: „Wir können alles. Außer Hochdeutsch!“ Das verweist auf Aktivität und hintergründig darauf, dass man stolz auf eine eigene Muttersprache ist, wodurch andere Sprachen als eine Fremdsprache erlernt werden müssen.

 

Gott redet! Er kommt durch sein Wort in unser Leben. Die Bibel ist voll von Bildern menschlicher Körperteile, die auch auf Gott übertragen sind: Gott redet, er schweigt, er lacht, er hat einen Mund, Augen und Ohren, Hände und Füße. So erst erfahren wir Menschen etwas von diesem menschenfreundlichen Gott, denn wie anders könnten wir von ihm reden, als in den Bildern, die uns Menschen gegeben sind. Aber – und das ist nun das Entscheidende an unserem Text: „Er, das Wort, wurde ein Mensch, ein wirklicher Mensch von Fleisch und Blut!“ Das ist die Verkündigung der Weihnachtsbotschaft, wie sie in den anderen Evangelien auf eine je andere Weise zu hören ist.

 

Gott beginnt mit dem Wort, so setzt er die Schöpfung ins Werk. Aber selbst die Schöpfung bleibt nicht Gottes letztes Wort, denn immer wieder verletzen wir durch unseren Eigensinn das, was Gott selbst „gut“ fand. Darum wollte Gott Mensch werden in diesem Jesus von Nazareth, um uns so menschlich zu begegnen. Aber es scheint so, als müssten wir heute die Sprache des Glaubens wie eine Fremdsprache ganz neu erlernen. Und darum brauchen wir das Wort, Gottes Wort, immer wieder neu, den Advent hindurch, damit wir zum Weihnachtsfest hingeführt werden; in der Passionszeit, um uns auf den Karfreitag und Ostern vorbereiten und einstimmen zu können; Pfingsten, um uns geistvoll auf den Weg des Glaubens und zur Einheit in diesem Glauben bringen zu lassen. Ohne das Wort Gottes und ohne dieses eine Wort Gottes, Jesus von Nazareth, würden wir zwar in der Welt leben, aber Gott bliebe uns fremd und damit fern.

 

Wir bleiben gefragt: Wie dieses Wort uns heute erreichen und bei uns ankommen kann? Wir werden ja immer an weihnachtlichen Dekorationen hängen bleiben, an den schönen Äußerlichkeiten des Festes, wenn dieses Wort nicht bei uns ankommt, ja, gar nicht ankommen kann, weil wir uns ihm verschließen. Weihnachten feiern wir aber eine „einzigartige Anfangsgeschichte“ und das ist nun doch etwas ganz anderes als „Weihnachten spielen“ zu müssen, wie die Familie von Tante Milla. Wie also hören wir Gott in all dem Trubel dieser Tage, unseren offenen Fragen, den Sorgen vor einer ungewissen Zukunft, wie hören wir ihn in einem vielleicht sogar verletzten, beschädigten Leben oder aber in den Erfahrungen von Freude und Glück?

 

So, wie wir unsere Geburtstage feiern und damit an unseren Lebensanfang erinnert sind, so feiern wir das Weihnachtsfest als diesen neuen Anfang Gottes mit der Welt, durch dieses unscheinbare Kind in Bethlehem. Der Anfang der Welt, die Schöpfung, und das Kommen Jesu zur Erlösung der Welt gehören untrennbar zusammen, weil wir Menschen das Paradies verloren haben, von dem wir aber immer wieder träumen. Sind denn nicht gerade die weihnachtlichen Geschenke ein kleiner Hinweis auf dieses verlorene Paradies, wenn der eine oder andere Wunsch in Erfüllung geht – und wir wenigstens in diesen Tagen so etwas wie Nähe und Glück erfahren?

 

Vor den Toren Hamburgs, direkt an der Elbe, liegt das Schulauer Fährhaus. Eine Fähre gibt es hier im schleswig-holsteinischen Wedel nicht mehr. Das Gebäude ist jetzt vielmehr ein beliebtes Ausflugscafé. An sonnigen Nachmittagen sind Terrasse und Innenraum voll besetzt. Das liegt weniger an Kaffee und Kuchen als an einer ganz besonderen Tradition:

 

Das Schulauer Fährhaus ist das so genannte “Willkommhöft” von Hamburg. Schiffe, die den Hafen ansteuern, werden hier mit dem Hissen der Heimatflagge und dem Abspielen der jeweiligen Nationalhymne willkommen geheißen. Man sieht die großen Frachter tief im Wasser liegen... Langsam manövrieren sie den Fluss hinunter und am Schulauer Fährhaus vorbei. Die Ladung ist schwer und kostbar und an irgendeinem Hafenbecken warten schon die Lastkraftwagen, um die Ware aufzunehmen... Da sitzen Gäste bei Kaffee und Kuchen, um die ankommenden Schiffe zu begrüßen und sich an den Ozeanriesen zu erfreuen... 3)

 

Der große Hamburger Hafen hat einen Ort der Begrüßung einfahrender Schiffe. Gibt es in unserem Leben einen solchen Ort, diesen Freiraum, wo wir Gott nun auch einmal bei uns selbst ankommen lassen könnten, um ihn in unserem Leben zu begrüßen? Das ist es doch, woran wir Weihnachten für Weihnachten erinnert werden. Wo das Wort, das Wort Gottes und damit Gott selbst bei uns ankommt, da beginnt sich die Welt zu verändern, weil wir uns verändern. „Aufeinander achten, füreinander sorgen, Vertrauen schenken, das sind wesentliche Voraussetzungen dafür, dass wir auch Krisen bestehen, dass wir in Frieden und Gerechtigkeit miteinander leben können – in Familie und Nachbarschaft wie in Europa und auf der ganzen Erde...“ 4), so sagte es jetzt Erzbischof Zollitsch in seinem Grußwort zu Weihnachten, das ist das „Wunder der Hoffung.“ Nicht wir selbst geben unserem Leben also seinen Sinn, Gott schenkt ihn unserem Leben. Ich wünsche uns allen das gute Wort Gottes und darum nun auch ein gesegnetes und fröhliches Weihnachtsfest. Amen.

 


 

Literatur:

 

1) Böll, H., Werke, Romane und Erzählungen 2, 1951-1965,

    Nicht nur zur Weihnachtszeit, 1951, Köln, S. 11

2) Früchtel, U., Mit der Bibel Symbole entdecken, Göttingen, 1991, S. 222f

3) Weinbruch, R., Fuchs, G., Das große Liturgie-Buch zur Advents- und Weihnachts-

    zeit, Regensburg, 2006, S. 74 - siehe auch:

    http://www.hamburg-reisefuehrer.com/willkommhoeft.html

4) Zollitsch, R., Das Wunder der Hoffnung, Badische Zeitung, 24.12.2008, S. 4

 

Drewermann, E., Das Johannesevangelium, Erster Teil, Düsseldorf, 2003, S. 30ff

Barth. K., Erklärung des Johannesevangeliums, Gesamtausgabe,

Hrsg. Walter Fürst, Zürich, 1976

Klein, K. R., Heiliges Christfest, in:

www.pfarrverband.de/pfarrerblatt/predigthilfen.html

Kunz, R., Göttinger Predigtmeditationen, 2008, 63. Jhrg., Heft 1,

Göttingen, S. 56ff

 

 

 

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