Das virtuelle

Kenzinger Religionsgespräch zum Thema Abendmahl

Willi:
Herr Luther, Herr Zwingli, wir Konfirmanden aus Kenzingen haben uns mehrere Wochen mit der Wirkungsgeschichte des Abendmahls beschäftigt, weil wir uns vorgenommen haben,eine Internet-Homepage zum Gründonnerstag zu machen. Wir haben Sie eingeladen, weil wir herausfinden wollen, wie sie über das Abendmahl gedacht haben. Unterwegs durch die Zeiten ...
Luther:
Ja, ja, unterwegs durch die Zeiten kann man wohl sagen, uns trennen schließlich mehr als 500 Jahre. Mich freut es aber immer sehr, wenn die jüngeren Generationen sich auf die Suche nach dem begeben, was die früheren gedacht und gemacht haben.
Willi:
Fangen wir mit dem Jahr 1529 an. Da haben sie sich beide in Marburg getroffen.
Zwingli:
Richtig. Unser Arbeitstreffen ging später in die Geschichtsbücher als das Marburger Religionsgespräch ein ...
Willi:
... bei dem sie bekanntlich auf keinen gemeinsamen Nenner kamen, jedenfalls nicht bei der Abendmahlsfrage. Woran lag das?
Luther:
Fangen wir mit den Einsetzungsworten an: "Dies ist mein Leib ..." heißt es da. Und das verstehe ich ganz wörtlich. Denn beim Abendmahl geht es um die ganz reale Gegenwart des Leibes und Blutes Christi. Im übrigen bin ich nicht der erste, der das mit dem "hoc est enim ..." so wörtlich nimmt. Schon Ambrosius, der ja bekanntlich von 340 bis 397 lebte, hat darüber ähnlich gedacht: Brot und Wein werden in den Leib und das Blut Christi verwandelt.
Zwingli:
Eben, eben! An diese Verwandlung des Brotes und des Weines glaube ich kein Stück! Die Gegenwart Christi beim Abendmahl leugne ich nicht, sie ist aber symbolisch zu verstehen. "Hoc est enim ..." kann man auch so übersetzen: "Dies bedeutet mein Leib ..." Sie sehen, ich halte mich da lieber an den größten Kirchenlehrer Augustinus. Von 354 bis 430 lebte er. Für den waren Brot und Wein auch nur Elemente, also Zeichen, die den Leib Christi darstellen. Was allein zählt, ist doch die Kraft des Sakraments! Worauf es ankommt ist doch seine Wirkung! Darum habe ich in Zürich das "große neue Abendmahl" eingeführt: Auf einfachen Tischen stehen Brot und Weinbecher, die von Hand zu Hand gehen. Alle dürfen anfassen, alle dürfen trinken. Denn die Elemente Wein und Brot sind nicht heilig. Heilig allein ist Christus.
Luther:
Aber damit reduzieren sie das Abendmahl auf ein läppisches Bekenntnismahl! Überhaupt ihre Gottesdienste: so nüchtern, so spartanisch, kein Orgelspiel, kein Gemeindegesang. Grauenvoll!
Zwingli:
Und ihre "Deutsche Messe", ist ja wohl auch nicht das Gelbe vom Ei. Die ist mir - mit Verlaub - noch zu katholisch, ganz besonders das Abendmahl.
Luther:
Was heißt hier katholisch! Immerhin glaube ich nicht, dass es die Konsekrationsworte eines Priesters sind, die Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi verwandeln.
Zwingli:
Das wäre ja auch noch schöner! Aber mein lieber Luther, sie glauben dennoch an eine ganz reale Wandlung! Und wo steht die denn bitte schön in der Bibel geschrieben?
Willi:
Genau das ist doch das Problem. Wenn wir wüssten, was der aramäisch sprechende Christus wirklich gesagt hat, wäre es zu ihrem Streit gar nicht erst gekommen. So kommen wir also nicht weiter.
Luther:
Ganz schön keck, der junge Mann. Wie kommen sie eigentlich auf die Idee, bei diesem Thema mitreden zu wollen? Sie sind Konfirmand und haben keinerlei Erfahrung mit dem Abendmahl.
Willi:
Doch, ich war schon viermal beim Abendmahl.
Zwingli:
Noch nicht konfirmiert und schon beim Abendmahl? Das gibt's doch nicht!
Konfirmand:
Warten sie mal, ich zeig ihnen die Grundordnung unserer badischen Landeskirche. Die Kirchliche Lebensordnung sagt unter der Nr. 14: "Im Rahmen der Einführung in das Verständnis des heiligen Abendmahls können die Jugendlichen zur Teilnahme am Abendmahl eingeladen werden."
Luther:
Na gut, so ändern sich die Zeiten...
Willi:
Aber was mich jetzt noch brennend interessiert: Ist ihnen beiden eigentlich bewusst, dass sie mit ihren Gelehrtenstreit die Sache des Protestantismus' ziemlich gespalten haben?
Luther:
Was heißt denn gespalten? Zunächst einmal: Was mich betrifft, so wollte ich ja eigentlich keine neue Kirche gründen. Ich wollte nichts anderes, als unsere "allgemeine christliche Kirche" von diesen fürchterlichen Missständen befreien. Darum habe ich doch 1517 meine 95 Thesen ...
Willi:
Ok, diese Story ist bekannt, darüber brauchen wir heute nicht zu diskutieren. Die steht heute in jedem Geschichtsbuch.
Luther:
Mein Mitarbeiter Philipp Melanchton hat 1530 das Augsburger Bekenntnis verfasst und unserem Kaiser auf dem Reichstag überreicht. In diesem Dokument haben wir unseren Glauben und unsere Lehre formuliert. Aber mir ging es dabei immer um die Einheit der Kirche.
Willi:
Aber es ist nun mal eine Tatsache, dass sich der Protestantismus in verschieden Grüppchen, in verschiedene Kirchen aufgespalten hat. Und das Abendmahl wurde dementsprechend unterschiedlich und auch unterschiedlich häufig gefeiert.
Zwingli:
Klar! Ich finde viermal im Jahr reicht völlig.
Luther:
Aber für mich gehört das Mahl des Herrn in jeden Sonntagsgottesdienst, denn wir feiern schließlich den ersten Tag der neuen Woche in der Rückerinnerung an Ostern.
Willi:
Also ganz krieg' ich das nicht in meinen Kopf. In der Bibel und in der frühen Kirche wurde das Abendmahl täglich gefeiert. Das ist belegt, da beißt die Maus keinen Faden ab. Und nun solche extreme Ansichten?
Zwingli:
Wie oft wird eigentlich das Abendmahl heutzutage gefeiert?
Willi:
Das kann ich nur für die evangelische Kirchengemeinde Kenzingen sagen. Vor dem Krieg etwa vier bis fünfmal im Jahr. Nach dem Krieg zunehmend häufiger. Jetzt hat es sich bei einmal im Monat eingependelt. Aber es gibt Stimmen, dass das Abendmahl noch häufiger gefeiert werden sollte...
Luther:
Ja, ich weiß, ich habe läuten hören, dass mein junger Kollege Karl Barth auch dafür plädiert, das heilige Abendmahl in jedem Sonntagsgottesdienst zu feiern.
Willi:
Wie gesagt, es gab gewaltige Unterschiede, besonders in der Praxis des Abendmahls. Auf der einen Seite die Lutheraner, auf der anderen die Reformierten. Früher, ich meine jetzt das 19. Jahrhundert, gab es bei uns im deutschen Südwesten auf engstem Raum ein ziemliches Nebeneinander, manchmal sogar ein Gegeneinander. Und das gleich zwischen drei Konfessionen. Über dieses Religions-Kuddel-Muddel spotteten damals die einfachen Leute auf der Straße:
  Die Calvinisten
  sind keine rechte Christen.
  Die Katholiken
  stecken voller Ränk und Tücken.
  Doch die größten aller Ochsen
  sind die lutherischen Orthodoxen!
Luther:
Das tut mir leid, das zu hören.
Willi:
Aber zum Glück ging es bei uns in Baden gut aus, denn die Lutheraner und die Reformierten haben sich geeinigt, besser gesagt, sich vereinigt. Ich spreche jetzt von der Union im Jahre 1821. Schon was davon gehört?
Zwingli:
Leider nicht. Aber ich bin neugierig, wie das wohl funktioniert hat.
Willi:
Ganz einfach. Die beiden Kirchen in Baden, die Lutheraner und die Reformierten, haben 1821 beschlossen, eine "vereinigte evangelisch-protestantische Kirche" zu bilden. Hier, ich zeig ihnen mal diese Urkunde. Sie wird im Archiv des Oberkirchenrats in Karlsruhe aufbewahrt.

Luther:
Donnerwetter! Find' ich gut. Aber auf welchen Katechismus haben die sich denn geeinigt? Ich habe ja 1529 einen geschrieben. Die Reformierten haben 1563 ihren Heidelberger Katechismus herausgebracht. Wer hat denn nun jetzt Recht?
Willi:
Keiner hat Recht bekommen! Anders gesagt: es gelten nämlich beide. Grundlage der Union von 1821 ist außerdem noch das Augsburger Bekenntnis, es ist schließlich das älteste gemeinsame Bekenntnis.
Zwingli:
Richtig. Aber wie wurde das mit dem Abendmahl geregelt? Hat da 1821 etwa der Herr Luther Recht bekommen oder hat man sich hier meiner Auffassung angeschlossen?
Willi:
Weder noch! Bestandteil der Unionsurkunde ist eine spezielle Konkordie zum Abendmahl. Da stehen acht Fragen mit Antworten drin, ohne aber - und das muss ich mal zitieren - "ohne jedoch damit in Hinsicht der besonderen Vorstellungen darin das Gewissen binden zu wollen".
Luther:
Ich finde es sehr gut, wenn man sich bemüht, mehr die Gemeinsamkeiten herauszustellen, als ewig die Unterschiede zu betonen. Also, das haben wir bei dem Augsburger Bekenntnis ja auch gemacht.
Willi:
Genau. Die Gemeinsamkeiten herausstreichen, darum geht es auch heute noch. Aber heute müssen wir noch weiter als früher denken. Europaweit nämlich. Und da bin ich ganz froh, dass wir seit 1973 die Leuenberger Konkordie haben. Sie steht in unserem Gesangbuch im Anhang, Nr. 889, da können Sie es nachlesen. Es geht da um die Kirchengemeinschaft zwischen den evangelischen Kirchen in Europa. Zum Abendmahl sagt diese Konkordie: "Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißungsvolles Wort mit Brot und Wein" Was sagen sie zu dieser Formulierung?
Luther:
Also den Satz könnte ich auch unterschreiben.
Zwingli:
Ich habe damit auch keine Schwierigkeiten.
Willi:
Na prima, dann sind wir ja ein gutes Stück weiter gekommen. Und wissen sie das Neuste? Schon was von der eucharistischen Gastfreundschaft gehört, die die Badische Landeskirche 1974 ausgesprochen hat? Vielleicht haben sie Zeit und kommen zu unserem Konfirmations-Gottesdienst, am letzen Juniwochenende ist das immer in Kenzingen. Da können sie dann hören und sehen: Unserer Pfarrer lädt bei solchen besonderen Gottesdiensten extra die Mütter, Väter, Tanten und Onkel zum Abendmahl ein, die anderen christlichen Kirchen angehören, also die Katholiken auch.
Luther:
Nun mal langsam, junger Mann. Was heißt hier der Pfarrer lädt ein. Es ist doch wohl Christus, der uns einlädt.
Willi:
Stimmt. Da habe ich mich nicht so deutlich ausgedrückt. Unser Pfarrer sagt das auch ganz ausdrücklich "Es ist Christus, der zum Mahl einlädt".
Zwingli:
Jetzt interessiert mich doch brennend, ob die katholische Kirche das umgekehrt genauso macht?
Willi:
Bis jetzt ist das mit der eucharistischen Gastfreundschaft noch nicht so ganz ausgewogen. Aber Thema ist das dort schon. Da gibt es beispielsweise eine gemeinsame Erklärung der Erzdiözese Freiburg und der evangelischen Landeskirche in Baden vom 8. Juli 1980. Es geht darin um Gottesdienst und Amtshandlungen als Ort der Begegnung, da steht zum Schluss: "Die noch verbleibenden Unterschiede befinden sich innerhalb eines Bereiches der Gemeinsamkeit."
Luther:
Welch treffliche Formulierung!
Zwingli:
Diese Formulierung macht direkt neugierig auf die Zukunft!
Willi:
Schön, dass wir uns einig sind.

Letzte Änderung: 9.4.1998
Bitte richten Sie Fragen oder Kommentare an: <punctum@punctum.com>, Dr. Georg Fischer.