1. Sonntag nach Trin., Matthäus 9, 35-10,1 + 5-7

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Schon Jesus sucht Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für den Dienst des Glaubens in der Welt. Jeder von uns glaubt an irgend etwas, aber niemand von uns glaubt - ohne die Mütter und Väter im Glauben – an den Gott Jesu. So gehört es zum Wesen des Glaubens und zur Existenz der Kirche, dass wir mit unserem Glauben ein Leben lang unterwegs und niemals mit ihm fertig sind. Jeden Tag geht es ganz neu darum, Gott zu suchen und zu finden, um dann aus seinem guten Geist heraus, die Welt gestalten zu helfen.

           

            Christus spricht: Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich (Lukas 10,16).

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Dein Sohn, unser Bruder, hat sich Freunde gesucht, damit die Welt dich ebenso mütterlich, wie väterlich zu glauben lernt. Er hat etwas von einer menschlichen Welt unter uns aufleuchten lassen, weil nur das deinem Willen entspricht. Du menschenfreundlicher Gott gehe mit uns durch unser Leben, durch alles, was uns beschwert und bedrängt, durch alles, was uns an Freiheit geschenkt ist, uns glücklich und Freude macht, durch ihn, unseren Bruder und Herrn Jesus Christus. Amen.

 

 

Jesus zog durch alle Städte und Dörfer. Er lehrte in den Synagogen und verkündete die Gute Nachricht, dass Gott jetzt seine Herrschaft aufrichtet und sein Werk vollendet. Er heilte alle Krankheiten und Leiden. Als er die vielen Menschen sah, ergriff ihn Mitleid, denn sie waren hilflos und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben. Darum sagte er zu seinen Jüngern: „Hier wartet eine reiche Ernte, aber es gibt nicht genug Menschen, die helfen, sie einzubringen. Bittet den Herrn, dem diese Ernte gehört, dass er die nötigen Leute schickt!“

 

Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Vollmacht, böse Geister auszutreiben und alle Krankheiten und Leiden zu heilen. Diese Zwölf sandte Jesus aus mit dem Auftrag: „Meidet die Orte, wo Nichtjuden wohnen, und geht auch nicht in die Städte Samariens, sondern geht zum Volk Israel, dieser Herde von verlorenen Schafen. Verkündet ihnen: `Jetzt wird Gott seine Herrschaft aufrichten und sein Werk vollenden!´

 

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Unvorstellbar für uns heute! Da wandert Jesus von Stadt zu Stadt, von Ort zu Ort, um seine Botschaft, das Evangelium von einem ebenso mütterlich, wie väterlich zu glaubenden Gott zu verkündigen. In der Begegnung mit ihm erfahren Menschen allem Unheil, aller Krankheit zum Trotz Heilung und Heil. Sicher ist, dass auch er das Leiden, die Krankheit und den Tod nicht aus der Welt schaffte, doch ganz offensichtlich änderte seine Gegenwart einiges unter den betroffenen Menschen, durch ein bestimmtes Wort, ein gezieltes Handeln. Er nimmt das Leiden seiner Umwelt wahr, wozu mehr und anderes gehörte als die eine oder andere Krankheit.

 

Er sieht die krankmachenden Abhängigkeiten von Göttern, Götzen und Kulten. Er erlebt ja tagtäglich mit, wie die Religionsführer seiner Zeit mehr Gesetze verkündigen, um Gott nahe zu kommen, als den Gott, der nicht nur Israel selbst, sondern überhaupt den Menschen liebt, ganz und gar unabhängig, wie toll oder wie fraglich er ist, hilflos, depressiv, physisch und psychisch angeschlagen: Eben - wie ein Haufen verlorener Schafe ohne einen fürsorglichen Hirten. Und so ermutigt er seine Jünger und Freunde nun selbst diesen Dienst auszuüben. In seiner Nachfolge die Menschen mit einem Gott zu konfrontieren, der frei und fröhlich macht, der ein Gott der Liebe und nicht unzähliger Gebote und Verbote ist. Ein Gott, durch den Menschen trotz aller Krankheits-, Leidens- oder auch Todeserfahrungen etwas von einer tragfähigen Hoffnung für ihr bedrängtes Leben erfahren.

 

Der Gott Jesu war anders als der Gott, der den Menschen bisher gepredigt wurde. Ja, Jesus selbst ist so ganz anders, als die Priester und Lehrer seiner Zeit. Wir alle machen ja in unserem eigenen Leben die Erfahrung, dass es Menschen gibt, die uns gut tun oder mit denen wir lieber nichts zu tun haben wollen. Und das gilt natürlich auch für uns Pfarrer, für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unserer Kirche und Gemeinde. Sind wir die Menschen, denen man begegnen möchte? Sind wir es, die ein wenig mehr Freundlichkeit und Freude, Heil und Gerechtigkeit ins Leben unserer Zeit bringen oder wie erfährt man uns?

Jesus wurde vom Mitleid ergriffen, das ist weit mehr als ein wenig Mitgefühl für einen anderen aufzubringen. Mitleid ist eine Grundhaltung der Humanität, der Menschlichkeit. Eben das ist der Geist mit dem Jesus seine Jünger auf den Weg schickt, weil nur in einem solchen Geist, dieser ganz andere Gott erfahrbar wird.

 

Jesus sieht, dass es nicht genug Menschen gibt, die sich um die bedrängte Herde kümmern könnten, so dass er dazu aufruft, darum zu bitten, dass sich Menschen finden, diesen Dienst zu übernehmen. Wie anders erfahren wir unsere Kirche heute. Wir haben scheinbar keine Missionssituation mehr und müssten wohl eher Personal abbauen, als einstellen. Allein in unserer mittelgroßen Landeskirche, mit ca. 1,3 Millionen Mitgliedern, haben wir über 14.600 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, darunter etwa 1.100 Pfarrerinnen und Pfarrer. In der Diakonie unserer Landeskirche arbeiten über 27.900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und nimmt man all jene hinzu, die sich in unserer Kirche ehrenamtlich engagieren, so geht man von ca. 50.000 Menschen aus. Das sind Zahlen, die nicht gerade auf eine kleine Herde schließen lassen und es sind Zahlen, die nur die Evangelische Landeskirche in Baden betreffen, nicht also die Evangelische Kirche in Deutschland oder die Katholischen Erzdiözesen.

 

Noch heute lassen sich in unserer Landeskirche 66% aller evangelischen Paare kirchlich trauen. Nahezu alle Kinder aus evangelischen Ehen werden getauft. Fast alle evangelisch getauften Kinder bekräftigen ihre Zugehörigkeit zur Kirche durch die Konfirmation. Die Zahl der Kirchenaustritte sinkt. In einer Kirchengemeinde arbeiten durchschnittlich 69 Menschen ehrenamtlich mit. In Deutschland besuchen an jedem Wochenende mehr Menschen einen evangelischen Gottesdienst als die Spiele der 1. Fußball-Bundesliga. [1]

 

Das klingt gut und doch gilt der Aufruf Jesu nach engagierter Mitarbeit auch uns. Warum? Einer der schärfsten Angriffe auf die Kirche, ja das Christentum schlechthin kam von Friedrich Nietzsche. Und woran machte er seine grundsätzliche Kritik fest: Am Mitleid. Das Mitleid verleiht seiner Meinung nach dem Menschen, gerade dem benachteiligten Menschen, einen unabhängigen Wert; Leid wird durch das Mitleid erträglich gemacht, ja ihm wird ein Sinn geschenkt und schließlich ist die Welt durch Gott wertvoll [2], ganz gleich wie groß oder klein, gesund oder krank, stark oder schwach ein Mensch ist. Für Nietzsche war klar, dass sich nur das Starke durchsetzen darf. Der Nihilismus, die Überzeugung also, dass alles keinen Sinn und Wert hat; der Atheismus, die Überzeugung, das es keinen Gott gibt und vor allem der Egoismus, die Ich-Bezogenheit des modernen Menschen machen es nötig, dass ein jeder Christ sich berufen fühlt, seinen Glauben zu leben.

 

Gerade konnten wir in großer Aufmachung im SPIEGEL lesen: „Gott ist an allem schuld! – Der Kreuzzug der neuen Atheisten... Eine neue Generation von Skeptikern und Wissenschaftlern hat sich aufgemacht, die Welt vom Glauben zu befreien... Immer nach dem Motto: `Ich glaube nicht und das ist auch gut so!´“ [3] Dabei ist die Schwäche dieser Kreuzzügler offensichtlich, da sie sich an einem Christentum orientieren, das selbst kritischen Christen mehr als fraglich scheint. Fundamentalismus, auch christlich getarnt, widerspricht dem Wesen der Botschaft Jesu und des Glaubens der Kirche. Darüber hinaus findet keine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit einer durchdachten Theologie statt. So arbeiten sie sich vor allem an amerikanischen und islamischen Fundamentalisten, George Bush oder Äußerungen des Papstes und einzelner Bischöfe ab.

Das zielt am christlichen Glauben vorbei, bleibt aber dennoch eine Aufgabe unserer Auseinandersetzung. Darum gilt das Wort Jesu also auch uns, vor allem, weil sein Gebot, Orte zu meiden, wo keine Juden leben, ja durch den Tauf- und Missionsbefehl und durch seine eigene Auseinandersetzung mit Samaritanern aufgehoben ist. Schon die Pfingstbotschaft wird von Menschen gehört, die keine Juden waren. So sehr wir uns also über die Vielfalt in unserer Kirche freuen dürfen, über die große Zahl derer, die zu ihr gehören oder in ihr mitarbeiten, so sehr bleibt ein jeder von uns, der sich als Christ sieht, aufgefordert, seinen Glauben nun auch zu leben, ihn öffentlich zu bezeugen. Von solchen Christen dürfte es dann ruhig mehr in der Welt geben.

 

Denn natürlich ist man Christ, aber man ist es heute mehr auf dem Taufschein, der Konfirmationsurkunde und Gott sei Dank auch noch durch die Kirchensteuer, aber reicht das, gemessen an dem, wozu die Jünger Jesu beauftragt werden, reicht das, wenn wir wirklich in der Nachfolge Jesu leben und die Welt mit all ihren Herausforderungen eben nicht sich selbst überlassen wollen? Wie steht es um unser Mitleiden mit all jenen, die unter uns traurig sind, denen ein fürsorglicher Mitmensch fehlt? Wie gehen wir mit denen um, die in unserer Gesellschaft hilflos und erschöpft unter die Räder kommen, wie mit allen, denen ihr Gegenüber mehr Wolf als Mensch ist? Was für Perspektiven geben wir unseren Kindern mit, Werthaltungen und Orientierungen für ein humanes, ein menschliches Leben – und welche Antworten suchen wir auf die Grundfragen unserer Existenz?

 

Das lässt sich eben nicht mehr mit dem modernen Nihilismus, Atheismus oder mit Gleichgültigkeit beantworten. Hier sind wir gefragt, herausgefordert unseren Glauben vielleicht auch wieder einmal ganz neu zu entdecken, um so der Welt und der Gesellschaft in der wir leben, brauchbare und zukunftsfähige Lebensentwürfe zu geben. Lebensentwürfe, die tragen, auch dann, wenn wir uns einmal hilflos und erschöpft fühlen, wenn es im Leben einmal nicht so erfolgreich zugeht, wie wir es uns wünschen, wenn wir mit Krankheit, Leid und Tod konfrontiert sind.

 

Der Kirchentag in Köln mit seinem Motto: „lebendig und kräftig und schärfer“ hat wieder einmal gezeigt, wie stark die Kirche nach wie vor in die Gesellschaft hinein strahlt und ihre aktuellen Themen aufgreift. Er offenbart ermutigend, wie umgekehrt auch kontrovers, die Vielfalt der Kirche über das hinaus, was einer einzelnen Gemeinde möglich ist. Nicht erst der „G8 Gipfel“ in Heiligendamm hat doch wieder deutlich gemacht, dass gerade wir Christen unsere Welt nicht den Politikern allein überlassen dürfen, wie aber auch nicht den Naturwissenschaftlern, den Unternehmern, all jenen, die in Organisationen und Verbänden Verantwortung tragen. Wir alle sind in unserer Weltverantwortung gefragt und gefordert, um das Gesicht der Welt geistvoll mitgestalten zu helfen.

 

Ja, wir haben allen Grund, Gott für unsere Kirche zu danken, für unsere Gottesdienste, Kreise und Gruppen, den großen Reichtum an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, an Seelsorge und Dienstleistungen, an gesellschaftlichen Impulsen, bis hin zu einem guten Widerspruch, wo dieser nötig ist. – Aber, wir werden ebenso immer wieder neu darum zu bitten haben, dass sich Menschen neben uns stellen, uns nicht allein lassen, wenn es darum geht, unseren Glauben glaubwürdig zu leben. So erst wird die Botschaft des Glaubens zum Evangelium, zu einer frohen und befreienden Botschaft – dieser Auftrag lässt sich also nicht delegieren, denn für ihn sind wir als Christen unserer Zeit, unserer Gesellschaft und unserer Kirche - alle mitverantwortlich! Amen.

 

 

 

Literatur:

 

1) Quelle: www.ekiba.de/index.htm

2) Safranski, R., Nietzsche, München, 2000, S. 307 ff

3) Smoltczyk. A., DER SPIEGEL, 22/2007, S. 56 ff

 

 

Henning, W., 1. Sonntag nach Trinitatis, 2007, in: www.deutsches-pfarrerblatt.de/

Hasselmann, N., Calwer Predigthilfen, 2000/2001, Reihe V/2, Stuttgart, 2001, S. 44 ff

 

 

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