Rogate, Johannes 16; 1,16, 20-22

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! So manches in unserem Leben bedrückt, entmutigt, belastet und beschwert uns. Auch die Jünger Jesu erfuhren das auf ihrem Lebensweg, ja, auch auf ihrem Weg mit ihrem Freund Jesus: Sie erlebten den Schmerz, die Trennung, den Tod, doch Jesus sagt ihnen: Ihr werdet traurig sein; doch eure Trauer wird sich in Freude verwandeln.

 

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Ausgang und Eingang, Anfang und Ende, Kommen und Gehen, Zusammenfinden und Abschiednehmen müssen stehen unter deinem Segen. Dich glauben wir mit dem Osterfest als den, der bleibt, wenn wir uns trennen oder getrennt werden und der mitgeht, wenn wir aufbrechen. Wir spüren, wie sehr unsere Angst uns bindet, wenn Gegenwart und Zukunft dunkel und fraglich scheinen, und unsere Trauer unsere Gedanken unfrei macht.

 

Und wenn wir darauf hoffen, dass wir einander nicht mehr aus den Augen und aus dem Sinn kommen, sondern dass Spuren bleiben, dann wird deutlich, dass unser Leben reich wird in diesem Kommen und Gehen. In beidem kann Sinn und Wert, Rätselhaftigkeit und Grenze auf besondere Weise aufleuchten und einleuchten. Darum, komm und bleibe bei uns, Herr. Amen.

 

 

Ich habe euch dies gesagt, damit ihr nicht an mir irre werdet:

 

Es dauert noch eine kurze Zeit, und ihr werdet mich nicht mehr sehen. Dann wird wieder eine kurze Zeit vergehen, und ihr werdet mich wiedersehen. Ich will es euch erklären: Ihr werdet jammern und weinen; aber die Welt wird sich freuen. Ihr werdet traurig sein; doch eure Trauer wird sich in Freude verwandeln. Wenn eine Frau ein Kind zur Welt bringt, leidet sie große Schmerzen; aber wenn ein Kind geboren ist, vergisst sie die Schmerzen und ist nur noch glücklich, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. So wird es auch euch gehen: Jetzt seid ihr traurig. Aber ich werde euch wiedersehen. Dann wird euer Herz voll Freude sein, und diese Freude kann euch niemand nehmen.

 

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Es ist schon ein wenig merkwürdig, dass das Wort, über das wir heute miteinander nachdenken wollen, ausgerechnet aus den Abschiedsreden Jesu ist, so kurz nach dem Osterfest und vor dem Pfingstfest.

 

Jesus erinnert seine Jünger an den bevorstehenden Tod und die damit verbundene Trennung. Er weiß, wie sehr seine Freunde darunter leiden werden, ihn dann nicht mehr bei sich zu haben. Er weiß, wie sehr die Trauer über den Tod, über jeden Abschied, der uns Menschen voneinander trennt, schmerzt. Wir alle leiden, wenn wir Abschied zu nehmen haben. Auch Jesus nahm nicht gerne Abschied von seinen Freunden, - von Menschen, denen er auf seinen Wanderungen begegnete, - vom Tempel in Jerusalem, - von der Landschaft um den See Genezareth, - den Straßen, die ihm so vertraut waren, - vom Leben...

 

Er sagt ihnen: `Ihr werdet traurig sein; doch Eure Trauer wird sich in Freude verwandeln...´ Ein merkwürdiges Wort für seine Jünger, ja auch für uns und alle, die es lernen müssen, im Leben Abschied zu nehmen. Er will ihnen Mut machen und zusagen, dass diese Trennung nicht endgültig, eben nicht das letzte Wort ist. Er verspricht ihnen, dass sie ihn wiedersehen werden - und dass dann ihr Herz voll Freude sein wird – und dass ihnen diese Freude niemand mehr nehmen kann. Sie ist das letzte Wort, die letzte Erfahrung nach den Abschieden, die den menschlichen Lebensweg begleiten.

 

Jesus nimmt das schreckliche Ende in den Blick und sagt seinen Freunden: Das Ende - auch dieses Ende – führt eben nicht in eine bleibende und endgültige Trauer, nicht in eine tiefe Erschütterung, sondern in eine begründete Freude hinein. Das Ende ist nicht Leere, sondern ein Aufbruch zu einem zwar veränderten, doch neuem Leben. All das meint Jesus, ohne dabei das Trauma der Trennung und des Abschiedschmerzes zu verschweigen. Jesus fehlen wohl irgendwie die richtigen Worte, um das Verhältnis von Abschied und Wiedersehen, von Trauer und Freude deutlich zu machen, und so greift er, der Mann, der sicher nie eine Geburt erlebte, zum Bild der Geburt eines Menschen.

Eine Pfarrerin erinnert sich: "Bald ist´s soweit", meinte der Frauenarzt, und ich begann meinen Klinikkoffer zu packen, das Kinderzimmer empfangsbereit zu machen und immer wieder zu überprüfen, ungeduldig sehnsüchtig die Stunde erwartend, in der ich einen Menschen zur Welt bringen würde. "Bald ist's soweit", meinte die Hebamme mit einem Blick auf den Wehenschreiber, und ich konnte es kaum mehr aushalten, das Warten auf dieses `bald´, das mich von den Schmerzen der Geburt erlösen würde - da war keine Vorfreude auf das Kind mehr da, nur noch der Wunsch nach der Beendigung der Wehen - und dann das überwältigende Glücksgefühl, als mit der letzten Presswehe das Kind herauskam, die Erleichterung und das Zur-Ruhe-kommen und sich auf das Neue einstellen: Die Freude und nichts anderes zählte...

 

Jesus greift auf ein Bild zurück, das wohl so gut wie alle Menschen - vor allem natürlich Frauen - verstehen können. Fast jeder Mensch erlebt ja einmal die Geburt eines anderen Menschen mehr oder weniger mit. Wir alle - sogar wir Männer - können erahnen, was die Geburt für eine Frau bedeutet. Immer mehr Männer begleiten heute ja ihre Frauen bei der Geburt ihres Kindes. Mit der Geburt erfahren Eltern bei aller Lebensfreude eben auch wie sehr das Leben radikal verändert wird, die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Sie lieben und erfahren den Schmerz, denn sie meinen, etwas zu besitzen, was sie letztendlich nie besitzen werden. Denn ein jeder Mensch gehört allein sich selbst, und er gehört vor allem Gott. Füreinander bleiben wir ein unverfügbares Geschenk.

 

Jesus nimmt also den Schmerz der Trennung ernst, so wie er den Geburtsschmerz wahrnimmt, doch er schildert seinen Jüngern, das, was dann kommt, das Wiedersehen, das Neue und Andere, Trauer und Tod, Leid und Klage dann bald vergessen lassen werden. Der Trennungsschmerz der Jünger wird zum Geburtsschmerz eines neuen Lebens für die ganze Welt, in der dann - endlich - der Auferstandene allen Menschen endgültig und letztgültig begegnen wird.

 

Dieser Sonntag lässt uns im Rückblick auf den Tod und das Sterben Jesu und des Osterfestes teilhaben an dieser Bewegung zum Leben. Seit Ostern leben wir pfingstlich, leben wir von der Hoffnung seines Geistes in unserer Mitte. Nie werden seine Jünger - bis auf den heutigen Tag - diese Hoffnung aufgeben und vergessen. Wir alle warten auf diese Freude, die uns niemand mehr nehmen kann. Liebe Gemeinde! In dem gelegentlich von mir zitierten Gedicht von Hermann Hesse `Stufen´ heißt es mit anderen Worten, doch in dem gleichen Geist:

 

Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe

Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,

Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern

In andre, neue Bindungen zu geben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,

Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben...

 

Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...

Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

 

In diesen bekannten, schönen Worten wird ausgedrückt, was jedem Menschen in seinem Leben widerfährt, das Abschiednehmen - und doch wird ja zugleich deutlich, dass Abschied und Neubeginn zusammengehören, untrennbar einander verbunden sind.

Da wird etwas zurückgelassen, der Abschied schmerzt. Doch überall, wo wir eine schmerzhafte Trennung oder eben auch den Tod erfahren, wird ja auch etwas anders für uns. Wir lassen zurück, doch mit der Veränderung in unserem Leben beginnt ein neuer Abschnitt, der ja auch Chancen birgt, oder wie Hesse es sagt: `Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben... Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!´ Was wäre unser Leben ohne Abschied und Neubeginn? Ohne das Zurücklassen können und der Chance, einen Weg in die Zukunft hinein zu finden, der auch gangbar und tragfähig ist.

 

Gehen unsere Kinder denn nicht einmal aus dem Haus, um ihren Weg zu finden? Und wie sähe es in Kenzingen wohl aus, wenn niemand sich in seinem Leben einmal auf den Weg gemacht hätte? Wie könnten wir angesichts des Todes leben, ohne zu resignieren, wenn wir nicht glauben dürften, dass Gott unser aller Leben trägt und begleitet, wohin wir auch gehen und wo immer wir im Leben einmal ankommen? Wo also wären wir, wenn wir nicht einmal oder auch öfter in unserem Leben etwas zurückgelassen hätten, um etwas Neues, Anderes zu erfahren?

 

Unser Leben wäre von Anfang an alt und verbraucht. Erfahrungslos, also unerfahren, würden wir in den Tag hineinleben, ohne eine richtige Zukunft zu haben. Phantasie und Träume, die Sehnsucht und die Hoffnung begleiten das Leben und öffnen unser Leben für immer neue Ereignisse und Erkenntnisse. Nur so können wir im Grunde ein sinn- und wertvolles, ja ein erfülltes Leben leben. Und darum hören wir das Wort aus der langen Abschiedsrede Jesu als ein Wort der Verheißung, das sich auf viele Situationen unseres Lebens übertragen lässt.

 

Hier leben die Jünger, den konkreten Abschied vor Augen, traurig und im Gefühl, alleingelassen zu werden. Doch Jesus sagt ihnen ein verheißungsvolles Wiedersehen zu. Voll vom Geist Gottes werden sie die Gegenwart des Auferstandenen im Leben erfahren. Glaube und Vertrauen werden möglich sein - gegen alle Resignation und den Zweifel. Wir leben ja mit ganz ähnlichen Erfahrungen des Abschiednehmens im Leben – aber auch uns tröstet das Wort Jesu, wenn er sagt, dass Trauer sich einmal in Freude wandelt. Dabei bleiben für uns, solange wir leben, Erinnerung wie Begegnung möglich - auch über Zeit und Ferne hinweg.

 

So oder so: Wir nehmen jeden Abschied leidvoll wahr, der uns voneinander trennt und darum schmerzt, doch leben wir mit der Hoffnung, dass kein Abschied das letzte Wort sein wird. Und so dürfen wir das Wort Jesu mit in unsere vielfältigen Abschiede hinein nehmen, es wird uns trösten und Mut machen zu einem neuen Anfang mitten in einem alten Leben. Amen.

 

 

 

 

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