Lukas 9,57-62, Ökumenischer Gottesdienst zum Historischen Altstadtfest

 

 

 

Jüngerschaft ohne Wenn und Aber

 

Unterwegs sagte jemand zu Jesus: »Ich bin bereit, dir zu folgen, ganz gleich, wohin du gehst!« Jesus antwortete ihm: »Die Füchse haben ihren Bau und die Vögel ihr Nest; aber der Menschensohn hat keinen Platz, wo er sich hinlegen und ausruhen kann.« Zu einem anderen sagte Jesus: »Komm, folge mir!« Er aber antwortete: »Herr, erlaube mir, dass ich erst noch hingehe und meinen Vater begrabe.« Jesus sagte zu ihm: »Überlass es den Toten, ihre Toten zu begraben! Du aber geh hin und verkünde, dass Gott jetzt seine Herrschaft aufrichten will!« Ein anderer sagte: »Herr, ich will ja gerne mit dir gehen, aber lass mich erst noch von meiner Familie Abschied nehmen!« Jesus sagte zu ihm: »Wer seine Hand an den Pflug legt und zurückschaut, den kann Gott nicht gebrauchen, wenn er jetzt seine Herrschaft aufrichten will.«

 

 


Liebe ökumenische Gemeinde,

verehrte Gäste unserer Partnerstadt Vinkovci,

 

„irgendwann nach 2020 werden unsere Maschinen intelligent, sich rasend rasch entwickeln und uns schließlich als Haustiere behandeln, prophezeit der prominenteste Zukunftsforscher des Silicon Valley, Paul Saffo... BMW will seine Fahrzeuge mit einem selbstheilenden Lack überziehen, in dem lackgefüllte Nanokapseln Kratzer in Sekunden ausbessern... und ein drittes Beispiel: Die Entwicklungsbiologin Ellen Heber-Katz ... ist sich (zudem) sicher, dass die Reparatur und Regeneration von organischen Verschleißteilen schon bald möglich sein wird... Mit nachwachsenden Fingern und Zehen könnten die Bioforscher in fünf bis zehn Jahren aufwarten, komplette Gliedmaßen werde es einige Jahre später geben..“ 1), so konnte man es nicht etwa in einem frei erfundenen Science-Fiction Roman, sondern vor kurzem in der durchaus honorigen „Wirtschaftswoche“ lesen. Zukunftsvisionen, wie diese, gab es in dem wissenschaftlichen Bericht noch viele weitere und alle werden sie in unser Leben eingreifen, es stark verändern oder sogar revolutionieren.

 

In was für eine Zukunft gehen wir miteinander hinein, die sich uns in einer solchen Weise andeutet, welche Herausforderungen werden sich uns stellen und welche Antworten haben wir in Bezug auf derartige Aussichten, wenn wir der Wirklichkeit nicht wieder Jahrhunderte lang ausweichen wollen?

 

Wir feiern in diesen Tagen unser traditionelles „Historisches Altstadtfest“, verbunden mit der offiziellen Unterzeichnung der Städtepartnerschaft mit Vinkovci. Ein historischer Rückblick bietet sich bei einer so alten Stadt wie Kenzingen und einem solchen Fest ja durchaus an, aber heute soll es mehr um Gegenwart und Zukunft gehen in die wir alle hinein leben und danach, wie wir selbst sie mitgestalten, wollen wir nicht fremdbestimmt leben. Dabei wissen wir, dass eine Stadt auch aus ihrer Vergangenheit her lebt, von all dem, was die Gegenwart ja erst begründete und möglich machte.

 

Jesus ist unterwegs! Er wird von einem Menschen angesprochen, der ihm sagt: „Ich bin bereit, dir zu folgen, ganz gleich, wohin du gehst!“ Was für eine tolle Aussage, was für ein Versprechen. Manchmal geht es uns auch so, da sind wir zunächst ganz begeistert, dann aber, wenn der Verstand, das Nachdenken einsetzt, sehen die Dinge plötzlich ganz anders aus. Doch dieser Mensch wird von Jesus selbst gebremst. Die Antwort Jesu verweist darauf, dass man sich nicht selbst in die Nachfolge rufen kann, sondern, dass man sich von Gott berufen fühlt. Nur so wird erträglich, was uns sonst viel zu schwer zu tragen wäre. Begeisterung allein hält keinem Alltag, keiner Herausforderung stand und das wird durch die Antwort Jesu deutlich gemacht.

 

Wer in der Nachfolge Jesu leben möchte, muss in der Welt zu Hause, der muss hellwach und flexibel, im besten Sinne des Wortes „unterwegs“ sein, offen für neue Erfahrungen, für Nähe und Freundschaft, wie aber auch für Gegnerschaft. Da kann man es sich nicht einfach bequem machen, sich stolz auf seiner Geschichte oder den Bekenntnissen seiner Kirche ausruhen. Wer an Gott glauben und seinen Glauben leben will, der wird, wie Jesus selbst geistig und geistlich flexibel sein. Aber dazu fehlt uns oft die Kraft, vielleicht auch der Mut. Und geht es uns nicht auch so, dass wir ganz gern einfach nur in Ruhe gelassen würden, um unangefochten und möglichst bequem durch unser Leben zu kommen? Die Kluft zwischen dem Angebot zur Nachfolge und der Möglichkeit und Fähigkeit zur Nachfolge also bleibt.

 

Der zweite Mensch wird von Jesus selbst angesprochen. Wie verständlich, dass er zunächst seinen Vater bestatten möchte, würden wir es nicht auch tun wollen? Er – und hier liegt das Problem – bleibt seinen Sitten und Gebräuchen verhaftet, er kann sich noch nicht berufen lassen, da gibt es noch etwas Wichtiges zu tun. Was Jesus sagen will, ist, dass es ein unbedingtes „Jetzt“ gibt, einen Augenblick der Entscheidung, wo man wirklich alles stehen und liegen lassen muss, um Gott mehr zu gehorchen, als den Menschen, auch wenn die Nachfolge dann der Abschied von manch liebgewordenen Gewohnheiten bedeutet.

 

Geht es nicht jedem von uns so, dass man sich einmal entscheiden musste? Da gab es dann einen neuen und ganz anderen Weg, als den, den man sich selbst angedacht hatte? Das meint Jesus hier wohl, dass wir alle immer wieder neu lernen müssen, Abschied zu nehmen und zurück zu lassen, um frei zu sein für die Nachfolge im Glauben, und so vielleicht ja auch zu einem Dienst in unseren Kirchen. Da gibt es dann kein, „ich muss aber dieses oder jenes noch tun“, weil es jetzt darauf ankommt zu seiner Berufung Ja zu sagen, auch wenn eine solche Entscheidung dann hart in die Wirklichkeit unseres Lebens einschneidet: „Lass die Toten ihre Toten begraben...!“

 

Und dann gibt es da einen dritten Menschen. Nachfolge ist für ihn, wie bei dem ersten, etwas, was er selbst einbringen will, ja er stellt sogar Bedingungen: Ich will ja ganz gern..., „aber lass mich erst noch von meiner Familie Abschied nehmen!“ Wieder ein berechtigtes Anliegen, wer sich auf den Weg macht, kann sich ja nicht einfach still und leise davon schleichen. Aber die Antwort Jesu zeigt uns die Radikalität, die sich mit einem ernsthaften Glauben verbindet. Und hier wird es gerade auch für uns in unserer Zeit kritisch. Wie immer wieder einmal im Neuen Testament, argumentiert Jesus auch in unseren Fällen so, dass man sich fragt, ja, wer ist dann eigentlich in die Nachfolge berufen und wer von uns könnte sie so leben, wie es Jesus hier fordert? Die Antwort ist ganz einfach: Niemand. Wir alle sind als Christen natürlich jeden Tag in die Nachfolge berufen, aber dennoch leben wir so, als würden wir unseren Glauben verraten.

 

In seinem Werk „Der Augenblick“ schreibt der große Dänische Philosoph und Theologe Sören Kierkegaard mit einem kritischen Blick auf das Christentum seiner Zeit: „Es war die Absicht des Christentums: Alles zu verändern. Das Ergebnis, das Christentum der „Christenheit“, ist, dass alles, unbedingt alles, geblieben ist, wie es war, nur dass alles den Namen „christlich“ angelegt hat – und so ..., so leben wir als Heiden ...raffiniert mit Hilfe der Ewigkeit und mit Hilfe dessen, dass es ja christlich ist, das Ganze!“ 2) Wir überschätzen uns, wie die drei Menschen in unserem biblischen Text in unserem Glauben, wir suchen Ausreden oder stellen Bedingungen. Jesus führt uns also vor Augen, wie ernsthaft es ist, wenn sich jemand auf seinen Glauben und damit auf die Nachfolge einlassen möchte. Er sagt: „Wer seine Hand an den Pflug legt und zurückschaut, den kann Gott nicht gebrauchen, wenn er jetzt seine Herrschaft aufrichten will.“

 

Wer pflügt, muss eine Richtung haben. Doch wie oft schauen wir zurück, berufen uns auf unsere konfessionellen Traditionen, die dann wie hohe, trennende Wände zwischen uns stehen. Ja, wir dürfen katholisch oder evangelisch sein, wir sollen unserem Glauben ja auf diese Weise ein Gesicht geben, das aus der Vielfalt lebt.

 

Dabei kommt es für uns alle in unseren Kirchen und Gemeinden darauf an, wie wir es als Christen schaffen, die Zukunft mitzugestalten, dazu beizutragen, dass Gegenwart und Zukunft – bei allem, was uns möglich ist – ein menschliches Gesicht behält. Da reicht es nicht aus, sich auf seine Konfession zu berufen, sich den Fragen und Herausforderungen der Zeit zu verweigern, den technischen Fortschritt, Wissenschaft und Forschung zu verdammen, sondern diese ethisch mit zu bedenken und zu begleiten, wo immer wir damit konfrontiert sind.

 

Der große Schweizer Reformator Huldrych Zwingli rief seinen Zeitgenossen einmal zu: „Tut um Gottes Willen etwas Tapferes!“ 3) Das ist es wohl, was auch wir uns zurufen, wozu wir uns als Christen immer wieder neu ermutigen müssten: „Tut um Gottes Willen etwas Tapferes!“ Den Glauben wieder einmal ernst zu nehmen, auch dann, wenn er uns fordert und Nachfolge zu wagen, auch wenn es unbequem für uns wird. Das wäre doch so etwas Tapferes, was Christen in all ihrer konfessionellen Verschiedenheit in die Welt und ihre Zukunft einbringen könnten.

 

Es reicht doch nicht für ein „historisches Stadtfest“ nun einfach in einem ökumenischen Gottesdienst zu sagen, bleibt wer ihr seid und freut euch an dem, was nun einmal geistlich aus Eurem Glauben und historisch aus Eurer Stadt wurde, das wäre zu wenig, zu einseitig und rückwärtsorientiert. So wünsche ich uns nicht nur ein schönes Fest mit vielen guten Begegnungen und Gesprächen, eine zukunftsweisende, Grenzen überwindende Städtepartnerschaft, sondern vor allem und erst recht, dass wir uns noch einmal in die Nachfolge Jesu rufen lassen. Ein jeder in der Kirche, die ihm Heimat ist, und dass wir nun wirklich etwas Tapferes wagen, um Gräben aufzubrechen und zu überwinden, wo immer sie uns begegnen mögen.

 

Aus diesem Geist hat Kardinal Karl Lehmann gerade erst vor weinigen Tagen in Freiburg gesagt: „Das Fremde kann uns bereichern und befreien... Man kann auf die Dauer die Identität des Fremden nur respektieren, wenn man das Anderssein kennen lernen und ein Stück weit durchschauen kann...“ 4) Das gilt doch auch für uns als evangelische und katholische Christen im Zusammenleben hier in unserer Stadt, wie aber auch für eine Städtepartnerschaft, die Menschen zweier Städte aus verschiedenen Ländern Europas miteinander freundschaftlich vereint. Dafür sind wir gerade heute herzlich dankbar, denn es ist ein guter Geist, der so zum Ausdruck gebracht wird.

 

Die Zukunft der Kirche in der Welt kann nicht eine losgelöste Zukunft von der Wirklichkeit der Welt sein, darum liegt es an uns, dass und wie wir sie mitgestalten. Und so gilt: „Wer seine Hand an den Pflug legt und zurückschaut, den kann Gott nicht gebrauchen, wenn er jetzt seine Herrschaft aufrichten will.“ Deshalb bleiben wir alle miteinander aufgerufen: „Tut um Gottes Willen etwas Tapferes!“, weil nur das der Welt und unserem Leben eine gute Zukunft verspricht. Amen.

 

 

 

Literatur:

 

1) Wirtschaftswoche Nr. 7, 12.02.2007, S. 26 ff

2) Kierkegaard, S., Der Augenblick, Düsseldorf, 1959, S. 182

3) Barth, K., Die Kirchliche Dogmatik, Die Lehre von der Versöhnung,

    Band IV/2, Zürich, 1955, S. 611

4) Lehmann, K., Badische Zeitung, Donnerstag, 5. Juli 2007, S.2

 

Bonhoeffer, D., Nachfolge, München, 1964, S. 28ff

Drewermann, E., Zwischen Staub und Sternen, Düsseldorf, 1991, S. 92 ff

Drewermann, E., Das Matthäusevangelium, Zweiter Teil, Düsseldorf, 1994, S., 80 ff

Schweitzer, A., Predigten 1898-1948, München, 2001, S. 603ff

 

 

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