Karfreitag, Matthäus 27,33-50

 

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Karg sieht es heute in unserer Kirche und hier auf dem Altar aus, keine schönen Blumen, keine Kerzen, schwarze Antependien, wo sonst weiße, grüne, violette oder rote Tücher hängen, und auch kein Halleluja...

           

            „Mein Gott, mein Gott, warum?“ - In diesem Schrei Jesu am Kreuz finden sich viele Menschen bis auf den heutigen Tag wieder. Dennoch: Jesus betet, er vertraut seinem väterlich-mütterlichen Gott und das wollen auch wir tun. Wir wollen nicht gedanklich beim Karfreitag stehen bleiben, so ernst er genommen werden muss, sondern aus allem Dunkel der Welt, aus allem Leid und aller Trauer dennoch etwas aufleuchten sehen, was uns dann mit der Osterbotschaft verkündigt werden wird.

 

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Warum hilfst du nicht, wenn ich schreie, warum bist du so fern? (Psalm 22,2).

 

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Wir sind heute, wie an keinem Tag sonst im Jahr, an das Kreuz und den Tod deines Sohnes, Jesus Christus, erinnert. Wir sind betroffen und zugleich dankbar, denn er trug, was wir nicht tragen können. Herr, viele von uns fragen aus einem leidvollen Leben heraus: „Warum?“, warum nur?, tröste sie und zeige ihnen Wege, die zurück ins Leben führen. Immer noch fühlen sich Menschen hier und in der weiten Welt durch Unrecht und Schuld, Versagen und Egoismus wie aufs Kreuz gelegt, steh ihnen mit deinem mutmachenden Geist und Menschen zur Seite, die ihren Glauben leben. Herr hab Dank, dass wir im Symbol des Kreuzes deine Liebe zu allen – vor allem aber allen bedrängten Geschöpfen dieser Welt - erkennen dürfen.

 

Wir danken dir für das Brot und den Wein als Zeichen deiner Gegenwart in unserer Mitte und für die Gemeinschaft im Glauben, die uns geschenkt ist. Aus diesem Geist heraus begleite deine weltweite Kirche in ihre Zukunft. So danken dir für alle Menschen unter uns, die uns mit ihrem Glauben ein Vorbild sind und die sich in unserer Gemeinde und Kirche mit ihrem Engagement einbringen. Vor dir bringen wir nun auch voller Dankbarkeit alle Menschen in Erinnerung, die uns den Weg zu dir vorangegangen sind – und beten für uns, unsere Gemeinde, unsere katholischen Mitchristen, für unsere kleine Stadt und für die ganze Welt. Amen.

 

 

So kamen sie an die Stelle, die Golgota heißt, das bedeutet »Schädelplatz«. Dort gaben sie Jesus Wein mit einem Zusatz, der bitter war wie Galle; aber als er davon gekostet hatte, wollte er ihn nicht trinken. Sie nagelten ihn ans Kreuz und losten dann untereinander seine Kleider aus. Danach setzten sie sich hin und bewachten ihn. Über seinem Kopf hatten sie ein Schild angebracht, auf dem der Grund für seine Hinrichtung geschrieben stand: »Dies ist Jesus, der König der Juden!« Mit Jesus zusammen wurden zwei Verbrecher gekreuzigt, einer rechts und einer links von ihm. Die Leute, die vorbeikamen, schüttelten den Kopf und verhöhnten Jesus: »Du wolltest den Tempel niederreißen und in drei Tagen wieder aufbauen! Wenn du Gottes Sohn bist, dann befrei dich doch und komm herunter vom Kreuz!« Genauso machten sich die führenden Priester und die Gesetzeslehrer und Ratsältesten über Jesus lustig. »Anderen hat er geholfen«, spotteten sie, »aber sich selbst kann er nicht helfen! Wenn er der König von Israel ist, soll er vom Kreuz herunterkommen, dann werden wir ihm glauben. Er hat doch auf Gott vertraut; der soll ihm jetzt helfen, wenn ihm etwas an ihm liegt. Er hat ja behauptet: 'Ich bin Gottes Sohn.'« Genauso beschimpften ihn auch die beiden Verbrecher, die zusammen mit ihm gekreuzigt worden waren.

 

Um zwölf Uhr mittags verfinsterte sich der Himmel über dem ganzen Land. Das dauerte bis um drei Uhr. Gegen drei Uhr schrie Jesus: »Eli, eli, lema sabachtani?« - das heißt: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Einige von denen, die dabeistanden und es hörten, sagten: »Der ruft nach Elija!« Einer lief schnell nach einem Schwamm, tauchte ihn in Essig, steckte ihn auf eine Stange und wollte Jesus trinken lassen. Aber die anderen riefen: »Lass das! Wir wollen sehen, ob Elija kommt und ihm hilft.« Doch Jesus schrie noch einmal laut auf und starb.

 

 

 


Liebe Gemeinde!

 

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Es gibt wohl eine ganze Reihe von Gemeindegliedern in unserer Mitte, von Menschen weltweit, die das Gefühl, das sich in diesem Schrei Jesu am Kreuz ausdrückt, kennen. Wir müssen nicht an einem Kreuz hängen, um uns mitten im Leben gekreuzigt zu fühlen, aufs Kreuz gelegt. Wir erfahren den physischen und psychischen Schmerz in unterschiedlichster Weise: Im Abschied von einem uns vertrauten Menschen; im Leid einer unheilbaren Krankheit; im Alleingelassensein, der Einsamkeit im Alter; in den Verletzungen, die uns zugefügt werden oder schreiendem Unrecht, dem wir uns hilflos ausgeliefert fühlen; in unzähligen Verlusterfahrungen, die schmerzen. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

 

Die Passionsgeschichte ist erzählte Geschichte. Matthäus will nicht einfach nur nacherzählen, was er über den Leidensweg und das Sterben Jesu am Kreuz gehört hat, sondern er möchte zugleich deuten, wie mit einem langen Finger auf Jesus hinweisen, um zu sagen, da, seht, das ist der Mensch Gottes, der Messias, auf den ihr so lange gewartet und den ihr nun ans Kreuz geschlagen habt. Er erinnert mit seinem Bericht an die Worte aus dem 69. Psalm, in dem es heißt: „... Statt Nahrung haben sie mir Gift gereicht, mir Essig angeboten, um meinen Durst zu löschen ...“ (Ps 69,22). Und auch der Schrei: „... Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ stammt ja aus einem alten, Jesus durchaus bekannten Bibelwort, dem 22. Psalm. Er erinnert an Jesaja 53, wo heißt es: „... Denn er ging in den Tod und ließ sich unter die Verbrecher zählen... (Jes 53,12). Und noch einmal greift er den 22. Psalm auf: „... Schon losen sie um meine Kleider und verteilen sie unter sich (Ps 22,19), wo es auch heißt, fast wörtlich von Matthäus zitiert: „.. Wer mich sieht, macht sich über mich lustig, verzieht den Mund und schüttelt den Kopf (Ps 22,8).

 

Dabei wussten die Menschen unter dem Kreuz, dass dieser Schrei nach dem „Warum“ aus einem biblischen Gebet stammte - und so an diesem unsäglichen Marterpfahl der abgrundtiefe Glaube der Väter und Mütter aufgegriffen wurde. Ebenso wusste jeder der Lästerer, dass dieses Psalmwort in der unendlichen Zuversicht endet: „... Kein Elender ist dem Herrn zu gering; mein Geschrei war ihm nicht lästig. Er wandte sich nicht von mir ab, sondern hörte auf meinen Hilferuf. Darum danke ich dir, Herr, vor der ganzen Gemeinde... Auch die kommende Generation soll ihm dienen, sie soll hören, was er getan hat..., wie treu er ist.“ (Ps 22,25-26, 31-32). So stehen sie unter dem Kreuz und hören Worte des Glaubens.

 

Aber was sind das für Menschen, die anderen Menschen ein solches Martyrium auferlegen, in dem man sie psychisch und physisch quält, terrorisiert, der Lächerlichkeit preis gibt und dann an ein Kreuz schlägt? Da stirbt man dann über Stunden hinweg sehr langsam und qualvoll, so dass der Tod zur Erlösung wird. Wir müssen bei dieser Frage nicht lange überlegen, denn es sind Menschen, wie wir: Da ist ein Mann, wie Judas, der für ein paar Silberlinge zum Verräter wird, weil er sich von Jesus wohl anderes erhofft hatte. Wir sehen Petrus vor uns, nur selten ein Fels, doch so pragmatisch, dass er sich von Jesus absetzt, als es gefährlich wird. Da sind die religiösen Politiker, wie Hannas und Kaijaphas, die ihre Macht im Volk sichern wollen und sich dazu diplomatisch mit dem Feind verbünden. Da ist Pontius Pilatus, der seine Hände in Unschuld wäscht und da sind die Freunde Jesu, die, als es ernst wird, weglaufen.

So verwiest Eugen Drewermann darauf, dass „wir in der Passionsgeschichte keine andere Welt finden als unsere eigene. Nichts von alldem ist historisch einmalig oder zufällig bedingt. So geht es immer zu. Immer wird es die Rechner, die Pragmatiker, die Logiker, die Zyniker, die Ordentlichen, die Appartschiks geben, und ihr Zusammenspiel ist unser Leben, besser gesagt, unser Tod. Am Ende kommen die Mechaniker, die ausführenden Organe... deren Leiber Instrumente zum Töten geworden sind...“ [1]

 

1943 sagte der SS-Reichsführer, Führer des nationalsozialistischen deutschen Reiches, Heinrich Himmler, zu den SS Kadern, welche an der unseligen Ermordung der Juden mitwirkten: „Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen zusammenliegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen... Dies durchgehalten zu haben und dabei anständig geblieben zu sein, ... (das ist) ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte...“ [2] So klingt das in der Moderne. Da müssten wir schon sehr blind und sehr taub sein, um da nicht an den weltweiten Terror zu denken, der im Namen des Volkes, einer Partei, Gottes oder Allahs bis in unsere Gegenwart hinein ausgeübt wird – und jeder glaubt, Gott an seiner Seite zu haben. Die Jüdin Hannah Arendt, eine Heidegger-Schülerin, sprach von der „Banalität des Bösen.“ Auch unter dem Kreuz Jesu standen schließlich – in ihrer eigenen Selbstwahrnehmung - nur anständige Menschen...

 

Der Karfreitag darf kein protestantischer Betroffenheitstag sein. Es geht nicht um ein gefühliges Erschauern angesichts des Kreuzes, sondern es geht darum zu begreifen, was hier für uns – bleibend und ein für allemal – geschieht. Warum lässt Gott selbst das zu, was wir Menschen anderen Menschen antun, warum nur dieses vielfältige Leiden in der Welt?

 

Zunächst einmal dürfen wir Gott nicht für das verantwortlich machen, was wir selbst zu verantworten haben. Jesu Tod war sehr religiös und sehr politisch begründet. Aber, wie es Matthäus in seinem Bericht aufzeigt, ist der Schrei Jesu: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ gerade nicht das letzte Wort Gottes zu diesem Tod, zu diesem Sterbenden und Toten am Kreuz, da können die Menschen anstellen, was sie wollen.

 

Der Karfreitag ist in der Welt ein Tag, dem weitere Tage folgen und so können Christen diesen Tag nie ohne den Ostertag bedenken. Wer mit seinem Glauben am Karfreitag endet, für den endet das menschliche Leben in einem Grab auf dem Friedhof. Der Karfreitag ist für uns nur mit dem Ostertag zu verstehen, wie ja auch das Weihnachtsfest nicht ohne den Karfreitag und Ostern zu feiern ist, wenn es nicht zu einem gefühligen Fest verkommen soll. Jesus selbst konnte diesen Weg ja nur im Vertrauen auf seinen ebenso väterlichen wie mütterlichen Gott gehen, um so das Leid der Welt als „Herausforderung und Widerspruch zu tragen“ (E. Drewermann). Es ist ein stellvertretendes Leiden, unüberbietbar in seinem Glauben, fast unüberbietbar in seiner Menschlichkeit.

 

In Bezug auf unsere eigenen Abschiede im Leben bedeutet das, dass wir alle unsere Verstorbenen nun wirklich auch in uns sterben lassen, damit wir auch innerlich nicht an den Gräbern unserer Toten leben. Das scheint doch der Weg vom Kreuz zum Ostertag zu sein, von leidvollen Abschieden im Leben zum Vertrauen auf die Auferstehung, dem Leben in der endgültigen, zeitlosen Gegenwart Gottes.

Wir hätten kein Neues Testament in der Welt, ohne diese Todes- und Trauererfahrungen, ohne die Hoffnung auf das Ja Gottes zum Leben, auch angesichts des Todes.

 

In einem Referat das ich kürzlich hörte, wurde gesagt: „Wir alle leben und wir arbeiten in einer Kirche auf dem Weg nach Golgatha...“ [3] Wie aber klingt das, wenn es in der Studie der Evangelischen Kirche in Deutschland „Kirche der Freiheit“ heißt: „... dass man gegen den Trend wachsen wolle...“ [4] Bei allem durchaus berechtigtem Bemühen um die Zukunft der Kirche, darf sie nie vergessen, wo ihre Wurzeln sind und woher sie ihren Glauben und ihr Vertrauen begründet.. Es ist die „Kirche des Gekreuzigten und Auferstandenen, eine Kirche der Solidarität mit den Zagenden und Leidenden und eine Kirche des irrational notwendigen Protestes gegen den Tod...“ [5] Da muss aufgepasst werden, dass die Kirche, auch jede Kirchengemeinde, nicht allein unter Gesichtspunkten der Ökonomie und des Wachstums ihre Gegenwart und Zukunft plant.

 

Allein aus demografischen Gesichtspunkten wird die Kirche zahlenmäßig kleiner werden und damit werden zwangsläufig auch die Aufgaben kleiner, die sie gesellschaftlich noch übernehmen kann. Muss man ihr aber deshalb schon das Totenglöcklein läuten und kann darin nicht auch eine große geistige und geistliche Chance liegen? Gerade hier wäre gegen den Trend zu wachsen, dann wird die Kirche der Zukunft als „Kirche der Freiheit“ nicht in einem babylonischen Turmbau enden, sondern umgekehrt in der andauernden Zuversicht und dem Vertrauen, das sich mit dem Karfreitag und dem Ostertag verbindet. Nicht nur wir sind mit unserem Leiden bei Gott gut aufgehoben, sondern ebenso unsere Kirche, auch wenn sie zahlenmäßig einmal kleiner wird, denn sie ist die Kirche Jesu Christi, so wie wir – wie wir sind - Kinder Gottes bleiben.

 

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, wenn wir uns an diesen Gebetsschrei Jesu heute wieder erinnern lassen, dann um ihn als ein Gebet zu hören, ein Gebet, das auch wir in den tiefsten Tiefen unserer Existenz in der Hoffnung beten dürfen, dass Gott auch uns treu sein wird. Mögen Menschen die gute Schöpfung Gottes immer wieder einmal verdunkeln, das letzte Wort gegen alle Todesstrukturen in der Welt, gegen Terror und Krieg, Unterdrückung und Gewalt, gegen Leid und den Tod - in welcher Form auch immer - spricht Gott und davon werden wir am Ostertag hören. Amen.

 

 

 

Literatur:

 

1) Drewermann, E., Leben, das dem Tod entwächst, Düsseldorf, 19932, S. 154

2) Safranski, R., Wie viel Wahrheit braucht der Mensch?, München, 1990, S. 149

3) Weimer, M., Der Stachel des Befehls, Vortrag auf der Konferenz der evang.

    Polizeipfarrerinnen – und pfarrer, Saarbrücken, 2007, S. 14

4) Kirchenamt der EKD, Kirche der Freiheit –

    Perspektiven für die Evangelische Kirche im 21. Jahrhundert, S.7, in: www.ekd.de

5) Weimer, m., a.a.O., S.4

 

Drewermann, E., Das Matthäusevangelium, Dritter Teil, Düsseldorf, 1995, s. 245ff

Greim-Haspel, U., Karfreitag, Matthäus 27,33-50, Zeitschrift für Gottesdienst und Predigt (ZGP), 25. Jhrg., Heft 1/2007, Gütersloh, S. 29

 

 

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