7. Sonntag nach Trinitatis, Lukas 9,10-17

 

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Wie oft im Leben wundern wir uns, wir wundern uns über Menschen, Situationen oder über Dinge, wir sind verwundert, wenn wir etwas ganz Besonderes, Außergewöhnliches erleben. Heute wollen wir über ein Wunder Jesu nachdenken und uns fragen, was es mit uns, unserem Leben, ja mit unserer Kirche zu tun hat?

           

            Danket dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währet ewiglich! (Psalm 107, 1)

 

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Wie blind und taub leben wir an den Wundern unserer Welt vorbei. Wie arm bleiben wir, wenn für uns nur das Sichtbare, Hörbare, Fass- und Fühlbare, ja das Messbare zählt. Stille den menschlichen Hunger, wenn es um die vielfachen Nöte unseres Daseins geht, jenseits von Essen und Trinken. Lass uns erkennen, wie sehr wir als Kirchen in der Welt gefragt und gefordert sind, wo wir oft blind und taub bleiben, Ausreden suchen und uns verweigern. So stärke unseren Glauben, unsere Gemeinschaft und die Freude an deinem Wort. Amen.

 

 

Die Apostel kamen zurück und berichteten Jesus, was sie getan hatten. Darauf zog er sich mit ihnen in Richtung Betsaida zurück. Sobald die Leute das merkten, folgten sie ihm. Jesus wies sie nicht ab, sondern sprach zu ihnen über das Kommen der Herrschaft Gottes und heilte alle, die Hilfe brauchten. Darüber wurde es Abend, und die Zwölf kamen und sagten zu ihm: »Schick doch die Leute weg! Sie sollen in die Dörfer und Höfe ringsum gehen, damit sie dort übernachten können und etwas zu essen bekommen. Hier sind wir ja in einer ganz einsamen Gegend.« Aber Jesus sagte zu ihnen: »Gebt doch ihr ihnen zu essen!« Sie antworteten: »Wir haben nur fünf Brote und zwei Fische; wir müssten erst losgehen und für dieses ganze Volk zu essen kaufen!« Es waren nämlich an die fünftausend Männer versammelt. Jesus sagte zu seinen Jüngern: »Sorgt dafür, dass die Leute sich hinsetzen, in Tischgemeinschaften von je etwa fünfzig.« Die Jünger taten es, und alle setzten sich. Dann nahm Jesus die fünf Brote und die zwei Fische, sah zum Himmel auf und sprach das Segensgebet darüber. Er brach die Brote in Stücke, zerteilte auch die Fische und gab alles den Jüngern, damit sie es an die Menge austeilten. Und die Leute aßen und wurden alle satt. Was sie an Brotstücken übrig ließen, wurde eingesammelt: Es waren zwölf volle Körbe.

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Sicher geht es Ihnen auch so: Wunder sind etwas Wunderbares, wenn man sie selbst erlebt, hört man sonst von ihnen, fehlt einem irgendwie der Glaube daran. Es sind ja immer die anderen, die im Lotto gewinnen, eine tolle, unerwartete Erbschaft bekommen, von einer schier unheilbaren Krankheit dennoch geheilt werden und weiter leben dürfen. Bei biblischen Wundergeschichten ist es ähnlich, entweder man glaubt sie oder man bezweifelt sie. Im besten Falle hinterfragt man, was Jesus hier getan hat oder getan haben soll, denn dass 5000 Menschen von fünf Broten und zwei Fischen satt werden ist ja nun wirklich kaum zu glauben.

 

Was dabei oft nicht richtig verstanden wird, ist, dass wir nicht an Wunder glauben, sondern an Gott und dass uns alle Wundererzählungen der Bibel auf etwas ganz Bestimmtes hinweisen wollen, weil es ihnen immer um viel mehr, als um eine wunderbare, ja unglaubliche Geschichte geht. Dabei steht außer Frage, dass es zu jeder Zeit Wunder gab und Wunder geben wird und dass auch Jesus selbst sie vollbrachte: Das Wunder der Liebe, das Wunder des Lebens, das Wunder der Menschlichkeit, das Wunder, dass der Hunger und die Sehnsucht gestillt werden, das Wunder, Leben zu entdecken, wo andere nur noch den Tod und das Dunkel in der Welt sehen.

 

Als ich vor vielen Jahren den sehr bekannten jüdischen Theologen und Religionsphilosophen Pinchas Lapide einmal fragte, wie er denn die Wunder des Neuen Testamentes sehe, rückte er sich mit einer energischen Handbewegung seine Kippa (Kopfbedeckung frommer Juden) zurecht und sagte nur: „Wunder geschehen bei uns um die Ecke herum!“ Damals lernte ich sie noch einmal ganz anders zu verstehen.

 

Die Jünger Jesu berichten stolz darüber, was sie alles erlebt und geschafft haben. Er zieht sich mit ihnen zurück, möchte mit ihnen allein sein, sich ihnen und ihren frisch gemachten Erfahrungen zuwenden, doch die Menschen folgen ihm, so dass er sich nun um sie kümmert. Er verkündigt ihnen einen Glauben, wie sie es zuvor noch nie gehört hatten, er handelt an ihnen, wie sie es bisher nie erlebten. Die Zuwendung zu seinen Jüngern wird um der Vielen willen aufgehoben. So ist es kein Wunder, dass die Menschen ihm folgen bis es Abend wird. Die Jünger fordern Jesus auf, sie wegzuschicken, damit sie noch rechtzeitig eine Herberge und etwas zu essen finden. Doch: Wollen die Jünger die Menschen wegschicken, wendet sich Jesus gerade ihnen zu. Natürlich spricht eine berechtigte Fürsorge aus ihnen.

 

Was soll man mit so vielen Menschen tun, wenn es keine Übernachtungsmöglichkeiten gibt und niemand dafür sorgen konnte, dass genug zu essen und zu trinken da ist, ganz einfach, weil sich die Situation ja erst nach und nach entwickelte. In allen vier Evangelien wird über dieses Wunder berichtet, immer ein wenig anders, eben so, wie man es überliefert bekam oder wie man es nun seiner eigenen Gemeinde vermitteln wollte, um auf die Bedeutung Jesu hinzuweisen. Niemand hat über das Leben Jesu einen historischen Tatsachenbericht überliefert, viele aber einzelne Worte und Taten, die dann zu Predigten verdichtet wurden. In drei der vier Evangelien folgt nun eine überraschende Antwort Jesu. Er sagt zu seinen Jüngern: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ Das muss also der Kernsatz gewesen sein, da er in fast jedem Evangelium überliefert wird.

 

Gebt ihr ihnen zu essen!“ Jesus sieht doch was los ist und fordert seine Jünger auf, etwas scheinbar Unmögliches zu tun. Doch sie, die ihm eben noch von ihren großen Taten berichtet hatten, erkennen nun ihre Grenzen, sie können einer solchen Menschenmenge nicht geben, was sie jetzt braucht. Hat man dieses Wunder bisher stärker ethisch verstanden, nämlich so, dass man das, was man hat, teilen soll, so verstehen wir heute diesen Text stärker umgekehrt: Es geht darum zu erkennen, dass wir Menschen so gut wie gar nichts in den Händen haben, um unseren vielfältigen Hunger und Durst zu stillen. Jesus setzt auf das, was da ist und macht Mut, die eigenen Kräfte zu entfalten, ohne gleich zu resignieren und aufzugeben. Die zwölf Jünger stehen für die junge Kirche, die so von Jesus aufgefordert wird, dass sie im Mangel der Welt aktiv wird, dabei aber ihre Grenzen erkennt und jeden Tag neu lernt, Gott mehr zuzutrauen als den Menschen. Und eben das wäre das Wunder.

 

So sind nun sehr aktuell wir selbst vom Wort Jesu angesprochen, denn wir sind ja seine Kirche. Wir sind es, denen gesagt wird: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ Und wie stehen wir da? Wir taufen heute drei Kinder in unserer Gemeinde, womit sie in die Evangelische Kirche aufgenommen werden, zudem sind heute viele der neuen KonfirmandInnen im Gottesdienst. Was geben wir diesen Kindern und Jugendlichen auf ihren Lebensweg mit, jenseits von Essen und Trinken, Kleidern, einem Zuhause oder materiellem Wohlstand? Womit wollen wir uns als Kirche entschuldigen, denn was wäre es, was uns fehlt, um es teilen zu können? Immer wieder höre ich einmal Klagen über die Kirche, wobei gern übersehen wird, dass ja wir alle zusammen die „Kirche“ sind. Wer daher über sie klagt, sollte bei sich selbst anfangen, danach zu fragen, wie er selbst seiner Verantwortung und Glaubwürdigkeit als Christ und Glied seiner Kirche nachkommt. Wer also ist denn nun die Kirche, die Jesus hier über seine Jünger hinaus anspricht?

 

Wir sind die Kirche, wir alle, die wir getauft und damit Glieder unserer Kirche wurden. Und so ist bis zum kleinsten Kleinkind oder dem Konfirmanden, der Konfirmandin jeder von uns die Kirche und damit gefragt, wie diese Tatsache denn gelebt wird, wenn er oder sie doch aufgefordert ist, den Mangel anderer zu stillen? Wir alle haben es gehört, dass der Vatikan erneut ein Wort herausgegeben hat, worin auch wir Evangelischen Christen angesprochen sind und zwar in der Weise, dass uns wieder unser „Kirchesein“ abgesprochen wird. Dort heißt es:

 

„... Christus hat eine einzige Kirche `hier auf Erden... verfasst´ und sie als `sichtbare Versammlung und geistliche Gemeinschaft´ gestiftet ... `Diese ist die einzige Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen...´ Und weiter: `Daher sind diese getrennten Kirchen und Gemeinschaften, auch wenn sie, wie wir glauben, mit jenen Mängeln behaftet sind, keineswegs ohne Bedeutung und Gewicht im Geheimnis des Heils. Denn der Geist Christi weigert sich nicht, sie als Mittel des Heils zu gebrauchen, deren Kraft sich von der Fülle der Gnade und Wahrheit herleitet, die der katholischen Kirche anvertraut ist´“. 1) So können wir evangelischen Christen nach katholischer Lehre nicht `Kirchen´ im eigentlichen Sinn genannt werden, weil uns Pfarrern das „Weihesakrament“ fehlt.

 

Schweigen wir dazu, sagt man uns nach, wir seien mit der katholischen Kirche zu nachsichtig, sagen wir unser Wort, wirft man uns eine ungerechtfertigte Aufgeregtheit vor, die wir nicht nötig haben oder unterstellt uns, beleidigt zu sein. Ich möchte dazu nur so viel anmerken: Dieses Wort richtet sich ja zu aller erst, wie man hören konnte, an die katholischen Christen, um ihr Kirchesein und was es begründet.

Da frage ich mich als Protestant: Wie klein, wie eng und wie ängstlich besorgt muss der Vatikan, die Glaubenskongregation und sogar der Papst sein, wenn sie es nötig haben, sich wieder einmal auf diese Weise zu Wort zu melden? Was für ein Geist verbirgt sich dahinter? Ich finde es spannend, dass Rom offensichtlich weiß, was der Heilige Geist über das Kirchesein anderer denkt. Hier kann ich als Christ und Theologe nur zu einer größeren Bescheidenheit raten. Denn könnte es nicht sein, dass sich der Heilige Geist vielleicht am biblischen Wort und Geist gemessen, eine kräftigere und nachhaltigere Reformation der katholischen Kirche wünschte, einen sehr viel stärkeren Bezug auf das Wort und den Geist Gottes, anstatt auf das sehr menschliche Lehramt und die Traditionen? Lehramt und Tradition können irren, Gott nicht! Auf alle Fälle wurde „eine ökumenische Chance vertan“ 2), wie es Bischof W. Huber, der Ratsvorsitzende der EKD, jetzt feststellte.

 

Aber will Rom denn wirklich eine ökumensiche Bewegung – gerade auch mit dem Protestantismus – oder fühlt man sich dem aus der Sorge heraus gerade nicht gewachsen, man könnte dabei eigenes Profil verlieren? So ist es gut, dass es uns als Evangelische Kirche gibt, denn wer „Kirche Jesu Christi“ ist, entscheiden nicht wir, auch nicht andere, sondern Gott allein. Erst danach entscheidet es sich menschlicherseits am Bekenntnis des Glaubens, so, wie es bei jeder Taufe bekannt wird und daran, wie wir diesen Glauben in Leben und Glaubwürdigkeit umsetzen. So hören wir den Auftrag Jesu an uns als Kirche: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ Und an diesem Wort allein, erkennen wir unseren Mangel, weil es immer zu wenig sein wird, was wir zu geben haben. Das gilt ja gerade auch für die Ökumene, denn wir haben uns mehr zu sagen, zu geben, vorzuleben als wir es tun, womit wir uns viel schuldig bleiben. Was tut Jesus? Jesus betet, er wendet sich seinem ebenso mütterlichen, wie väterlichen Gott zu und erbittet von ihm, was den Menschen fehlt.

 

Es ist wie bei der Feier des Abendmahles, da bekommen wir ein Stück Brot, einen Schluck Wein, nachdem wir um die Gegenwart Gottes gebetet und uns diese Gemeinschaft im Glauben bewusst gemacht haben und werden auf eine ganz besondere Art satt. Wir gehen anders weg, als wir zum Abendmahl hingingen.

 

So kommt es nun gar nicht mehr darauf an, wie die vielen Menschen damals satt wurden, denn darüber wird ja gar nichts erzählt, das Wunder selbst bleibt unerklärt, sondern es geht darum, wie wir uns als Kirche heute der Daseinsnot unserer Mitmenschen stellen: dem Hunger nach Liebe, dem Hunger nach Sinnhaftigkeit im Leben, dem Hunger nach Frieden in unseren Familien, den Geschlechtern und Generationen, am Arbeitsplatz, zwischen Völkern, Rassen, Kulturen, Religionen und Konfessionen. Hier haben wir als „Kirche“ für die Welt da zu sein. Denn auch Jesus wendet sich ja gerade denen zu, welche die Jünger in ihrer Not wegschicken wollen.

 

Dieser Text aus dem neuen Testament, mit dem man zunächst vielleicht gar nicht viel anfangen konnte, wurde nun ganz plötzlich zu einer Taufpredigt, zu einer ganz besonderen Begrüßungspredigt für unsere neuen Konfirmandinnen und Konfirmanden, weil es um uns geht, um die Frage wie wir selbst „Kirche“ sind und was wir darum anderen zu geben haben oder ihnen verweigern. So werden wir alle miteinander ganz neu vor die Frage gestellt, wie wir in unserer Kirche, aber für die Welt, unseren Glauben leben, und da bleiben wir in allen christlichen Kirchen und Konfessionen in „Versöhnter Verschiedenheit“ tagtäglich neu gefordert, weil auch wir dem unterschiedlichsten Hunger in der Welt täglich begegnen. Amen.

 

 

 

Literatur:

 

1) Levada, W. Kardinal, Präfekt, Rom, 29. Juni 2007,

2) Huber W., Badische Zeitung, 21. Juli 2007, S. 2



Petzold, K., AZ Kempten, „Wir werden weiterhin Ökumene leben“,

13. Juli 2007, S. 37

Allgäuer Zeitung, „Ökumene Vatikan erkennt weiterhin keine anderen Kirchen neben sich an“, 11. Juli 2007, S. 1

Arnegger, N., Badische Zeitung, „Die einzig wahre Kirche“, 12. Juli 2007, S. 4

Drewermann, E., Das Matthäusevangelium, Zweiter Teil, Düsseldorf, 1994, S. 324 ff

Drewermann, E., Und legte ihnen die Hände auf, Düsseldorf, 1993, S. 39ff

Plasger, G., 7. Sonntag nach Trinitatis, Göttinger Predigtmeditationen, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2007, Heft 3, S. 323

Schmoll, G., 7. Sonntag nach Trinitatis, 2007, Deutsches Pfarrerblatt, in:

www.deutsches-pfarrerblatt.de/

Dejung, K.-H., Wer teilt, hat mehr vom Leben, Zeitschrift für Gottesdienst & Predigt,

Gütersloh, 2/2007, S. 45