3. Advent, Lukas 3, 1-14

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Gottesdienste können Oasen in den Wüsten des Lebens sein. Orte, an denen wir zur Ruhe kommen dürfen, Zonen des Schweigens, zum Nachdenken. Hier dürfen wir uns zum Glauben ermutigen lassen, einem Glauben, der immer wieder in Frage steht, trotz aller Kerzen, die wir im Advent anzünden, trotz aller Weihnachtslieder, die wir in Kaufhäusern hören, trotz aller Geschenke, die Menschen einander machen. Lassen wir uns auch mit diesem Gottesdienst einladen, auf dem Weg zum Weihnachtsfest den Ruf Gottes in die Wüsten unseres Lebens zu hören.

 

Herr, lass uns deine Güte schauen, und gewähre uns dein Heil (aus Psalm 85).

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Wie arm leben wir reichen Menschen doch oft. Die Zeit drängt, wir hetzten von Ort zu Ort. Im Lichtermeer dieser vorweihnachtlichen Tage erblinden unsere Augen, die Ohren werden taub, trotz vieler schein-frommer Weisen, wir suchen, doch was? Herr, lass dich hören, gerade jetzt und gerade dort, wo wir uns verrannt haben und letztendlich so unendlich viel Einsamkeit und Leere in uns ist, mitten in allem Getriebe. Darum kommen wir zu dir und bitten dich um deinen guten Geist für diese vorweihnachtliche Zeit, ja, für unser ganzes Leben. Amen.

 

 


Johannes der Täufer tritt auf

 

Es war im fünfzehnten Regierungsjahr des Kaisers Tiberius. Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa, Herodes Antipas regierte in Galiläa... Die Obersten Priester waren Hannas und Kajaphas. Johannes, der Sohn von Zacharias, hielt sich noch in der Wüste auf. Dort erging an ihn der Ruf Gottes. Da machte er sich auf, durchzog die ganze Gegend am Jordan und verkündete: »Kehrt um und lasst euch taufen, denn Gott will euch eure Schuld vergeben!« Schon im Buch des Propheten Jesaja steht: »In der Wüste ruft einer: `Macht den Weg bereit, auf dem der Herr kommt! Ebnet ihm die Straßen! Füllt alle Täler auf, tragt Berge und Hügel ab, beseitigt die Windungen, und räumt die Hindernisse aus dem Weg! Dann wird alle Welt sehen, wie Gott die Rettung bringt.´«

 

Die Menschen kamen in Scharen zu Johannes, um sich von ihm taufen zu lassen. Er hielt ihnen vor: »Ihr Schlangenbrut, wer hat euch gesagt, dass ihr dem bevorstehenden Gericht Gottes entgeht? Zeigt durch eure Taten, dass ihr es mit der Umkehr ernst meint! Ihr bildet euch ein, dass euch nichts geschehen kann, weil Abraham euer Stammvater ist. Aber das sage ich euch: Gott kann Abraham aus diesen Steinen hier neue Nachkommen schaffen! Die Axt ist auch schon angelegt, um die Bäume an der Wurzel abzuschlagen. Jeder Baum, der keine guten Früchte bringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen.«

 

Die Menschen fragten Johannes: »Was sollen wir denn tun?« Seine Antwort war: »Wer zwei Hemden hat, soll dem eins geben, der keines hat. Und wer etwas zu essen hat, soll es mit jemand teilen, der hungert.« Auch Zolleinnehmer kamen und wollten sich taufen lassen; sie fragten ihn: »Lehrer, was sollen wir tun?« Seine Antwort war: »Verlangt nicht mehr, als festgesetzt ist!« Auch Soldaten fragten ihn: »Was sollen denn wir tun?« Die Antwort war: »Beraubt und erpresst niemand, sondern gebt euch mit eurem Sold zufrieden!«

 


Liebe Gemeinde!

 

Stellen Sie sich einmal vor, ich würde Sie so anreden, anklagen, ja geradezu beschimpfen wie es Johannes mit seiner Gemeinde tut. Sie würden vermutlich bald aufhören, den Gottesdienst zu besuchen und andere gar nicht erst kommen. Johannes ist ein Mann klarer Worte, da gibt es keine diplomatischen Floskeln, kein vornehmes Herumwinden und Biegen, um bei seinen Zuhörern anzukommen, kein freundlich-werbendes Wort, das den Menschen Wärme schenken würde, keine Tünche, um die dunklen Flecken zu vertuschen. Johannes ist ein Bußprediger, und als ein solcher uns vermutlich ziemlich fremd.

 

Natürlich freut es uns, wenn wir klare, deutliche Worte hören, gerade von prominenter Seite. Wir lieben es geradezu, wenn Bundespräsidenten dem Volk einen Spiegel vorhalten, aber wir lieben es vor allem dann, wenn es uns gelingt, uns möglichst nicht angesprochen zu fühlen, sondern ein anderer: der politische Gegner, gesellschaftliche Gruppen und Organisationen, mein Nachbar. Die Wahrheit ist ja immer nur schwer erträglich, weil sie oft unbequem ist und Verhaltensänderungen von uns fordert, wo wir uns in unserer Welt scheinbar ganz ordentlich eingerichtet haben.

 

Johannes folgt man bis in die Wüste nach. Und wer einmal von uns eine Wüste kennen gelernt hat, der weiß, was diese Menschen auf sich nehmen. Der katholische Theologe Eugen Drewermann spricht von ihr als einer „Zone des Schweigens“. Er sagt: „Tatsächlich ist sie das Terrain der Wahrheit. Unerbittlich, ist sie ein Lebensraum fast der Lebensfeindlichkeit. In ihr überlebt nur, wer ihr seelisch gewachsen ist: in ihrer grenzenlosen Einsamkeit, in dem krassen Wechselspiel ihrer Gegensätze, der kälteklirrenden Nächte und der hitzeflirrenden Tage, der extremen Kontraste, der starrenden Zonen des Todes, des Treibsands, der Vergänglichkeit und dann der wenigen Oasenstellen explodierenden Lebens. An jeder Stelle zwingt die Wüste zur Entscheidung. Nichts Überflüssiges duldet sie, keinerlei Luxus erlaubt sie, alles Nebensächliche macht sie zum Ballast und mergelt sie aus unter dem ständigen Druck des reibenden Windes... Nur noch die wesentlichen Fragen sind in diesen Zonen des Schweigens erlaubt, und eine einzige Erfahrung begleitet die Menschen der Wüste die Tage und Nächte über: dass die Menschen winzig sind und vergänglich, die Welt grenzenlos und weit, aber darüber himmelhoch die ewige Kuppel der Majestät Gottes...“ [1] Da also trifft man sich, der Bußprediger und das Volk.

 

Wir spüren es sofort, und ich habe ja schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die Wüste längst zu einem psychologischen Bild menschlicher Wirklichkeit geworden ist, denn nur allzu oft empfinden Menschen sich wie in einer Wüste, ja in die Wüste geschickt. Und auch die angesprochenen Berge sind solche Orte, die sich auf unser Leben gut übertragen lassen, denn es wird wohl niemanden unter uns geben, der sie noch nie in den Herausforderungen oder an den Grenzen seines Lebens nicht auch so empfunden hätte. Wir erleben doch  mitten in unserem Leben die Trauer, die Einsamkeit, Krankheiten, scheinbar unerträgliche Herausforderungen. Gerade in den Wüsten des Lebens lassen wir uns ansprechen, begleiten, herausfordern, nach einem gangbaren Weg suchend, sogar führen. Orientierung ist nötig, um lebensfähige Orte zu finden, das Ziel muss erreicht werden, um leben, um überleben zu können.

 

Gerade hier - an diesem wüsten und leeren Ort - hören Menschen in einer ganz konkreten historischen Zeit und Situation auf diesen merkwürdigen Mann Johannes.

Er fordert mit seiner ungewöhnlichen Botschaft eine Taufe zur Vergebung der Sünden. Denn er weiß, wie sehr Israel sich mit seinem Glauben in den Realitäten eingerichtet hat, wie vergessen der Glaube der Väter und Mütter scheint, wie sehr man sich mit den römischen Besatzern arrangiert und ihnen unnötige Macht eben auch über weite Bereiche des persönlichen Lebens eingeräumt hat, so dass selbst das Innerste der Menschen besetzt scheint. Das ist der Grund für seinen Ruf zur Umkehr, der Neu-Besinnung auf den Gott Israels, der allen heidnischen Göttern und Götzen entgegensteht. Und er tauft sie als ein sichtbares und durchaus spürbares Zeichen dieser Umkehr.

 

Die Menschen fragen ihn, „was sollen wir denn tun?“ Und seine Antwort lautet: „zeigt durch eure Taten, dass ihr es mit der Umkehr ernst meint...“, was darin deutlich wird, dass die Menschen wieder lernen, solidarisch zu leben. Diese Umkehr und Neubesinnung muss auf die Frage antworten: wie man seinen Glauben in einer ganz bestimmten Zeit und Gesellschaft leben kann? Und wer dem Wort und Geist Gottes folgen will, wirklich und ernsthaft, der muss sein Leben bedenken, es in jede Richtung und in vielerlei Hinsicht nach-denken, um der geistig-geistlichen Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit eine Absage erteilen zu können. So wird Umkehr konkret, jedem sichtbar und spürbar. Ein solcher Glaube sensibilisiert, macht aufmerksam, nachdenklich, empfindsam, aber eben auch verwundbar, weil es keine Sicherheit mehr gibt und wir mit unserem Verstand und Gefühl unterwegs bleiben, auf der Suche nach den Spuren Jesu in der Welt. Auf sein Leben, Reden und Tun schauen wir zurück, auf ihn weist Johannes als den Kommenden hin.

 

Wie hochmodern das doch alles klingt, denn wer von uns könnte sich da nicht angesprochen fühlen? Wir sind zwar nicht von Rom besetzt, dafür beherrschen uns andere Mächte und Gewalten. Wie die Menschen jener Zeit, versuchen auch wir uns mit unseren Ausreden herauszuwinden. War es damals der Vater Abraham, auf den man sich als geistiger Nachkomme berufen konnte, so ist es heute oftmals die Kirchensteuer, die mir die Zuversicht gibt, dass es schon, wenn es so weit ist, irgendwie mit Gott klappen wird. Der Autor und Redakteur bekannter Zeitschriften Peter Seewald schreibt:

 

Niemals zuvor, jedenfalls außer in den Jahren des Faschismus, gab es in diesem Staat eine Gesellschaft, in der das Heidentum die Kultur stärker dominierte als heute. Inzwischen haben wir einen Zustand erreicht, den man wohl als spirituelle Unterernährung, wenn nicht gar als religiösen Notstand bezeichnen muss...  Es ist nicht so, dass die Leute nichts mehr glaubten. Ganz im Gegenteil. Wie in einen Zaubertrank stürzen wir uns die Jahre über nacheinander in die Psycho-, die Drogen-, die Eso-, die Bio-, die Fitness-, die New-Economy-, die Wellness-, die Diät-, und in die Geheimnisse-des-Glücks-Welle. Nicht zu vergessen die Pornowelle...“ Und er fragt: „So viel ich weiß, gibt es in diesem Land noch immer 50 Millionen Menschen, die Mitglied der beiden großen Volkskirchen sind. Nicht gerade eine Minderheit. Wo aber ist das Volk Gottes?“ [2]

 

Nein, ich denke, dass das Wort des Johannes auch ganz gut in den modernen Wüsten unserer Zeit gesagt und gehört werden muss und kann. Es ist der vorweihnachtliche Ruf zu einer Besinnung auf das Wesentliche, auf das, was notwendig ist, um dem Leben eine Orientierung und einen Sinn zu geben, dem Glauben endlich die notwendige Glaubwürdigkeit.

Wenn die großen Volksparteien dazu aufrufen, sich gerade der traditionellen Werte neu zu besinnen, so steht das immer unter einem gewissen Ideologieverdacht, der im politischen Alltag nur wenig kostet. Wenn ich die Familien wirklich stärken will, dann ist es ein Widerspruch, die Kindergartenbeiträge zu erhöhen. Wenn ich das soziale Gefüge nicht ernsthaft in Frage stellen will, dann darf ich nicht auf einem Auge blind sein und die Schwächsten unter uns finanziell fast allein belasten. Wenn ich den christlichen Glauben ernst nehme, der die Wurzeln unserer Zivilisation ist, dann muss ich lernen, mich mit Fremden anders zu arrangieren, als mit großen Worten, die mehr ausgrenzen und schaden, als sinnvoll zu integrieren. Jesus selbst war mit seinem Leben ein Fremder in seiner Welt, und Maria und Joseph schon auf der Flucht, bevor das Kind überhaupt gehen konnte. Israel und das Judentum waren immer unterwegs, aus einer Heimat vertrieben, um eine neue zu suchen.

 

Ja gerade so wurde dieses Unterwegssein, dieses Bild der Heimatlosigkeit in der Welt zu einem Bild des Glaubens schlechthin. Darum muss die Auseinandersetzung mit den Fremden unter uns, auch dem Islam, ganz anders geführt werden: geistvoll, kritisch, konstruktiv. Man muss spüren können auf was für geistlichen Fundamenten wir stehen, aber dazu muss man sie überhaupt noch haben, um von daher die Auseinandersetzung annehmen zu können. Nein, auch uns gilt der Ruf zur Umkehr, zur Besinnung und das gerade in der vorweihnachtlichen Zeit. Denn auch wir dürfen uns von Peter Seewald noch einmal kritisch fragen lassen: „o.k., vertreiben wir an Weihnachten Engel und Krippen, so, wie wir die Kreuze aus den Schulen werfen. Was dann?“ [3] Wir könnten weiter fragen, was wird aus unserem Glauben, wenn wir ihn immer nur auf bestimmte Anlässe im Leben reduzieren?

 

Was wir von Johannes hören können, ist die Warnung, sich nicht vorschnell auf einen gnädigen Gott mit einer billigen Gnade zu verlassen, weil der sich Kinder schaffen kann, auch aus den Kieselsteinen aus der Elz. So wird gerade durch ein ernstes Mahnwort mitten im Advent dennoch das Evangelium hörbar. Lassen auch wir uns einladen, es zu hören und zu leben, denn das wäre wirklich eine ebenso notwendige wie schöne Einstimmung auf ein ernstgenommenes Weihnachtsfest mit seiner Botschaft. Amen.


 

 

 

Literatur:

 

1) Drewermann, E., Der offene Himmel, Düsseldorf, 1990, S. 47

2) Seewald, P., Hektisch auf der Suche – aber nach was? Chrismon, 12/2004, S. 50 f

3) Seewald, P., a.a.O.

 

Litschl, U., Calwer Predigten, 1998/1999, Reihe III/1, Stuttgart, 1998, S. 24 ff

Basler, D., 3. Sonntag im  Advent, in: Deutsches Pfarrerblatt, 11/2004, S. 585

Sölle, D., Nachfolge, in: Atheistisch an Gott glauben, Olten, 1968, S. 37 ff

 

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