Heilig Abend II, 2006, Text: Lukas 2, 1-20

 

 

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die aller- erste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

          

Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen:

 

Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

 

Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

 

 

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Eine befreundete Familie aus Kenzingen hat nach dem 1. Advent, so wurde es mir erzählt, schon einmal „Weihnachten“ geübt, damit es beim Fest dann auch wirklich friedlich zugeht. Zunächst wollten wir das gar nicht glauben, aber dann fand ich das eine tolle Idee: „Weihnachten üben“. Es ist darum so eine tolle Idee, weil uns damit deutlich wird, dass wir mit Weihnachten noch nicht fertig sind. Ganz offensichtlich lohnt es sich schon sehr früh damit anzufangen, „Weihnachten einzuüben“ und nach Weihnachten, das wäre nun meine Idee, doch einfach damit weiterzumachen „Weihnachten zu üben. So kommt dieses Fest mit seiner Botschaft, dass ja auch Gott noch nicht fertig ist mit uns, in unseren Alltag hinein. Üben wir Weihnachten über diesen Abend hinaus, damit Gott in uns Mensch werden kann und wir durch Gott menschlich. Das wäre dann ein Fest mit einem Anfang, der nicht aufhören würde.

 

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell“ (Jesaja 9).

 

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Da sind wir nun an diesem „Heiligen Abend!“ Schenke es uns allen, dass wir uns heute nicht nur von unseren Gefühlen bewegen lassen, so schön und so wichtig sie sind, sondern, dass wir uns selbst bewegen. Schenke es uns, dass wir an diesem Abend nicht nur gerührt sind, weil alles einmal anders ist, als an den anderen Abenden des Jahres, sondern, dass wir uns selbst rühren. Herr, hilf uns, zu verstehen was Weihnachten in uns und für andere alles bewegen kann und schenke uns den guten Geist dieses Festes für heute, aber eben auch für morgen. Lass es Weihnachten werden – in uns und für andere. Amen.

 

 

 


Liebe Gemeinde am Heiligen Abend!

 

„Oh, du fröhliche!“ Unter dieser Überschrift wurde kürzlich in einer deutschen Kultur-Zeitschrift über einen neuen Film aus Hollywood berichtet: „Operation Christentum! Die Filmindustrie entdeckt das kommerzielle Potential des Glaubens...“ Und nun auch noch Weihnachten, denn: „Man könnte es den ersten Horrorfilm des Christentums nennen: Schüchterne Jungfrau erfährt im Traum, dass ein höheres Wesen mit ihr ein Kind zeugen will, und gebiert diesen Sohn Gottes schließlich in einem Stall irgendwo in der Fremde, weil sie und ihr Ehemann kein Hotelzimmer finden. Aber neben einigen Anbetern erfährt auch ein machtgieriger Herrscher von dieser Geburt, und die gebeutelte Kleinfamilie muss – von heimlichen Helfern gewarnt – in Panik über die Grenze fliehen, um dessen Killerhorden zu entrinnen. Toller Leinwandstoff oder? ... Die Weihnachtsgeschichte ist in Hollywood realisierbar!“ [1]

 

Am 7. Dezember war es dann so weit! Es wird berichtet, dass der Film „Es begab sich aber zu der Zeit“ als erster Hollywood-Film seine Welturaufführung im Vatikan erleben durfte. Die Hauptdarstellerin „Maria“ war allerdings nicht dazu eingeladen, da sie erst 16 Jahre, unverheiratet und schwanger ist. In diesem Fall wohl ein Problem!

 

Die Weihnachtsgeschichte ein Horrorfilm? Doch was wird dann aus Weihnachten? Ich weiß ja, dass viele Menschen einen schwierigen Zugang zu diesem Fest haben, die einen nervt der Rummel und Trubel der Vorweihnachtszeit, anderen sind die Kontakte mit der Familie in diesen Tagen zu eng, die nächsten haben Probleme mit den Emotionen dieses Festes. Viele spüren mehr oder weniger bewusst, dass etwas nicht mehr stimmt in der Art und Weise, wie wir das Fest angehen und feiern, während wir im Alltag aber all das ausklammern, was mit diesem Fest begründet wird. Da kann sogar ein so wunderschönes Fest wie das Weihnachtsfest wie zu einem Horrorfilm werden.

 

Alles, was ich jetzt kritisch nachfragte, ist für mich umgekehrt ganz und gar positiv zu sehen, wenn es mir nur den Blick auf den Grund dieses Festes nicht verstellt. Warum sollten wir denn nicht einmal im Jahr Rummel und Trubel erleben, besondere Kontakte mit der Familie haben, warum denn nicht einmal im Jahr unseren Emotionen freien Lauf lassen? Und selbst das diffuse Gefühl, dass etwas mit mir und diesem Fest nicht stimmt, kann doch dazu führen, dass ich mich wieder einmal damit auseinander setze. Nein, ich stehe zu all dem, und ich möchte Sie heute Abend hier in der Kirche dazu einladen, neben all dem was Sie beschwert, was Sie an Fragen haben, was Ihnen zweifelhaft erscheint, das Evangelium der Boten Gottes zu hören: „Fürchtet euch nicht! Denn seht, ich verkündige euch große Freude, die das ganze Volk betreffen wird: Heute ist euch der Gesalbte des Lebendigen, der Retter, geboren worden...“

 

Was heißt das heute Abend für mich, für Sie? Was heißt das durch alle Fragen hindurch, die wir an das Leben haben, durch all die kleinen und großen Sorgen, die misslungenen Anfänge oder durch die schmerzhaften Abschiede? Was heißt das für meinen vielleicht klein gewordenem Glauben und die größer werdenden Zweifel an den Werten, die unserem Leben einmal Halt gaben? Wir hören dieses: „Fürchtet euch nicht!“ und die begeisterte Botschaft der Boten Gottes von der Geburt Jesu, aber welche Kraft hat sie heute Abend und wird sie unser Leben auch morgen früh und die Tage und Wochen danach tragen?

 

Wir alle wissen, wie schwer das ist, mit Worten etwas in Gang zu setzen, was überzeugt, was bleibt und trägt. Und doch möchte ich es versuchen.

 

Vor kurzem las ich den prägnanten, griffigen Aufruf von Bischof Kamphaus von Limburg der sagte: „Macht es wie Gott und werdet Mensch!“ [2] Macht es wie Gott und werdet Mensch! Das ist ein Wort. Menschwerden ist ja nicht mit der Geburt erledigt, wie wir sehen, nicht einmal mit der Geburt des Gotteskindes. Menschwerden, das verweist uns auf einen Prozess, auf einen Weg. Uns allen sind die Etappen des Erwachsenwerdens ja bewusst, niemand kommt – abgesehen von seinen biologischen Voraussetzungen - fertig auf die Welt. Da wird begleitet, geführt, erzogen, gelernt, da verweigert man sich, man reift und bildet sich. Aber bei all dem, was wir theoretisch oder praktisch lernen, bleibt die Frage nach unserem Menschwerden noch ziemlich offen. Dazu gehört mehr.

 

„Macht es wie Gott und werdet Mensch!“ Ein Prozess ohne Ende, eine Herausforderung, die weit über das Weihnachtsfest hinausreicht und tief in unser Leben und damit in das Leben all der Menschen eingreift, mit denen wir es zu tun haben. Jedes Weihnachtsfest erinnert uns mit seiner Botschaft an diesen Anfang. Gott muss Mensch werden, damit er menschlich erfahren werden kann. Er muss Mensch werden, damit wir auf Augenhöhe mit ihm konfrontiert leben.

 

In einer alten jüdischen Geschichte wird folgendes berichtet: „Zwei große Rabbiner, Rabbi Josua und Rabbi Elieser, streiten um einen Punkt im Gesetz. Als das Argumentieren nicht mehr hilft, bemüht Rabbi Elieser sogar die Kräfte des Himmels. Am Ende beruft sich Rabbi Josua darauf, `dass das Gesetz nicht mehr im Himmel ist! Seit Gott uns die Tora am Sinai übergeben hat, gehört sie nicht mehr ihm; nun entscheidet die Mehrheit darüber, was gilt und was nicht!´ Jahre später trifft einer der Zeugen jener rabbinischen Auseinandersetzung den Propheten Elia. `Was hat Gott eigentlich in jener Stunde getan?´ fragt er ihn, wohl wissend, dass Elia (als Mitglied des himmlischen Hofstaates sozusagen) genaue Kenntnis hat von allem, was Gott erklärt und veranlasst. Und Elia antwortete: `Gott lächelte und sagte: Meine Kinder haben gewonnen, meine Kinder haben gewonnen!´“ [3]

 

Gott lässt uns die Freiheit, wir sind keine Marionetten. Ja, Gott ist so frei, dass er davon spricht, dass seine Kinder dort gewonnen haben, wo sie um die Wahrheit ringen, den Glauben hinterfragen - und wo das geschieht, lächelt Gott sogar über uns. Das ist der Weg der Menschwerdung. Wo der Glaube ganz neu ins Gespräch kommt, da reifen wir zu Menschen heran, die es nicht nur biologisch sind. Gerade das Weihnachtsfest erinnert uns an diese Möglichkeiten, weil Gott selbst Mensch wird – und das nicht einmal normal, sondern auf einem mehr als krummen Weg – unterwegs, wie heimatlos.

 

Erst in der Beziehung zu seinem Menschen, mit jedem neuen Menschen, wird erkennbar, dass auch „Gottes Sein ein Sein im Werden bleibt!“ [4] So, wie Gott Mensch wird, so sollen wir es nun auch werden dürfen. Hier wird eine Seite Gottes deutlich, die wir von der Botschaft des Weihnachtsfestes noch einmal ganz anders hören dürfen: Der ewige Gott bleibt mit uns ganz und gar menschlich unterwegs, so, wie es mit der Geburt Jesu geschildert wird. Menschlicher geht es nicht und darum gilt: „Macht es wie Gott und werdet Mensch!“

 

Und weil das wohl für uns alle nie von allein geht, darum lohnt es sich, Weihnachten rechtzeitig einzuüben und wo möglich, nach Weihnachten damit fortzufahren, Weihnachten zu üben. Wo uns das - vom Jubel dieses Festes veranlasst und begleitet - in kleinen Schritten immer besser gelingt, da wird Gott auch über uns lächeln und sagen: „Meine Kinder haben gewonnen, meine Kinder haben gewonnen!“ Was wäre das für ein Fest! Ein solches Fest wünsche ich Ihnen und uns allen. Amen.

 

 

 

Literatur:

 

1) Weingarten, S., Operation Christentum, Kultur SPIEGEL, Das Programm-Magazin,

    Heft 12, Dezember 2006, S. 30

2) Hunder, S., in: Zeitschrift für Gottesdienst & Predigt, 4/2006, S. 34

3) Petuchowski, J. M., Es lehrten unsere Meister, Rabbinische Geschichten,

    Freiburg, 1979, S. 94ff (gekürzt nacherzählt)

4) Jüngel, E., Gottes Sein ist im Werden, Tübingen, 19663, S. 103 ff

 

 

 

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