Letzter Sonntag nach Epiphanias, 2.Mose 3, 1-14

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Mit diesem Sonntag geht die Weihnachtszeit nun endgültig zu Ende, die vielen Feiertage und die Ferien sind vorbei. Da sind wir gefragt, was bleibt, was bleibt von dem Glauben, der dem vergangenen Weihnachtsfest seinen Sinn, seinen Glanz schenkte? Heute werden wir noch einmal auf eine ganz andere, sehr persönliche Weise, zu hören bekommen, dass unser Gott in die Welt herunterkommt, dorthin also, wo wir uns des Lebens freuen dürfen, Krankheit, Verlust und Schmerzen zu ertragen, den Alltag zu bewältigen haben.

 

            Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende, spricht Gott der Herr, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige (Offenb. 1,8).

 

 

 

Gebet:

 

Guter Gott! Wie oft lassen wir uns in unserem Leben blenden, wir könnten die Wahrheit erkennen, doch wir verweigern uns. Du kommst auch in unser Leben herunter, erscheinst im Glauben und Leben deiner Kirche, in so unendlich vielen menschlichen Situationen und Erfahrungen, in der Natur und Kreatur, doch wir sehen darüber hinweg. Lass dich auch von uns erkennen, dort, wo wir leben, lieben, arbeiten oder leiden. Darum kommen wir zu dir und bitten um deine Gegenwart in unserem Leben. Amen.

 


 

Mose hütete die Schafe und Ziegen seines Schwiegervaters Jitro, des Priesters von Midian. Als er die Herde tief in die Wüste hineintrieb, kam er eines Tages an den Gottesberg, den Horeb. Dort erschien ihm der Engel des Herrn in einer lodernden Flamme, die aus einem Dornbusch schlug. Mose sah nur den brennenden Dornbusch, aber es fiel ihm auf, dass der Busch von der Flamme nicht verzehrt wurde. »Das ist doch seltsam«, dachte er. »Warum verbrennt der Busch nicht? Das muss ich mir aus der Nähe ansehen!« Als der Herr sah, dass Mose näher kam, rief er ihn aus dem Busch heraus an: »Mose! Mose!« »Ja«, antwortete Mose, »ich höre!« »Komm nicht näher!« sagte der Herr. »Zieh deine Schuhe aus, denn du stehst auf heiligem Boden.« Dann sagte er: »Ich bin der Gott, den dein Vater verehrt hat, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.« Da verhüllte Mose sein Gesicht, denn er fürchtete sich, Gott anzusehen.

 

Weiter sagte der Herr: »Ich habe genau gesehen, wie mein Volk in Ägypten unterdrückt wird. Ich habe gehört, wie es um Hilfe schreit gegen seine Antreiber. Ich weiß, wie sehr es leiden muss, und bin herabgekommen, um es von seinen Unterdrückern zu befreien. Ich will es aus Ägypten führen und in ein fruchtbares und großes Land bringen, ein Land, das von Milch und Honig überfließt. Ich bringe es in das Land der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter. Ich habe den Hilfeschrei der Leute von Israel gehört, ich habe gesehen, wie grausam die Ägypter sie unterdrücken. Deshalb geh jetzt, ich schicke dich zum Pharao! Du sollst mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten herausführen.« Aber Mose wandte ein: »Ich? Wer bin ich denn! Wie kann ich zum Pharao gehen und das Volk Israel aus Ägypten herausführen?« Gott antwortete: »Ich werde dir beistehen. Und das ist das Zeichen, an dem du erkennst, dass ich dich beauftragt habe: Wenn du das Volk aus Ägypten herausgeführt hast, werdet ihr mir an diesem Berg Opfer darbringen und mich anbeten.«

 

Mose sagte zu Gott: »Wenn ich nun zu den Leuten von Israel komme und zu ihnen sage: `Der Gott eurer Vorfahren hat mich zu euch geschickt´, und sie mich dann fragen: `Wie ist sein Name?´ - was soll ich ihnen sagen?« Gott antwortete: »Ich bin da«, und er fügte hinzu: »Sag zum Volk Israel: `Der Ich-bin-da hat mich zu euch geschickt...´


Liebe Gemeinde!

 

Wenn wir Sprache ihrem Inhalt nach noch wirklich wahrnehmen, dann muss unser heutiger Predigttext von der Berufung des Mose uns in der Fülle seiner Aussagen geradezu sprachlos machen. Er stellt uns an einen weiteren Anfang einer erneuten menschlichen Gottesbegegnung und seiner radikalen Folgen. Eine Gotteserfahrung kann nicht ohne Konsequenzen bleiben und somit stehen wir am Anfang der biblischen Exodusgeschichten, der Geschichten, die uns von der Befreiung und dem Auszug der Vorfahren Israels aus Ägypten erzählen. Und diese Geschichte kann im Rückblick gar nicht anders erzählt werden, als die Geschichte Israels mit seinem Gott.

 

Immer wieder gab und gibt es in jedem Leben und oftmals sogar in Volksgemeinschaften „Aufbrüche“. Jeder von uns muss sich einmal auf den Weg machen, manchmal freiwillig, immer wieder aber auch, weil es Situationen verlangen, der Beruf, die Familie, die eigenen Träume, denen man folgt. So ist gerade der „Exodus“, der eine Aufbruch dieses Gottesvolkes – damals – längst zu einem Menschheitsmotiv geworden. Er wurde zu einem Bild für den immer wieder aufbrechenden Menschen durch die Weiten, die Fülle, den Reichtum, aber auch durch die Wüsten, das Dunkle, das Schicksalhafte seines Lebens. Kein Mensch kann bleiben wie und wo er einmal war, zum Leben gehören die Aufbrüche dazu, auch wenn sie schmerzen.

 

Hinter den biblischen Exodusgeschichten steckt nicht nur unreflektiert erzählte Geschichte Israels, sondern eine ganz tiefe Erfahrung menschlicher Freiheit. 371mal wird dieses Thema in der Bibel wieder aufgegriffen und ist damit wohl eines der häufigsten Themen der Bibel überhaupt [1]. Mit jedem Aufbruch sind Prozesse verbunden, die oftmals das ganze künftige Leben prägen. Nach der Schulzeit erlerne ich einen Beruf – warum gerade diesen und nicht einen anderen? Ich suche mir einen Studienplatz, einen Ort, an dem ich studieren kann – warum gerade dieses Fach und diesen Ort und nicht ein ganz anders an einem anderen Ort? Ich erlebe auf meinem Weg mehr oder weniger prägende Beziehungen, und vergesse dabei die Gesichter vieler Menschen, die mich ein Stück meines Lebens begleitet haben, mir wichtig waren. Warum waren es gerade diese Menschen und nicht andere - bis hin zu dem Menschen, mit dem ich dann einmal mein Leben endgültig und exklusiv teile?

 

Auch die Entscheidung mich selbst oder mein Kind taufen zu lassen ist ein Aufbruch! Es ist eine grundlegende Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen, womit ich nun nicht die selbstverständlich zu zahlende Kirchensteuer meine, sondern ein Leben, das sich aus dem Geist der Taufe heraus lebt, geistvoll, glaubwürdig und vorbildlich Gott, den eigenen Kindern und allen Menschen gegenüber, die mein Leben teilen. Unsere Taufen müssen so wieder zu einem ganz neuen Anfang mit Gott, Glaube und Kirche werden, zu einer tiefgreifenden Auseinandersetzung mit allen Konsequenzen, die ein Leben als Christ in unserer Zeit und Welt bedeutet. Sonst bleibt die Taufe eine Form ohne Inhalt, eine Tradition ohne Sinn, ein ausdrücklich erbetener Dienst von der Kirche - womit auch schon alles wieder am Ende wäre. Nur als Exodus, als ein Aufbruch in die Wüsten des Lebens in einer oft glaubensarmen Welt macht eine Taufe heute noch Sinn. Das bedeutet die Freiheit der Entscheidung zur Taufe und ein entsprechendes Leben - nicht mehr und nicht weniger.

Der Mensch Mose begegnet seinem Gott! Er begegnet dem „Engel des Herrn“, das ist „die sichtbare Seite dessen, was namenlos, gegenstandslos, bilderlos, ewig geheimnisvoll auf häbräisch „Jahwe“ (Gott) genannt wird...“ [2] Es ist sinnlos darüber zu spekulieren, was uns hier mit einem brennenden Busch erzählt wird. Viele kluge Köpfe haben über dieses Naturereignis nachgedacht und Erklärungen gesucht, wo es für mich keiner bedarf. Wie oft sagen wir selbst, dass wir uns verzehren, aus Liebe, aus Sehnsucht für einen anderen Menschen und doch bleiben wir rund und schön. Gott lässt sich von Mose in einer ganz und gar sichtbaren Erscheinung erfahren, „und kommt ihm damit so nahe, dass es schon jenseits unserer Vorstellungsmöglichkeiten ist. Feuer, das nicht verzehrt: das gibt es eigentlich nur in der Leidenschaft der Liebe.“ [3]

 

Wer von uns hätte das nicht schon irgendwann einmal in seinem Leben erlebt? Zumindest erahnen können wir damit, was sich hier zwischen dem heruntergekommenen Gott und dem Mann Mose ereignet. Gott liebt den Menschen so leidenschaftlich, dass er eben nicht in jenseitigen Himmeln zu glauben ist, sondern selbst sagt, dass er herunter kommt, um dem Menschen in seiner Not zur Seite zu stehen, ihn zu begleiten, ihn in die Freiheit zu führen. Das galt Israel, das gilt nun in der Folge jedem Menschen, in einer von fragwürdigen Göttern und Götzen der Macht, des Zwangs, der Abhängigkeiten besetzten Welt. Mose könnte seinem Gott, in welcher Art und Weise auch immer, also nie spürbar begegnen, wenn dieser nicht herab-, wirklich in die Welt heruntergekommen wäre.

 

Erst so kann die Befreiungsgeschichte Israels beginnen, erst so beginnt sie mitten in unserem Leben. Moses erhält von Gott seinen lebensbestimmenden Auftrag. Nie mehr wird er ihn vergessen und aus den Augen verlieren können. Als verlängerter Arm Gottes soll er Israel aus Ägypten in Freiheit führen, einer neuen Heimat entgegen. Dabei ahnt er schon jetzt, dass es ein schwerer Weg werden wird. Ein Weg voller Konflikte, Auflehnung, dem Suchen eigener Wege, wie die unserer Kinder in der Pubertät, wenn sie erwachsen werden. Und so beginnt ein Dialog.

 

„Ich? Wer bin ich denn!“, so fragt Mose, denn er kennt seine Grenzen, wobei ihm Gott nun nicht seine Vorzüge aufzählt und was für ein toller, begabter Mann er ist, sondern ihm nur ganz schlicht und einfach zusagt: „Ich werde dir beistehen!“, das reicht für den Moment. Fragen wir noch so im Angesicht Gottes und ist uns unsere eigene menschliche Berufung bewusst? Was beginnt denn für mich als Eltern oder Paten mit der Taufe meines Kindes, was mit meiner Konfirmation? Wie und mit welchen Konsequenzen durchleben, ja durchleiden wir bestimmte Lebenserfahrungen, die zu neuen Wegen zwingen, zu einem Exodus mit oder ohne Gott, in eine neue Freiheit oder eine weitere – oft nur gedankelose - Versklavung?

 

Mose hakt nach, viel zu überrascht ist er, um sich einfach so mit einer solchen Aufgabe beauftragen zu lassen. Er fragt nach dem Namen Gottes! Erinnern wir uns? Jeder Gottesdienst beginnt sehr bewusst mit den Worten: „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes!“ Jeder von uns hat (s)einen Namen, dadurch ist er unterscheidbar von anderen Menschen. Zu einem Namen passt ein Gesicht, zu einer sechsstelligen Nummer einer Versicherung, einer Bank wohl kaum. Eltern denken sich etwas dabei, wenn sie Kindern einen Namen geben, womit sie vielleicht sogar eine Bedeutung verbinden, wie bei Namen von Aposteln, Heiligen, den Kirchenvätern.

Gott stellt sich vor. Unglaublich, der Gott Israels lässt sich herab, Mose zu sagen wer er ist. Wie fast bei allen Namen so verbindet sich auch mit dem Gottesnamen ein bestimmter Inhalt. Und so klingt der Name Gottes zunächst zwar ein wenig befremdlich, aber von unendlicher Perspektive, denn die Worte: „Ich werde sein, der oder die ich sein werde“ ist weder männlich noch weiblich festzulegen, noch auf eine der zeitlichen Dimensionen in denen wir denken oder die wir unterscheiden. Und so hören wir den Gottesnamen etwa in der Weise, dass Gott der ist, der er in der Vergangenheit war, der er in der Gegenwart ist und der er in der Zukunft sein wird. Sein Dasein ist ein zeitloses, geschlechtsloses Sein für Israel, für seine Welt in allen denkbaren und undenkbaren Höhen und Tiefen.

 

Wer könnte heute über Gott reden, ohne nicht sogleich an die Katastrophe in Südasien zu denken, die unzähligen Menschen, die dort umgekommen und heimatlos geworden sind und an all jene, die weltweit um ihre Toten und Vermissten trauern? Im SPIEGEL der vergangenen Woche konnten wir lesen: „In solchen Katastrophen löst sich die Illusion der Allmacht, der sich die Menschheit vorzugsweise hingibt, in nichts auf. Die Erde im kalten All ist eben ein instabiler Planet, erschaffen von physikalischen und chemischen Kräften und nicht von einem Gott oder irgendeiner ordnenden Hand.“ Und ein wenig nachdenklicher: „Aber wer will das schon so genau wissen, was einem die Wissenschaftler jederzeit sagen könnten?“ [4]

 

Ich kann damit leben, wenn Menschen sagen, ich glaube nicht an Gott oder, wie Nietzsche: „Gott ist tot!“, doch so eben mir nichts dir nichts zu behaupten, dass es keinen Gott gibt, mit dem diese Welt etwas zu tun hätte, das ist die typisch menschliche Hybris, eine unendliche Überheblichkeit, denn woher wollen gerade die SPIEGEL-Redakteure so genau wissen, ob es Gott gibt oder nicht? Mit dieser Katastrophe stehen wir sicher nicht vor einem weiteren - so oft vorher gesagten - `Ende der Welt´, das hat allein Gott in seiner Hand - und der ist sicher nicht auf Naturkatastrophen angewiesen, um seine Ziele mit der Welt zu verfolgen. Aber wir sind zu einer weitaus größeren Bescheidenheit im Umgang mit den uns menschlich gesetzten Grenzen ermahnt. Wir sind eben nicht die Götter der Welt, die alles im Griff haben. Und insofern haben die SPIEGEL-Redakteure dann wieder recht.

 

Umgekehrt hören wir, dass der Gott an den wir glauben, gerade in die Welt herunter gekommen ist, um sein bedrängtes Volk aus seiner Not heraus zu begleiten. Dieser Gott begleitet jeden Menschen weltweit in den Höhen, wie in den Tiefen seines Lebens, und so dürfen wir umgekehrt Gott gerade dort glauben, wo wir eine Katastrophe von einem weltweiten Ausmaß erleben mussten. Wofür stände denn sonst das Kreuz Jesu, wenn nicht für Gottes Mitleiden an der bedrängten Welt? Was uns bleibt, ist daraus zu lernen, dass wir Gott eben nicht nur dann denken und an ihn glauben, wenn wir selbst oder andere Menschen wieder einmal in Not geraten sind, sondern ihn mitnehmen auf den Weg unseres Lebens, in das Leben unserer Welt.

 

Hier gilt es aufzubrechen und nun nach unserer eigenen Berufung und Bestimmung zu fragen, denn ein jeder von uns trägt sie als Mensch in sich. Uns wird vermutlich kein brennender Busch im Wege stehen, aber vielleicht eben doch der eine oder andere Mitmensch, die eine oder andere Situation in unserem Leben, die auch von uns den Exodus in die Freiheit verlangt, die Freiheit da zu sein und dafür einzustehen, meinem Leben einen Sinn und dieser Welt ein anderes Gesicht zu geben. Auf diesem Weg wird Gott mit uns sein, darauf dürfen wir vertrauen. Amen.

 

 

Literatur:

 

1) Kegler, J., Zeitzeichen, 12/2000, S. 24

2) Drewermann, E., Den eigenen Weg gehen, München, 1998, S. 33

3) Eberle, C., Deutsches Pfarrerblatt, Heft 12/2004, 2. Sonntag nach Epiphanias

4) DER SPIEGEL, Nr. 2/10.1.05, S. 20 f

 

 

Rudnick, U., Calwer Predigthilfen, 1998/1999, 1. Halbband, Stuttgart, 1998, S. 106 f

 

 

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