Invokavit (1. Sonntag in der Passionszeit), Lukas 22,31-34

 

 

 

Begrüßung:

 

Liebe Gemeinde! Es muss nicht lange darüber spekuliert werden, ob es so etwas wie das Böse in der Welt gibt, wir alle wissen es. Vermutlich möchte niemand bewusst und vorsätzlich böse sein, aber wir sind es. Jenseits der guten, geordneten Schöpfung Gottes leben wir mit unseren dunklen Schatten, der Lüge, dem Verrat, dem Betrug, dem Streit. Darum bleiben wir auf das Evangelium angewiesen, dass wir uns immer wieder einen Spiegel vorhalten und uns zu einem anderen Leben ermutigen lassen. Schon Paulus sagte:

           

Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich (Römer 7,19).

 

 

Gebet:

 

Herr, guter Gott! Wir wissen darum, dass auch unser Leben Versuchungen ausgesetzt ist und dass wir ihnen nur allzu oft unterliegen. Aber dein guter Geist schenkt ihm eine neue Richtung. Darum bitten wir für alle Menschen, deren Leben kein Ziel hat, für alle, die von ihren Zweifeln zerfressen werden und für diejenigen, die sich immer und ständig sicher fühlen, lass sie nachdenklich werden.

 

Wir sind nicht allein auf unserem Weg, aber wie alle anderen auch, sind wir gefährdet, wir drohen am Leben zu scheitern, weil wir anderen Unrecht tun, unsere Möglichkeiten missbrauchen, es an Geduld und Verständnis mangeln lassen. Lass uns ein Ohr für das Leid haben, das uns umgibt und auf offene und geheime Gewalt verzichten, die anderen das Leben mit uns schwer macht. Herr, schenke uns einen wachen Geist, dass wir lernen, uns dem Bösen zu widersetzen und Mut zum Widerstand zu finden, dass wir Unrecht aufdecken und so dem Leben dienen. Herr, auf deinen Geist bleiben wir angewiesen, soll auch in unserer Welt etwas von deiner guten Schöpfung aufleuchten können. Amen.

 

 

»Simon, Simon! Pass gut auf! Gott hat dem Satan erlaubt, euch auf die Probe zu stellen und die Spreu vom Weizen zu scheiden. Aber ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube an mich nicht aufhört. Wenn du dann wieder zu mir zurückgefunden hast, musst du deine Brüder und Schwestern im Glauben an mich stärken!« Petrus antwortete: »Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis zu gehen, ja mit dir zu sterben!« Jesus antwortete: »Ich sage dir, Petrus, noch ehe heute der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen und behaupten, dass du mich nicht kennst.«

 

 

Liebe Gemeinde!

 

So viele Hähne gibt es gar nicht auf der Welt, die krähen könnten, wie es Verrat unter uns Menschen gibt: Eheleute, die einander belügen und betrügen; Eltern, die ihren Kindern unwahrhaftig begegnen; Politiker, die ihre eigenen Gesetze brechen; Bürger, die ihre Steuern fälschen, aber auf ordentlichen Straßen fahren und in jeder Weise vom Staat sozial abgesichert sein wollen... Wenn es um den Verrat geht, müssten sich die Hähne dieser Welt die Seele aus dem Leib krähen. Dabei haben wir alle gute Gründe, warum das so ist und meistens tragen immer andere die Schuld daran, nur nicht wir selbst: Die Kindheit, die Verhältnisse, die Beziehung, die Liste der Schuldigen könnte länger gar nicht sein, nur wir sind nicht darunter.

 

Simon Petrus ist eben nicht der unerschütterliche Glaubensheld, weshalb er in einer ganz anderen Weise für uns und alle Christen dieser Welt zur Warnung und auch zu einem Vorbild wird. Er ist der Mensch in der Nähe Jesu, der wie kaum ein anderer zwischen Treue und Verrat zwischen einem kraftvollen Glauben und hilfloser Angst schwankt. In ihm ist nicht der erste aller Päpste zu sehen, das wurde später aus ihm gemacht, sondern er ist schon zu Lebzeiten Jesu das Bild für alle in ihrem Glauben immer und ständig gefährdeten Menschen. Wie in einem jedem anderen Leben auch klaffen bei ihm Anspruch und Wirklichkeit auseinander.

 

Jesus kennt seine Freunde, er kennt den Menschen und so spricht er Petrus einerseits auf seinen bevorstehenden Verrat an, andererseits weiß er, dass er diesem Menschen seine Freunde anvertrauen kann. Doch Petrus ist noch weit davon entfernt, der zu sein, der er dann später einmal in der jungen Kirche werden wird. Und so wird er nach seinem Verrat an seinem Freund den Hahn krähen hören und sich erst dann wieder an die Worte Jesu erinnern.

 

Dass aber Gott selbst dem „Satan“ erlaubt, Petrus und mit ihm uns alle auf die Probe zu stellen, ist nur schwer zu verstehen und auch Hiob brauchte lange, um hinter der scheinbar feindlichen Maske Gottes den ganz anderen Gott zu erfahren. In der Sprache der Bibel ist der Satan als eine Art Staatsanwalt zu verstehen, der, wie bei Hiob, die Menschen prüft und dann mit ihrer Schuld und ihrem Versagen vor Gott verklagt. Entscheidend dabei ist, dass er nicht auf eigene Faust handeln kann, sondern dass er von Gott abhängig bleibt.

Mit jedem Leben sind also auch Versuchungen verbunden, in denen wir uns bewähren oder versagen können und darum beten wir in jedem Vaterunser: „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen!“ Allein in der Menschlichkeit Jesu und in seiner Treue zu seinem Gott, wie sie uns Seite für Seite in den Evangelien beschrieben werden, zeigt es sich, dass er Versuchungen standhalten konnte, auch Versuchungen, in denen er es mit dem schlechthin Bösen zu tun bekam.

 

Oft bekomme ich die Frage zu hören, wie kann Gott das nur zulassen? Doch schaut man hinter die Kulissen und Fassaden, so wird sehr schnell deutlich, dass hier gar nicht Gott am Werk war, sondern ganz einfach der Mensch selbst. Der Mensch, der eine Entschuldigung für sein Handeln sucht, eine Ausrede, mit der er sich vor der eigenen Verantwortung drücken möchte. Bei allem, was uns unverständlich bleibt, gilt, dass wir vieles eben nicht einfach an Gott abschieben können. In der letzten Predigt sagte ich: „So bleibt `die Unbegreiflichkeit des Leids ein Stück der Unbegreiflichkeit Gottes´“ [1] und jedes Unrecht gebiert Leid.

 

Es ist eben nicht Gott, der einen Mann oder eine Frau fremdgehen lässt, womit all das, was ja einmal geliebt wurde, in Frage gestellt wird; es ist nicht Gott, der unsere Mitmenschen durch Lüge und Betrug verletzt, wir tun es; es ist aber auch nicht Gott, der uns beim Bergsteigen vom Berg fallen lässt, denn wir sind es, die auf Berge klettern; es ist nicht Gott, der einen Menschen durch einen Verkehrsunfall umbringt, sondern wir fahren Motorrad oder Auto; es ist nicht Gott, der die Natur verschmutzt, so dass wir an ihr erkranken. Es ist ganz sicher auch nicht Gott, der andere Länder mit Kriegen überzieht und terrorisiert. Nein, wie einfach ist es, Gott für all das und viel mehr die Verantwortung zuzuschieben und dann mit ihm zu hadern, weil es uns unserer Verantwortung scheinbar entbindet.

 

Der Philosoph Rüdiger Safranski fragt: „Wie viel Wahrheit braucht der Mensch?“ Und er führt in Bezug auf die Freiheit des Menschen aus:

 

„Die biblische Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies betont den Freiheitsaspekt des Bewusstseins. Das Verhängnis beginnt in dem Augenblick, wenn ich erkenne, was gut und böse ist und ich mich folglich frei entscheiden muss. Ich bin frei von dem Zwang der Natur und bin frei für die Selbstbestimmung...“ [2] und an einer anderen Stelle in Bezug auf das Böse: „Man muss nicht den Teufel bemühen, um das Böse zu verstehen. Das Böse gehört zum Drama der menschlichen Freiheit. Es ist der Preis der Freiheit... Das Böse ist kein Begriff, sondern ein Name für das Bedrohliche, das dem freien Bewusstsein begegnen und von ihm getan werden kann... Das Böse hat also etwas zu tun mit der Verstockung des Geistes und der Trägheit des Herzens...“ [3]

 

Für die Bibel ist das Böse eine der schattenhaften Realitäten der Welt. Von Gott und seiner guten Schöpfung her ist es das „Wüste, Eitle, Nichtige schlechthin“ [4], wenn wir der Übersetzung des Begriffes „Chaos“ folgen. Aus einem solch ungeordneten Chaos heraus schafft Gott sich die Welt als Gegenüber, wobei das, was vorher war, das Chaos, ohne von Gott geschaffen und ohne gewollt zu sein, aber existiert. Aus gutem Grund hat der große Theologe Karl Barth seine Überlegungen zur Sünde in seiner Versöhnungslehre aufgearbeitet. Letztendlich aber bleibt die Frage nach dem Woher der Sünde und dem Bösen für uns nicht zu beantworten. Viel wichtiger ist für uns daher, um die Vergebung zu wissen.

 

Immer dort, wo der Mensch Gott aus den Augen verliert, wo der Glaube keine Maßstäbe mehr setzt und leer und schal geworden ist, läuft er Gefahr, sich selbst zum Maß der Dinge zu setzen. Petrus wollte seinem Herrn folgen, aber er konnte es nicht, weil im entscheidenden Augenblick seine Angst - selbst verhaftet zu werden - größer war, als das Vertrauen in seinen Freund, in seinen Gott. So stolpert er über sein aus Angst zerbrechendes Selbstbewusstsein und hört den Hahn schneller krähen, als er es sich vorstellen konnte und wollte.

 

Niemand wird Petrus daraus einen Vorwurf machen können, weil wir selbst uns viel zu oft in entscheidenden Situationen zu den einfachen Wegen verführen lassen, zu all jenen, die zwar uns, aber eben nicht anderen nutzen, die kein Heil schaffen, sondern Unrecht und Unheil. Situationen der Versuchungen gibt es also alle Augenblicke in unserem Leben, in denen wir uns bewusst oder unbewusst entscheiden, wo uns unser kleiner Glaube trägt oder versagt, weil er zu kraftlos ist. Aber den Verrat im Blick weist Jesus Petrus dennoch auf die Vergebung hin: „Wenn du dann wieder zu mir zurück gefunden hast...“ Und allein das ist entscheidend.

 

Kürzlich las ich: Von einer alten Frau im Dorf sagte man, sie habe Gotteserscheinungen. Der Pfarrer verlangte Beweise ihrer Echtheit. „Wenn Euch Gott das nächste Mal erscheint“, sagte er, „dann bittet ihn, er möge Euch meine Sünden nennen, die nur er allein kennt ... Das wäre Beweis genug.“ Die Frau kam einen Monat später zu ihm und der Pfarrer fragte, ob ihr Gott wieder erschienen sei. Sie sagte, ja. „Habt Ihr ihm die Frage unterbreitet?“ „Ja, das habe ich.“ „Und was sagte er?“ „Er sagte: `Sag dem Pfarrer, ich habe seine Sünden vergessen.´“ [5]

 

Da das Böse, die Sünde, Schuld und Versagen uns allen ja das Leben und Zusammenleben so unendlich schwer machen und Leiden verursachen, ist es eine tröstliche Aussicht und eine wunderbare Theologie, dass Gott uns unsere Sünden einfach einmal vergibt und dann vergisst, sie sind nicht wichtig genug, um sie sich zu merken, und so dürfen dann auch wir um die Vergebung wissen, sie uns schenken lassen und einander gewähren. Darum hilft es uns immer wieder einmal bewusst zu beten: „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen!“, denn auch wir sind wie Petrus: Im entscheidenden Augenblick zu schwach, um ohne die Vergebung vor Gott bestehen zu können. Amen.

 

 


Literatur:

 

1) Berger, K., Jesus, München, 2004, S. 230

2) Safranski, R. Wie viel Wahrheit braucht der Mensch? München, 1990, S. 10

[3] Safranski, R., Das Böse, München, 1997, S. 13f

4) Barth, K., Die Kirchliche Dogmatik, III/1, Die Lehre von der Schöpfung,

    Zürich, 1947, S. 115

5) De Mello, A., Beim Wort genommen, Gütersloh, 2002, S. 221

 

 

 

Krötke, W., Sünde und Nichtiges bei Karl Barth, Neukirchen-Vluyn2,, 1983

Kühnbaum-Schmidt, Invokavit, 2007, Deutsches Pfarrerblatt, helft 1/2007 in:

www.predigten.de/

Mämekcke, Th., Invokavit, Deutsches Pfarrerblatt, a.a.O.

 

 

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